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Holocaust Andrée Geulen-Herscovici mit 100 Jahren verstorben: Sie rettete 3000 jüdische Kinder vor den Nazis

Andrée Geulen-Herscovici 2007 in der Halle der Namen in Yad Vashem in Jerusalem
Andrée Geulen-Herscovici 2007 in der Halle der Namen in Yad Vashem
© Orel_Cohen-Flash90 / dpa / Picture Alliance
Andrée Geulen-Herscovici ist tot. Sie ist im Alter von 100 Jahren in Brüssel gestorben. Während des Zweiten Weltkriegs half sie, jüdische Kinder und Jugendliche vor den Nazis zu retten. Nach dem Krieg brachte sie viele wieder mit ihren Eltern zusammen. 

Am 31. Mai ist Andrée Geulen-Herscovici im Alter von 100 Jahren in Brüssel verstorben. Dani Dayan, Vorstandsvorsitzender der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem, drückte bei Twitter sein Beileid über den Tod von Geulen-Herscovici aus, die während des Holocaust unzählige jüdische Kinder gerettet hat. 

Andrée Geulen war damals Lehrerin in Brüssel. Wie viele anderen Belgier hätte sie die antijüdischen Maßnahmen und die Verfolgung der Juden nicht beachtet, heißt es auf der Seite der Gedenkstätte Yad Vashem. "Aber in dem Augenblick, als sie der Diskriminierung ihrer Schüler gegenüberstand, entschloss sie sich, zu handeln." Geulen war 20, als die Kinder eines Tages mit dem obligatorischen gelben Stern an der Kleidung im Unterricht erschienen. Sie befahl allen, in der Schule Schürzen zu tragen, um die demütigende Markierung zu verdecken.

Andrée Geulen: "Schämen Sie sich nicht, gegen jüdische Kinder Krieg zu führen?"

Die Gedenkstätte Yad Vashem zeichnet nach, wie sich die junge Lehrerin fortan an bei Rettungsaktionen beteiligte. Sie hatte Ida Sterno kennengelernt, ein jüdisches Mitglied der Geheimorganisation Comité de Défence des Juifs (Jüdisches Verteidigungskomitee). Sterno brauchte eine nichtjüdische Partnerin, die ihr half, jüdische Kinder in ihre Verstecke zu begleiten. Geulen bekam den Code-Namen Claude Fournier und zog in das Internat, in dem sie unterrichtete. Auf Initiative der Schulleiterin Odile Ovart wurde zwölf jüdischen Schülern in der Schule Unterschlupf gewährt. 

Mitten in der Nacht, im Mai 1943, an Pfingsten, als alle nichtjüdischen Kinder bei ihren Familien waren, führten die Deutschen eine Razzia in der Schule durch. Die jüdischen Schüler wurden festgenommen, die Lehrer verhört. Als die Deutschen sie fragten, ob sie sich nicht schäme, Juden zu unterrichten, antwortete Andrée Geulen: "Schämen Sie sich nicht, gegen jüdische Kinder Krieg zu führen?"

Schulleiterin Odile Ovart und ihr Mann wurden deportiert und ermordet. Geulen entkam einer Verhaftung und intensivierte ihr Engagement von da an. Unter falschem Namen mietete sie eine Wohnung und teilte sie mit Ida Sterno. Wie Yad Vashem nachzeichnet, wurde der Kontakt zu den Rettungsorganisationen durch geheime Briefkästen aufrechterhalten. Über zwei Jahre holte Geulen demnach Kinder ab und brachte sie bei christlichen Familien und in Klöstern unter. Schätzungen gehen von mehr als 3000 Kindern aus.

Yad Vashem zitiert Geulen mit den Worten: „Ida und ich gingen die Kinder bei den Eltern, die uns um Hilfe baten, abholen. Wir baten die Eltern, einen Koffer vorzubereiten, und sagten, dass wir in ein bis zwei Tagen wiederkommen würden. Ich weine immer noch, wenn ich an die Zeiten denke, als ich den Eltern ihre Kinder wegnehmen musste, besonders Zwei- bis Dreijährige, ohne ihnen sagen zu können, wohin ich ihre Kinder bringe.“ 1944 wurde Ida Sterno verhaftet, Andrée Geulen musste untertauchen. 

2007 erhielt Andrée Geulen die Ehrenbürgerschaft Israels

Ihr Einsatz für die jüdischen Kinder und Jugendlichen hörte nach der Befreiung nicht auf: Geulen holte die Kinder nun ab, um sie zu ihren Familien zurückzubringen. Über die Jahre hinweg sei sie in Verbindung mit "ihren" Kindern geblieben und habe sie immer wieder überrascht, indem sie sich an jedes Detail ihrer Kindheit im Versteck erinnerte.

Nach dem Krieg heiratete Andrée Geulen den Anwalt Charles Herscovici und war später auf dem Gebiet der Sozialen Arbeit tätig – und schließlich als Zeitzeugin aktiv. Sie hinterlässt zwei Töchter, fünf Enkelkinder und sieben Urenkel. 1989 wurde Andrée Geulen-Herscovici für ihren Einsatz mit dem Ehrentitel "Gerechte unter den Völkern" ausgezeichnet. 2007 erhielt sie die Ehrenbürgerschaft Israels. 

Die "New York Times" hat mit Helen Weiss gesprochen, einer heute 89-jährigen Frau, die Andrée Geulen als Mädchen rettete. Weiss war acht und mager, als Geulen sie auf den Hof einer katholischen Familie brachte unter dem Vorwand, das Mädchen sei ebenfalls katholisch und brauche frische Luft, um wieder zu Kräften zu kommen. Als Helene Weiss später in ihrem Leben durch eine Veranstaltung auf Andrée Geulen aufmerksam wurde, schickte sie ihr einen Dankesbrief. "Ich schickte ihr Bilder meiner Kinder und Enkelkinder", zitiert die "New York Times" Weiss. "Und ich sagte: Ohne Sie wären sie nicht hier." 

Quellen: Yad Vashem, New York Times, Jüdische Allgemeine, Twitter

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