Auf dem Schlossplatz in Dresden wehen hunderte grün-weiße Fahnen im eiskalten Wind. Auf den ersten Blick sehen sie aus wie die Flagge des Freistaats Sachsen, doch wer genau hinsieht, erkennt die Krone auf dem Wappen und die Löwen daneben. Es ist die Flagge des Königreichs Sachsen, das zwar schon seit 1918 nicht mehr besteht, von der rechtsextremen Kleinstpartei "Freie Sachsen" aber als Erkennungszeichen wiederbelebt wurde.
"Wir hören erst auf, wenn diese Verbrecher aus dem Amt gejagt wurden", hallt es aus den Lautsprecherboxen über den Platz. "Und die Ausländer raus sind", sagt ein junger Mann zu seinen Begleitern.
Tausende Menschen haben sich am Montagmittag in der Dresdner Altstadt versammelt. Darunter auffällig viele Männer in Arbeitsklamotten, es sind Spediteure und Handwerker, Hochbau, Tiefbau, jene Leute also, die von sich nicht ohne Stolz behaupten, dass sie den Laden am Laufen halten. Die noch richtig anpacken, die was leisten, im Gegensatz zu "denen da oben", so sehen das hier viele.

Die Freien Sachsen haben zum "Tag des Widerstands" aufgerufen
Wegen "denen da oben" sind sie hier, ein ehemaliger NPD-Politiker und heutiger Aktivist der "Freien Sachsen" hatte zum "Tag des Widerstands" aufgerufen. Das Motto: "Nieder mit der Regierung".
In den vergangenen Tagen ist viel gewarnt worden: Wenn die Landwirte in dieser Woche wieder bundesweit auf die Straße gehen wollen, dann werden dabei auch Rechtsextreme mitmischen. Sie hatten aufgerufen, sich an den Protesten zu beteiligen, um den Unmut über die Sparmaßnahmen der Ampelregierung für ihre Sache zu nutzen. Oder, um die Proteste sogar zu kapern. Nirgendwo konnte man dieses Ansinnen so gut beobachten wie in Dresden.
Die Wahl fiel wohl nicht zufällig auf die sächsische Hauptstadt. Hier entstand 2014 Pegida, die "Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes", und von hier aus verbreitete sich die Bewegung in ganz Deutschland. Seither gilt Dresden in der rechten Szene als "Hauptstadt des Widerstands".
Um die Bauern geht es nur am Rande
Der Redner auf der Bühne ruft: "Ein Schachspiel wird meist von den Bauern eröffnet, und gespielt wird so lange, bis der König fällt." Tosender Applaus. Es bleibt einer der wenigen Bezüge auf die Bauernproteste. Um die Agrarsubventionen geht es diesen Demonstranten, wenn überhaupt, nur am Rande.

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Die weitere Rede ist vielmehr ein Rundumschlag der Verdrossenen, quasi das Einmaleins der Wutbürger: Es geht um den "Asylwahnsinn", um inszenierte Corona-Maßnahmen, um Impfungen, die "hunderttausende Menschen unheilbar krank gemacht und in den Tod geschickt" hätten. Der Redner kritisiert die Solidarität mit der Ukraine und deutet an, dass Deutschland selbst die Nordstream-Pipelines gesprengt habe. Er macht einen Abstecher in die Reichsbürger-Ideologie, als er sagt, über dem Grundgesetz stünde noch immer das Besatzungsrecht. "Und jetzt kann sich jeder von euch hier auf dem Platz beantworten, nach welcher Pfeife die Regierung tanzen muss", ruft er.
In der Menge tummeln sich nicht nur Politiker der AfD, sondern auch etliche bekannte Rechtsextreme und Neonazis. Die Partei "Der Dritte Weg" ist mit einem Banner vor Ort. Ein Mann in Camouflage-Jacke und mit Bundeswehrrucksack hält ein Schild in die Luft: "BRD abschalten".
"Die Zeit wird kommen, wo es Gerichtsverfahren gegen diese Volksverräter da drüben gibt", sagt der Redner. Da drüben, damit meint er die Sächsische Staatskanzlei, den Landtag des Freistaats. Dorthin setzt sich die Demo in Bewegung.
Eine der größten Demos von Rechtsextremen der vergangenen Jahre
Nach Angaben von Veranstaltern und Beobachtern beteiligen sich mehr als 10.000 Menschen an dem Aufzug. Es ist eine der größten von Rechtsextremen organisierten Demonstrationen der vergangenen Jahre.

Der Protestzug wird angeführt von dem ehemaligen brandenburgischen AfD-Vorsitzenden Andreas Kalbitz. Er ist einer der wenigen, der selbst den Rechtsradikalen zu radikal war. Er wurde aus der Partei ausgeschlossen, als rauskam, dass er früher Mitglied der mittlerweile verbotenen neonazistischen "Heimattreuen Deutschen Jugend" gewesen sein soll. Kalbitz darf in Dresden das Frontbanner halten: "Scholz, Habeck, Lindner und Co das Handwerk legen!", steht darauf.
Dahinter läuft eine Trommlergruppe, die den Takt für die Parolen vorgibt. "Wir sind das Volk", rufen sie, und: "Wir haben die Schnauze voll!" Mit dem stern sprechen will keiner der Demonstranten. Der Redner hatte zuvor gewarnt, dass die Politiker und die ihnen bereitstehenden "Systemmedien" alle diskreditierten, die sich kritisch äußern.
Nach dem Marsch durch die Innenstadt nähert sich die Demo der Sächsischen Staatskanzlei. Die Polizei hat das Gebäude mit Gittern abgeriegelt und ist mit einem Großaufgebot vor Ort, auch Beamte aus Berlin sind zur Unterstützung im Einsatz. Hier soll die Demo enden.
Vermummte Neonazis durchbrechen die Polizeikette
Plötzlich wird es hektisch. Ein paar Leute haben noch nicht genug, sie laufen weiter, Polizisten sprinten hinterher. Die Beamten versuchen, die Leute aufzuhalten. Vergebens: Hunderte Demonstranten, darunter vermummte Neonazis, durchbrechen die Polizeikette und laufen in Richtung Dresden-Neustadt. Einige skandieren: "Eins, zwei, drei – Ampelpolizei". Erst als nach ein paar Minuten Verstärkung eintrifft, kann der Zug kurz vorm Albertplatz gestoppt werden.
Die Demonstranten sind aufgebracht. "Du weißt genau, dass du für die Falschen arbeitest", ruft ein Mann den Beamten zu. "Aber Kanaken jagen könnt ihr nicht", ruft ein anderer. "Na los, schieß einfach!" Ein Mann mit Ordner-Weste kündigt den Polizisten "Randale" an.
Dazu kommt es nicht. Nach einigen Minuten kehren die Demonstranten um und laufen wieder zur Staatskanzlei. Auch dort stehen nicht Landwirte, sondern bekannte Neonazis auf der Bühne – und träumen weiter vom Umsturz.