Zwischen Kimchi mit Reis und Instantnudeln kann Deutsche in Südkorea schon mal das Heimweh plagen. Vor allem, wenn man nicht mit Essstäbchen umgehen kann. Auch für Micha Richter war der kulinarische Anfang in der Ferne schwer: "Die Zutaten haben hier eine ganz andere Intensität", erzählt der gebürtige Kölner, während seine Angestellten um ihn herum Currywurst und Streuselkuchen servieren. Seit mehr als 20 Jahren lebt Richter in der südkoreanischen Hauptstadt Seoul und hat die traditionelle Küche dabei lieben gelernt. Heute ist er sicher: "Koreanisch ist das Beste, was du essen kannst. Man muss sich nur dran gewöhnen."
Trotzdem führt Richter keines der beliebten urigen Barbecue-Restaurants, sondern eine deutsche Bäckerei mitten in der Megacity. "The Baker's Table" ist zwar nicht die einzige Bäckerei in Seoul. Nur wer in der Metropole Brot- und Backwaren sucht, wird schnell zwar fündig, aber nicht unbedingt befriedigt. Ketten wie "Paris Baguette" oder "Tous les Jours" locken an fast jeder Ecke, bieten aber vor allem Sandwiches, Muffins, aufwendig dekorierte Kuchenstücke oder fluffige Milchbrötchen in verschiedensten Formen. Säuberlich in Plastik abgepackt liegt die meist süße Industrieware in Kühlregalen und auf Tischen verteilt.
Brot backen, "das können sie noch nicht so gut hier", findet Richter. Dabei zieht er die Mundwinkel nach unten und die Schultern nach oben. Der Gedanke an das koreanische Gebäck, das immer irgendwie mit "komischen Käsestücken, Cranberrys oder weiß der Geier was", garniert ist, wahlweise auch mit Ketchup oder Mayonnaise, lässt den Bäcker aus dem Rheinland innerlich erschaudern. Umgekehrt mussten aber auch die Koreaner erst ihre Sympathien für deutsches Brot entdecken. So hat es Richter selbst erlebt.
Bäckerei mit Biergarten-Vibes in Seoul
Das Glück seiner Bäckerei begann vor Jahrzehnten mit Pech: Richter hatte seine Ausbildung zum Konditor bei einer großen Hotelkette in Hongkong absolviert. Für den Meister ging der Bäckersohn in dritter Generation danach noch einmal zurück nach Deutschland. Dort wollten seine Eltern, dass er die Familienbäckerei übernimmt. Die Bilanz war schlecht, die Handelskammer riet Richter ab. Der gelernte Patissier ließ sich also Anfang der 1990er-Jahre – auch der Liebe wegen – nach Seoul versetzen, wo er in den Gastronomiebetrieb der Schwiegerfamilie einstieg. "Wir waren ziemlich erfolgreich. Alles wunderbar", erinnert sich Richter, "bis die Frauen dachten, jetzt brauchen sie mich nicht mehr. Da stand ich plötzlich da, ohne Erspartes. Das war ja alles in den Familienbetrieb geflossen." Zurück nach Deutschland wollte er nicht, immerhin lebten seine beiden Kinder in Seoul.
Also zog Richter wieder die Kochjacke an. Zufällig stieß er auf leer stehende Räumlichkeiten im Nachtschwärmerviertel Itaewon, wo sich internationale Restaurants, teils mit gehobener Küche, mit Bars und Clubs abwechseln. Dort entstand vor zwölf Jahren "The Baker's Table" – eine Bäckerei, die mit ihrer großen Fensterfront und ihrer Veranda von außen wie ein kleiner Biergarten aussieht. Und tatsächlich gibt es an der Theke nicht nur Brot und Streuselkuchen zu kaufen. An einem Automaten rechts vom Eingang können Kunden auch Suppen, Schnitzel und Currywurst ordern.
Dass der Laden überhaupt bekannt wurde und die Koreaner ihre Skepsis gegenüber dem salzigen Sauerteigbrot überwanden, verdankt Richter einem Fernsehteam, das gleich zu Beginn vorbeikam und den Konditor beim Kneten filmte. "Danach riefen Leute aus ganz Korea an und fragten: 'Haben Sie auch Brötchen?'" Richter hatte. Viele seiner ersten Kunden seien Koreaner gewesen, die einige Zeit als Gastarbeiter in Deutschland gelebt hatten. Heute, so schätzt er, sind ungefähr 75 Prozent seiner Kunden Koreaner.
Bei salzigem Brot werden Koreaner skeptisch
Kassenschlager ist allerdings nicht das Brot, es sind vor allem seine Suppen. Wahrscheinlich liegt es an der koreanischen Esskultur – Backwaren stehen morgens nicht auf dem Speiseplan. Auch der deutsche Konditor schlürft hin und wieder morgens eine Schüssel. Er würde aber sagen: "Koreanische Suppen sind gesünder, weil sie leichter sind." Sahnesuppen, auch das kennen sie hier nur aus Deutschland. Daneben seien auch die Brezeln beliebt. Und hin und wieder schwärme auch mal jemand vom "healthy German bread" – wegen des Roggenmehls, das in Korea nicht so leicht verfügbar ist wie in Deutschland und sich im Gegensatz zu Weizenmehl auch eher für herzhaftes Gebäck eignet. Viele seiner Kunden wunderten sich aber, wie die Kruste so hart und das Innere so weich sein könne.

Mittlerweile kämen seine Kunden nicht mehr nur aus Seoul, sondern bestellten "aus der Pampa" regelmäßig mehrere Stangen oder Laibe, erzählt Richter. Was das Brot den Koreanern bedeutet, weiß der Konditor bis heute nicht so genau: "Brot ist für die Koreaner irgendwie wie Kuchen", versucht er zu erklären.

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Wenn irgendwo in Seoul eine neue Bäckerei eröffnet, dann wird Richter schon mal unruhig, gibt er lachend zu. Aber wenn er dann die Instagram-Profile checke, "dann denke ich mir immer: nee!" An die deutsche Backkunst kommt eben in der Megacity Seoul niemand heran. Richters Bäckerei bleibt ein Unikat – das aber eine koreanische Eigenheit kopiert hat: den Streuselkuchen säuberlich in Plastikfolie zu verpacken.