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"Jung, besorgt, abhängig – eine Generation in der Krise" Ronja Ebeling: "Der Staat verpasst die Fürsorgepflicht, die er meiner Generation gegenüber hat"

Ronja Ebeling ist wütend darüber, dass ihrer Generation das Recht auf Zukunftsängste abgesprochen wird 
Ronja Ebeling ist wütend darüber, dass ihrer Generation das Recht auf Zukunftsängste abgesprochen wird 
© PR / Eden Books
Ronja Ebeling hat genug davon, dass ihre Generation von Politik und Gesellschaft nur bedacht wird, wenn man sich mal wieder über sie aufregt. Ihr Buch "Jung, besorgt, abhängig – eine Generation in der Krise" ist ein scharfsinniges Plädoyer mit der Bitte, den Jungen endlich einmal zuzuhören. 

Es gibt bestimmte Sätze, die Ronja Ebeling wütend machen. "Du bist doch noch so jung, du musst dir keine Sorgen machen", heißt es oft, wenn die junge Autorin ihre Zukunftsängste artikuliert. So stressig können Weltreisen, Traumjobs, Instagram und die perfekte Inneneinrichtung ja schließlich gar nicht sein. Doch nur weil sie erst 25 Jahre alt ist, heißt das nicht, dass Themen wie Klimakrise, Altersarmut, befristete Arbeitsverträge und ungleiche Rollenverteilung sie nicht trotzdem tangieren. Denn das ist die Realität der heute 20- bis 30-Jährigen. 

Herausgekommen ist dabei mit "Jung, besorgt, abhängig – eine Generation in der Krise" ein scharfsinniges Plädoyer mit der Bitte, den Jungen doch endlich einmal zuzuhören und lieber strukturelle Lösungen für strukturelle Probleme zu schaffen als die Verantwortung immer wieder an die Betroffenen zurückzugeben.

Netflix gucken und Nichtstun

Laut der Autorin seien in der Coronakrise die jungen Menschen vergessen worden. Es gab weder brauchbare Öffnungskonzepte für Schulen noch Unis, niemand habe sich um diejenigen gesorgt, die monatelang alleine in ihren WG-Zimmern saßen. In ihr sei immer mehr das Gefühl aufgekommen, dass ihrer Generation nicht auf Augenhöhe begegnet wird. 

Spätestens als im November 2020 die Kampagne #besonderehelden von der Bundesregierung veröffentlicht wurde, sei ihr der Kragen geplatzt. Man habe von den jungen Menschen erwartet, zu Hause zu sitzen, Netflix zu schauen und nichts zu tun – wie immer, alles gar nicht so schlimm. Vergleiche zur Kriegsgeneration finde sie unangebracht, schließlich habe ihre Generation genauso viele Ängste, die sich aber nicht vergleichen ließen. Sie als verweichlicht oder als beziehungsunfähig abzustempeln, hält sie für übergriffige Pauschalisierungen. 

Der verwehrte Staffelstab

In ihrem Buch bedient sich Ebeling der Metapher eines Staffellaufs bei einem Leichtathletikwettbewerb. Dabei sind es die Älteren, die noch den Staffelstab in der Hand halten. Kurz bevor sie an der Reihe ist, den Stab zu übernehmen, wird er der Autorin verwehrt und ihr dabei auch noch in die Hacken getreten. Zurück bleibt eine wütende 25-Jährige, die ihrem Ärger Luft macht. Die ältere Generation rennt davon, während sie verletzt und sprachlos auf der Tartanbahn sitzt. 

"Jede fünfte Person, die wahlberechtigt ist, ist über 69 Jahre alt", erklärt die Autorin im Interview mit dem stern. "Wenn man die Parteiprogramme liest, sieht man ja, dass hier eher die Älteren angesprochen werden." Allein bei diesem Thema fühle sie sich daher schon abgehängt und im Stich gelassen. "Schüler:innen ziehen mittlerweile seit Jahren auf die Straße und demonstrieren für eine bessere Klimapolitik – dann muss man doch auch darüber mal nachdenken", führt sie weiter aus. Ihre Lösung: "Vielleicht könnte man das Wahlalter auf 16 Jahre senken. Dann würden die Parteiprogramme ganz anders aussehen. "

"Krise, Krise, Krise"

Doch die meisten ihrer Generation seien gelähmt, schreibt sie in ihrem Buch und plädiert dafür, endlich mal aktiv zu werden und sich für die eigenen Bedürfnisse einzusetzen – auch wenn das bedeute, dass man seine sichere Blase verlässt und mal ein Risiko eingeht. Viele säßen vor Youtube und beobachteten beispielsweise Fynn Kliemann, der einfach losginge und seine Visionen verfolge und feierten ihn in den Kommentarspalten. Man selbst bliebe aber auf dem heimischen Sofa sitzen und traue sich selbst nicht das zu tun, worauf man eigentlich Lust hat. Aus Angst vor dem Risiko. 

Eine junge Frau der Generation Z steht mit einem Megaphon auf der Straße.

Gleichzeitig aber, so ihre Kritik, würden junge Arbeitnehmende mit befristeten Verträgen abgespeist, oder mit tollen Begriffen wie "New Work" gelockt, wohinter aber eigentlich nur schlechte Arbeitsbedingungen und Mehrarbeit stünden. Dabei rutschten die jungen Leute aber von einer Krise in die nächste: Finanzkrise, Coronakrise, Klimakrise. "Krise, Krise, Krise – und das prägt natürlich. Umso sicherheitsorientierter sind wir, und das finde ich so schade. Wir wählen lieber den sicheren Weg statt den Herzensweg", erklärt Ebeling.

Kein einmaliger Kampf

Ebeling hat immer auf ihr Herz gehört. Sie hat ihr Studium abgebrochen, um ein Redaktionsvolontariat zu machen, sie hat die darauffolgende Übernahme ausgeschlagen, um in sich hineinzuhören, was sie wirklich machen will. Die spätere Festanstellung hat sie danach zugunsten ihrer Selbstständigkeit aufgegeben – doch nie ohne auf Widerstand zu stoßen. "Ich glaube, das ist kein einmaliger Kampf. Und gegen die Eltern ist er auch nicht ausgeglichen, sondern das ist ja ein innerer Konflikt, weil man möchte ja auch seine Eltern stolz machen." In ihrem Fall sei das so, doch der sogenannte Generationenkonflikt sei auch hier deutlich spürbar. 

"Zumindest bei meinem Vater weiß ich, dass er gerne Enkelkinder hätte, ich bin mir da aber noch nicht so sicher. Das versteht er nicht", erklärt Ebeling. Schließlich brauche man Platz für Kinder, eine große Wohnung oder gar eine eigene Immobilie könne man sich in der Großstadt manchmal gar nicht leisten. "Das kann mein Vater mir ja nicht abnehmen", sagt sie. Finanziell abhängig, wie es viele Frauen sind, das wolle sie niemals sein. "Ich denke, vielen in meiner Generation ist das gar nicht so bewusst, dass viele unserer Mütter sich abhängig von den Vätern gemacht haben. Aber jede dritte Ehe wird mittlerweile geschieden, Alleinerziehende sind meistens Frauen. Das ist die stärksten von Armut betroffene oder gefährdete Gesellschaftsgruppe, die wir hier in Deutschland haben. Das ist dramatisch und das müssen wir verstehen. Aber sagt uns ja keiner", so die Autorin.

"Viele Berufe wird es nicht mehr geben"

Hinzu kämen die befristeten Verträge und die Tatsache, dass schwangere Kolleginnen häufig nicht übernommen wurden. Und auch die Berufswahl sei längst nicht mehr gesetzt, wie es noch in der Elterngeneration der Fall gewesen sei. "Woher sollen Leute, die mit 17 ihr Abi in der Tasche haben, wissen, was die überhaupt machen wollen. Das ist ja total absurd", meint Ebeling. Schließlich verändere sich die Berufswelt mit der Digitalisierung ständig. Sie resümiert: "Viele Berufe, die unsere Eltern gelernt habe, gibt es in Zukunft in dieser Form gar nicht mehr, und dadurch ist man ja schon gezwungen, die Branche zu wechseln. Da darf man diesen Branchenwechsel auch nicht verurteilen."

"Es macht mich wütend"

Die Altersarmut, von der ihre Generation bedroht ist, könne man kaum verhindern, wenn die Politik sich nicht strukturelle Lösungen dafür einfallen ließe. Zum Beispiel in der Schule die Fächer Wirtschaft und Finanzen anzubieten, um ein fundiertes Wissen zu schaffen. "Mich macht es wütend, wenn wir immer über Altersvorsorge in Form von Aktien sprechen, aber nur Kinder aus privilegierten Haushalten all dieses Wissen schon von ihrem Elternhaus mitbekommen haben", sagt sie.

Ihre Generation wisse jetzt schon, dass die Rente mal nicht ausreichen wird. Aber die Verantwortung für eine Altersvorsorge würde wieder an die Bürger:innen zurückgegeben werden. "Da verpasst der Staat die Fürsorgepflicht, die er meiner Generation gegenüber hat", so Ebeling. Schließlich sei es bei dem Immobilienpreisen ja nicht mal mehr möglich, rechtzeitig zur Rente ein Haus oder eine Wohnung abzuzahlen und dann so vorzusorgen. Ihre Forderung: "Die Politik ist verantwortlich, dieses Riesenproblem zu lösen. Weil es ist ein strukturelles Problem und dafür braucht es strukturelle Lösungen." 

"Jung, besorgt, abhängig – eine Generation in der Krise" von Ronja Ebeling, Eden Books, 256 Seiten, 16 Euro, ist hier bestellbar

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