Es sollte ein ganz privates Gespräch werden. Der Außenminister und zehn, 15 Schüler, allein in einem Klassenzimmer. Nun aber stehen sehr viele durchtrainierte junge Männer in dunklen Anzügen mit auffälligen Plastikkabeln in den Ohren rund um ein Häuflein Gymnasiasten in der frisch sanierten Turnhalle der Max-Planck-Oberschule in Berlin-Mitte. Der US-Botschafter ist auch gekommen, und Phoenix überträgt live. "Es ist mal was anderes", meint Schulsprecherin Marie Hörnig.
Es entsteht tatsächlich so etwas wie eine Plauderei
Der Besuch von US-Außenminister Colin Powell in dem unscheinbaren grauen Schulbau hinter dem Alexanderplatz ist über das Viertel gekommen wie eine Naturgewalt. Schon früh morgens riegeln Dutzende von Polizei-Mannschaftswagen die menschenleere Singerstraße ab, Steppkes müssen am Schultor ihren Ausweis zeigen, und vor dem Schulzimmer "Heimatkunde" am Zugang zur Turnhalle steht nun eine mobile Sicherheitsschleuse. Und dennoch: Am Ende ist das Brimborium fast vergessen und es entsteht tatsächlich so etwas wie eine Plauderei zwischen einem der Mächtigen der Welt und einigen politisch interessierten Gymnasiasten in Ostberlin.
Dieses Gespräch sei ihm sehr wichtig gewesen, sagt Powell. Mit 22 sei er vor 43 Jahren nach Deutschland gekommen, um den Westen gegen den Osten zu verteidigen. Drei Jahrzehnte lang habe der Kalte Krieg sein Leben als Soldat bestimmt. "Ich weiß, das ist heute für junge Leute schwer vorstellbar", sagt der 66-Jährige. Nun sei er hier in Ostberlin, ein "ziemlich alter Mann", und wolle mit den Leuten sprechen, die bald die Führungspositionen in Deutschland übernehmen. Jede Frage dürften die Oberstufenschüler stellen - "und ich darf mir die Antwort aussuchen", scherzt der Minister.
Powell gewinnt die Schüler mit Antworten
Vor einem Jahr haben auch die Max-Planck-Schüler Proteste gegen den Irak-Krieg organisiert. Doch Anfeindungen braucht Powell hier nicht zu fürchten. Er muss sich zwar äußern zu den fehlenden Beweisen von Massenvernichtungswaffen in Irak, zum Vorwurf des sinnlosen "Kriegs um Öl" des Kritikers Michael Moore, zum schwindenden Rückhalt des Kriegs in der amerikanischen Bevölkerung, zur Absage der USA an den internationalen Klimaschutz im Rahmen des Kyoto-Protokolls.
Aber er gewinnt die Schüler mit Antworten, die in ihrer Verbindlichkeit offenbar besänftigend wirken. So gibt er zum Beispiel zu, er sei verwundert, dass man keine Lager mit Massenvernichtungswaffen in Irak gefunden habe. Die Erkenntnisse der Geheimdienste vor dem Krieg seien andere gewesen. "Wir dachten, es gäbe Lagerstätten." Aber andererseits habe man Hinweise für Produktionskapazitäten gefunden. Und er habe keinen Zweifel, dass Saddam Hussein diese nach Möglichkeit wieder aufgerüstet hätte. Der ganze Krieg habe einem "edlen Zweck" gedient.
Der Außenminister präsentiert sich menschlich
In einem kunterbunten Katalog von 15 Fragen erhält der Minister aber auch Gelegenheit, sich menschlich zu präsentieren. So bekennt er zum Beispiel, dass er zwar unter der Woche von 05.00 Uhr morgens bis 08.00 Uhr abends im Dienst ist, sich die Wochenenden in seinem Haus vor den Toren Washingtons aber möglichst frei hält.

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Frei heißt, er darf von zu Hause aus die Weltläufe per Telefon beobachten und steuern. "Ich folge dem Lauf der Sonne", meint Powell: morgens, wegen der Zeitverschiebung, der Ferne Osten, dann Europa, dann die eigene Zeitzone. Doch bleibe noch Zeit, an seinen Autos herumzuschrauben, mit den Enkelsöhnen zu spielen, Fernsehen zu schauen. "Ich schaue eine Menge Filme an", behauptet einer der Meistbeschäftigten der Welt.
"Er hat seine ehrliche Meinung gesagt"
Irgendwann stößt der Außenminister auf dem Barhocker unter dem Basketballkorb in der Turnhalle mit dem Fuß gegen die Wasserflasche, die ein Beflissener neben ihn gestellt hat. Fortan muss er mit den Füßen an einer Lache vorbeimanövrieren. Macht nichts, sagt Powell und gewinnt damit sein junges Publikum endgültig für sich. "Das war sehr menschlich, das mit der Wasserflasche", sagt anschließend der 16-jährige Alex. Der persönliche Eindruck sei doch ganz anders als der im Fernsehen.
Und sein Mitschüler Konstantin, der den Minister nach seiner Einschätzung des Schutzzaunes in Israel gefragt hat, ist ebenfalls angetan. "Er hat seine ehrliche Meinung gesagt", meint Konstantin. "Ich bin sehr zufrieden mit dem, was er gesagt hat."
Verena Schmitt-Roschmann, AP