Dänemark Systematische Diskriminierung? Ausländische Fachkräfte gehen auf die Straße

Demonstranten in Kopenhagen, Dänemark
Nachdem viele ausländische Köche Dänemark verlassen mussten, hat sich Wut im Gastgewerbe angestaut. Vergangenen Monat demonstrierten Gastronomen in Kopenhagen gegen die Einwanderungspolitik.
© Privat
Viele qualifizierte Fachkräfte, vor allem im Gastgewerbe, müssen Dänemark verlassen. Arbeitsvisa werden entweder abgelehnt oder nicht verlängert. Die Branche ist frustriert.

Danyel Campos Sánchez hält ein Glas Weißwein in die Kamera. Im Hintergrund zuckelt eine Straßenbahn durch die Gassen von Lissabon, um ihn herum lachen und lärmen die Menschen. Im nächsten Bild geht die Sonne über der Stadt unter. Was auf seinem Instagram-Kanal nach einem entspannten Urlaub aussieht, ist für den Peruaner eigentlich purer Stress.

In die portugiesische Hauptstadt zog er, nachdem ihm in Dänemark die Aufenthaltsgenehmigung entzogen wurde. Der gelernte Koch hatte zuvor in einem Restaurant in Kopenhagen gearbeitet. Als er nach einem Unfall arbeitsunfähig war, musste er das Land verlassen. Trotz einer schweren Knie-Verletzung, die eine dringende Behandlung erforderte.

Weil er keinen Job vorzuweisen hatte, verweigerte "Danish Agency for international Recruitment and Integration" ihm ein Arbeitsvisum. Die Erlaubnis zum Aufenthalt ist strikt daran gebunden, das heißt, dass Danyel beim Verlust seines Arbeitsplatzes das Land verlassen muss. Dafür gab man ihm einen Monat Zeit. "Ich musste durch die Hölle gehen", beschreibt er das, was im vergangenen Jahr passiert ist.

Dabei lief zunächst alles problemlos. 2018 erhielt der 35-Jährige sein erstes Arbeitsvisum für Dänemark. Bevor er nach Kopenhagen zog, hatte er in seinem Heimatland Peru Hotelmanagement studiert und eine Ausbildung zum Koch absolviert. Dann hatte er erst in den USA und anschließend in Schweden gearbeitet. Mit Corona begannen die Probleme. Im Mai 2020 verlor der 35-Jährige seinen Job. Wenig später stellte ihn ein Lokal mit lateinamerikanischer Küche ein. "Damit habe ich mich dann für das nächste Visum beworben", erzählt er in einem Video-Telefonat mit dem stern.

Aus Dänemark abgeschoben

Die Bearbeitungsdauer, die mit einem Monat angegeben ist, zog sich aufgrund der Pandemie in die Länge. Noch während er auf den Bescheid wartete, hatte Danyel einen schweren Sturz mit dem Fahrrad. Ein gebrochenes Kniegelenk und mehrere Operationen waren die Folge. Eine fatale Verletzung, an die sich ein langer Heilungsprozess anschloss. Aufgrund seiner Arbeitsunfähigkeit verlor er erneut den Arbeitsplatz – und damit seine Aufenthaltsgenehmigung. "Eine tragische Situation", beschreibt es der Koch mit trauriger Stimme. 

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Danyel ahnte, dass ihm die Abschiebung bevorstand. Wegen seiner Verletzung durfte er einige Monate länger im Land bleiben, in denen er sich in medizinischer Behandlung und Physiotherapie befand. Die Genesung ging schleppend voran. Im Februar vergangenen Jahres erhielt er dann den endgültigen Bescheid der Behörde. Sein Visum sei abgelehnt worden und ihm bliebe einen Monat Zeit, um das Land zu verlassen. "Ich war geschockt", erzählt er. Sein Arzt sendete ein Schreiben an die Agentur, in dem er darauf bestand, dass Danyel seine Behandlung fortsetzen müsse, da er Heilungsprozess sonst deutlich zurückgeworfen werde.

Gregor Peter Schmitz mit den Buchstaben GPS

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Einwanderungspolitik in Dänemark "unmenschlich und ungerecht"

"Das hat niemanden interessiert", sagt der Peruaner im Gespräch mit dem stern. Er beschreibt die Einwanderungspolitik als unmenschlich und ungerecht. "Was mir und vielen anderen widerfahren ist, ist einfach falsch", findet er. Ähnliche Schicksale haben bereits zahlreiche Beschäftigte im Gastgewerbe, die nicht aus der EU stammen, getroffen. So viele, dass sich vergangenen Montag ein Protest vor dem Büro der Einwanderungsbehörde formierte. Die Branche wirft der Agentur systematische Diskriminierung vor. 

Protest vor der Einwanderungsbehörde in Dänemark
"Kein Mensch ist illegal" ist unter anderem auf den Plakaten der Demonstranten zu lesen.
© Privat

Abgelehnte Anträge auf ein Arbeitsvisum kommen in der Gastronomie überdurchschnittlich oft vor. Um ein Visum zu erhalten, gibt es zwei Arten der Bewerbung: Zum einen über das "Pay Limit Scheme". Voraussetzung dafür ist, dass dem Antragsteller ein Jobangebot mit "hohem Gehalt" vorliegt. Zum anderen können sich Ausländer mit einer "special indvidual qualification" bewerben. Dafür müssen sie beweisen, dass der Arbeitgeber auf das individuelle Fachkönnen des Bewerbers angewiesen ist.

Auf stern-Anfrage legte die dänische Agentur die entsprechenden Zahlen vor. In letzterem Fall verweigerte die Behörde im vergangenen Jahr 31 von insgesamt 60 Anträgen. Im "Pay Limit Scheme"-Verfahren waren es insgesamt 270 Bewerber. Von ihnen erhielten 24 ein Visum.

Gastronomen sind gezwungen, Dänemark zu verlassen

Jessie Lui, eine Köchin aus Taiwan, die in Kopenhagen lebt hat den Protest vor dem Gebäude der Einwanderungsbehörde organisiert. "Als ausländische Köche in Dänemark haben wir zu viele lächerliche Geschichten aus unserer Branche gehört und zu oft zusehen müssen, wie unsere Kollegen gezwungen wurden, das Land zu verlassen", schrieb die Gastronomin auf ihrem Instagram-Kanal und rief zu einem Sit-in vor dem Büro auf.

Dazu teilte sie einige der Schicksale ihrer Kollegen. Einem Koch aus Venezuela ist nach drei Jahren Aufenthalt in Dänemark ein neues Visum verweigert worden. Mit der Begründung, dass er nicht ausreichend qualifiziert für seinen neuen Job war. Trotz eines Studien-Abschlusses in Hotellerie und Gastronomie und 15 Jahren Arbeitserfahrung in der Branche.

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Ein japanisches Restaurant musste sich kürzlich seinen Chefkoch verabschieden, da sich dieser plötzlich mit "unerwarteten und schockierenden Herausforderungen bezüglich seiner Arbeitserlaubnis" konfrontiert sah. Wie das Lokal auf seiner Facebook-Seite mitteilt, müsse der Koch nach sechs Jahren in Kopenhagen das Land nun mitsamt seiner Familie verlassen. Für eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung hätte er acht Jahre in Dänemark leben müssen

Bei Verlust des Arbeitsplatzes Ausreise aus Dänemark

Damit das Visum und damit auch der Aufenthalt verlängert wird, ist es essentiell, dass die Bewerber noch immer den gleichen Job ausführen, mit dem sie sich ursprünglich beworben hatten. "Der Ausländer muss die Voraussetzungen, auf deren Grundlage die Erlaubnis erteilt wurde, jederzeit erfüllen", bestätigt die Agentur auf stern-Anfrage. Sonst könne die Aufenthaltserlaubnis widerrufen werden.

"Verliert der Ausländer seinen Arbeitsplatz, wird ihm die Aufenthaltserlaubnis entzogen, da sie genau auf diesem Arbeitsplatz basiert." Das gilt auch in Zeiten der Pandemie. Selbst im Lockdown, wegen dem viele Angestellte aus dem Gastgewerbe ihren Arbeitsplatz verloren haben, hätte man keine Ausnahmen gemacht.

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"Die Behörde sucht immer nach Gründen, Einwanderer aus dem Land zu schicken", klagt ein philippinischer Koch, dessen Geschichte ebenfalls Teil von Jessie Luis Posting ist. "Egal für welches Visum wir uns bewerben, wir können nicht gewinnen", meint er. Oft seien Anträge ausländischer Gastronomen abgelehnt worden, weil die Betriebe, für die sie sich bewarben, nicht "high-end" genug gewesen seien.

Von Dänemark nach Portugal

Danyel nickt. Als er vergangenes Jahr aus Dänemark aufbrechen musste, blieb ihm aufgrund der Corona-Restriktionen nur eine begrenzte Auswahl an Ländern, in die er einreisen durfte. Er landete in Portugal, wo er bis heute geblieben ist. Nach einigen Monaten und stellte er wieder einen Antrag auf ein Arbeitsvisum in Dänemark. Man lehnt ihn ab mit dem Verweis, das entsprechende Lokal, das ihm eine Arbeitsstelle angeboten hatte, sei "nicht innovativ genug, um eine Fachkraft aus dem Ausland anzuheuern".

Demonstranten sitzen vor der Einwanderungsbehörde in Kopenhagen, Dänemark
Die Branche erhofft sich mit dem Protest mehr Aufmerksamkeit für die Probleme ausländischer Fachkräfte.
© Privat

Laut der Behörde sei der Hauptgrund für abgelehnte Gesuche jedoch die "Regel der Vermutung", die vergangenen Januar in Kraft getreten ist. Dieses Gesetz befähigt die Agentur dazu, selbst Anträge, die alle formalen Voraussetzungen erfüllen, abzuweisen. "Sofern eine gewisse Vermutung besteht, dass die tatsächlichen Beschäftigungsbedingungen nicht den Angaben im Antrag entsprechen", erklärt man auf stern-Anfrage.

Der Stress und die damit verbundene Unsicherheit belasten Danyel noch immer. "Der Vorfall hat mein Leben aus der Bahn geworfen", sagt, wobei sich ein wütender Unterton in seine Stimme mischt. Neben seiner Knie-Verletzung kämpfe der Peruaner mit Depressionen. "Ich bin sowohl körperlich als auch mental immer noch nicht auf dem Damm."  

Nie mehr zurück nach Dänemark

Der Koch wünscht sich, wie viele seiner Kollegen, soziale Gerechtigkeit. Jessie Lui hofft, mit dem Protest, "sinnvolle Diskussionen anzuregen und schließlich positive Veränderungen im dänischen Einwanderungssystem zu bewirken". Dafür bräuchte es einer Änderung des Ausländergesetzes. Eine Befugnis, die außerhalb der Einwanderungsbehörde liegt. Die Agentur weist ganz klar darauf hin, dass alle Anträge nach den geltenden Gesetzen verarbeitet werden.

Menschen sitzen an Tischen auf einem Markt in Kopnehagen
Nachdem Dänemark die Corona-Maßnahmen beendet hat, ist das Leben in die dänische Hauptstadt zurückgekehrt.
© Jochen Tack / Picture Alliance

"Niemand soll das durchmachen müssen, was mir passiert ist", findet Danyel. Mit dem Sit-in verspricht sich die Branche, mehr öffentliche Aufmerksamkeit auf das Problem ausländischer Arbeitskräfte zu lenken. Danyel unterstützt seine Kollegen aus der Ferne. Seine Zeit in Dänemark ist für ihn endgültig abgelaufen. Er will nicht mehr dorthin zurück.

Eine Rückkehr nach Peru – ein von Armut und den Folgen der Pandemie geplagtes Land – kommt für ihn auch nicht in Frage. Er hofft, dass er ein Arbeitsvisum und damit eine Aufenthaltserlaubnis für Portugal bekommen kann. Von der Vorstellung, dass es dieses Mal problemlos ablaufen wird, hat er sich bereits verabschiedet. „Aber ich gebe nicht auf“, kündigt er an.