Youtuberin Alicia Joe ist eine der bekanntesten deutschen Sinnfluencer. So werden Influencer genannte, die mit ihren Beiträgen Aufklärungsarbeit zu aktuellen Themen leisten wollen. Sie sind Meinungsblogger deren Ziel es nicht mehr ist, Produkte zu vermarkten, sondern die ihre Plattform und Reichweite für Thematiken benutzen möchten, die ihnen selbst am Herzen liegen. Influencer wie Alicia Joe sind so zu einer Art Journalist:innen der neuen Generation geworden. Sie arbeiten nicht für klassische Medien, sondern recherchieren oftmals mit einem kleinen Team oder auch ganz allein und veröffentlichen ihre Beiträge auf Social Media.
"Ich habe für mich persönlich gemerkt, dass es mich langfristig nicht glücklich macht, ‚belanglose‘ Inhalte zu produzieren", erklärt sie ihre Motivation gegenüber dem stern. Sie wolle "etwas schaffen, was die Menschen zusätzlich zum Umdenken oder Handeln anregt." Deshalb hat sie den Inhalt ihres Youtube-Accounts vor zwei Jahren verändert.
Mit dem Video "Familienblogger: Wenn Unterhaltung Jugendschutz gefährdet…" hat sie sich 2021 in die Reihe der großen deutschen Sinnfluencer begeben. Seitdem spricht sie vermehrt über die Rechte von Kindern im Netz, klärt über Schönheits-Operationen auf und schreckt nicht davor zurück, kontroverse Thematiken öffentlich zu kritisieren. Das kommt bei ihren Abonnent:innen gut an. Ihre Videos werden teilweise millionenfach angeklickt – und teils kontrovers diskutiert. "Auch wenn nicht jeder immer meiner Meinung ist, denke ich, sind viele Menschen dankbar dafür, dass es jemanden gibt, der sich für wichtige Themen einsetzt und seine Plattform nutzt, um positive Veränderungen anzustoßen", erklärt die Youtuberin.
Amelie Duckwitz ist Professorin und Medienwissenschaftlerin der Technischen Hochschule Köln, die sich im Rahmen ihrer wissenschaftlichen Arbeit ausführlich mit Influencern beschäftigt. Sie sagt, dass sich die Mediennutzung durch die fortschreitende Digitalisierung stark geändert habe. "Jugendliche und junge Erwachsene informieren sich hauptsächlich online und mobil über aktuelle Themen und Nachrichten, wie unter anderem die aktuelle "Use The News"-Studie belegt. Influencer gehören dabei zum festen Bestandteil des Medienrepertoires", sagt sie. Die Studie wurde vom Leibniz-Institut für Medienforschung im Auftrag der Deutschen Presse Agentur (dpa) und der Hamburger Behörde für Kultur und Medien durchgeführt.
Der "Rezo-Effekt": Die Zerstörung der CDU
Vor vier Jahren hat ein Youtuber in orangefarbenem Pullover und mit blauen Haaren den Einfluss der sozialen Medien auf die reale Welt demonstriert: Am 18.05.2019 veröffentlichte Rezo ein Video mit dem Titel "Die Zerstörung der CDU". Bis 2023 hat sein Video über 20 Millionen Klicks generiert. 2020 hat er für das Werk den renommierten Nannen-Preis in der Kategorie Web-Projekt gewonnen und wurde damit quasi auch in die erste Liga des traditionellen deutschen Journalismus aufgenommen. In seinem Video übt er massive Kritik an der CDU, die er mit diversen Quellen untermauert.
Im Nachhinein lässt sich laut einer Civey-Online-Befragung von rund 10.000 Menschen zumindest mutmaßen, dass das Video Auswirkungen auf die Gruppe von 18-29-jährigen Wähler:innen bei der folgenden Europawahl gehabt hat. Die Grünen gewannen innerhalb dieser Altersgruppe fast vier Prozentpunkte nach dem Erscheinen des Youtube-Videos von Rezo. Einen Tag vor der Veröffentlichung hatten sie einen Anteil von etwa 22,9 Prozent der Wähler:innen im Alter zwischen 18 und 29 Jahren und zwei Wochen später, am 31.05., hat sich der Stimmanteil auf etwa 26,5 Prozent erhöht. Der "Spiegel" hat die Statistiken der Civey-Umfragen ausgewertet und spricht in diesem Zusammenhang vom "Rezo-Effekt".

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Hochschulprofessorin Duckwitz betont in Bezug auf das Video von Rezo, dass kausale Effekte einzelner Videos auf Wahlentscheidungen kaum empirisch nachweisbar seien. Aber, so sagt sie: "Rezos Video und die Reaktionen haben gezeigt, dass neue Akteure den politischen Diskurs mitgestalten, die man entsprechend ernst nehmen sollte und die in der Lage sind, Zielgruppen zu erreichen, die sich bisher wenig mit politischen Themen beschäftigt haben." Es sei deshalb eine Chance für politische Bildung.
Die Glaubwürdigkeit "digitaler Meinungsführer"
Duckwitz bezeichnet Sinnfluencer in einer Veröffentlichung der Friedrich-Ebert-Stiftung als "digitale Meinungsführer". Menschen würden sich in ihrer Meinungsbildung von anderen Menschen beeinflussen lassen, erläutert sie. Dies sei ein soziales Phänomen, das bereits vor den 1980er Jahren entdeckt worden sei. Diese Meinungsführer lassen sich in jeder sozialen Gruppe finden und grenzen sich dabei von den Massenmedien als Informationsdienst ab. "Durch Social Media hat diese Meinungsführerschaft nun eine neue Dynamik und Qualität erfahren. Einzelne Personen können mehrere Tausend, bis Millionen Follower gewinnen, zu denen sie durch die ständige Kommunikation eine para-soziale Beziehung aufbauen, die von hoher Glaubwürdigkeit geprägt ist", sagt die Medienwissenschaftlerin.
Jonas Wuttke postet ebenfalls Videos, in denen er seine Meinung vertritt. Er kennt die Verantwortung, die das mit sich bringe: "Der Druck auf Social Media ist allgegenwärtig. Gerade wenn man Meinungsvideos macht, sollten diese gut recherchiert sein", sagt Wuttke. Deshalb arbeitet er bei dem "Funk"-Format "Ist Social Media peinlich" mit klassischen Redakteur:innen zusammen. Diese unterstützen ihn bei der Recherche und stellen sicher, dass die Fakten korrekt sind.
Sind Sinnfluencer gefährlich?
Amelie Duckwitz sieht die größten Chancen von Sinnfluencern in der stärkeren politischen Partizipation und der Kommunikation bisher vernachlässigter Themen. Gleichzeitig warnt sie aber auch vor dem Risiko einer politischen Instrumentalisierung durch demokratiefeindliche Gruppen und der Verbreitung von Fake News. Es sei immer wichtig, die Informationen selbst zu kontrollieren.
Alicia Joe betont, dass es sie sehr stolz mache, wenn ihre Zuschauer:innen selbstständig Quellen prüfen und Dinge zu ihren Recherchen anmerken oder anfügen. Sie möchte eben nicht nur Klicks einsammeln, sondern ihre Community aktiv zu kritischem Denken und eigenständigem Hinterfragen ermutigen.