Autorin und Aktivistin "Sie sehen gar nicht aus, als wären Sie arm": Was eine Betroffene über ihre Jahre in Armut erzählt

Autorin Daniela Brodesser
Daniela Brodesser hat jahrelang unter der Armutsgrenze gelebt. Als Autorin und Aktivistin klärt sie über die strukturellen Probleme von Armut auf und sagt: "Über Armut wisst ihr nichts."
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Es gibt Sätze, die können Menschen, die arm sind, nicht mehr hören – und sie kommen oft von Menschen, die nichts über Armut wissen, sagt Autorin Daniela Brodesser. Sie selbst weiß viel darüber.

Bis ihr jüngstes Kind geboren wurde, hat Daniela Brodesser in einer – wie sie sagt – "typischen Durchschnittsfamilie" gelebt. Durch zwei schwere Erkrankungen ist ihre Familie in Armut geraten. Im Gespräch erzählt sie von ihrem Leben als Armutsbetroffene, darüber, was das mit ihren Kindern gemacht hat, und von demütigenden Momenten.

Einer dieser Momente hat sie laut werden lassen. Daniela Brodesser ist eine der ersten Frauen in Österreich, die ihren Gefühlen auf Twitter Luft gemacht haben. Sie wurde zur Armutsaktivistin. Seit 2017 macht sie öffentlich auf die strukturellen Probleme von Armut aufmerksam. Sie hat ein Buch geschrieben und konnte sich so wieder aus ihrer finanziellen Bredouille herauskämpfen.

Frau Brodesser, Sie haben ein Buch geschrieben mit dem Titel "Über Armut wisst ihr nichts", und ich fürchte, Sie haben recht. Ich kenne keine armen Menschen – was sollte ich über Armut wissen?
Wir haben vorgefertigte Bilder, weil sich Betroffene in der Regel nicht in die Öffentlichkeit stellen und darüber sprechen. Deshalb kann man auch nichts über Armut wissen, wenn man selbst nicht betroffen ist. Man lebt in komplett unterschiedlichen Welten, man hat keine Berührungspunkte. Arme Menschen gehen nicht auf Veranstaltungen, man findet sie nicht in Restaurants oder in Bars. Man trifft sie einfach nicht.

Ich vermute mal, auch Sie hatten keine Berührungspunkte? 
Exakt. Wir waren eine typische Durchschnittsfamilie in Österreich. Ich war zuerst alleinerziehend, habe aber mit der Unterstützung meiner Großmutter immer Vollzeit arbeiten können. Als meine Tochter fünf Jahre alt war, habe ich meinen jetzigen Mann kennengelernt. Uns war klar, wir wollen eine große Familie. Er war der Hauptverdiener, ich habe immer geringfügig dazuverdient – in der Gastronomie, im Büro, als Tagesmutter. Ich habe mich vorwiegend um die Kinder gekümmert. Ich war naiv und habe nicht gewusst, welche Folgen das einmal für mich haben wird.