Jagoda Marinić Wir sind die Brandmauer

In diesen Zeiten müssen alle aktiv werden um unsere Demokratie vor ihren Feinden zu verteidigen
In diesen Zeiten müssen alle aktiv werden um unsere Demokratie vor ihren Feinden zu verteidigen
© Illustration: Lennart Gäbel/stern
Die AfD will Migranten und Deutsche aus dem Land weisen. Das könnte jeden treffen. Wer die Demokratie erhalten will, darf nicht mehr schweigen

 

Das ist keine Kolumne, in der ich Ihnen rechte Gedanken präsentieren werde. Ich werde nicht die Begriffe und Ideen der Rechten verwenden, auf dass wir uns alle schön daran reiben, uns empören und am Ende doch nichts anderes tun, als rechtsextremes Gedankengut und rechtsextreme Stichwortgeber noch bekannter zu machen.

Die Saat wurde schon jahrzentelang ausgebracht

Seit Jahren geht das so. Ach was, seit Jahrzehnten, sonst hätten es diese Ideologen nicht so einfach, sich zu etablieren. Es müssten inzwischen alle Bürgerinnen und Bürger dieses Landes mitbekommen haben, dass es verfassungsfeindliche Pläne gibt, die besagen, Menschen des Landes zu verweisen, und welche Partei darin involviert ist. Wenn Sie jetzt denken, mein Gott, es sind ohnehin zu viele oder manche müsste man schon abschieben, dann müssen Sie wohl leider daran erinnert werden, dass es jeden treffen kann. In diesen Plänen ist die Rede von Ausländern, deutschen Staatsbürgern mit Einwanderungsgeschichte, schnell ist man jedoch auch bei jenen Deutschen ohne Einwanderungsgeschichte, die sich etwa 2015 für Flüchtlinge engagiert haben, die sich unliebsam äußern, oder auch bei Journalisten, die hier und da mal "deutschlandfeindliche" Vorschläge befürworten.

Sie glauben das nicht? Dann erinnern Sie bitte sich daran, dass der hessische CDU-Politiker Walter Lübcke im Juni 2019 ermordet wurde, nachdem er sich laut für christliche Werte ausgesprochen hatte und nachdem das Video seiner Rede in den sozialen Medien verbreitet worden war. Das alles ist nicht neu.

Nicht eine rechtsextreme Idee werde ich hier wiedergeben, aber einen Satz, den eine der wenigen Holocaust-Überlebenden, Margot Friedländer, die noch unter uns ist, kürzlich mit ihrer zerbrechlichen Stimme aussprach: "So hat es damals auch angefangen."

Nicht nur die Überlebenden erkennen die Gefahr

Wenn Sie zu jenen gehören, die denken, Überlebende erleben nun einmal die Welt auch auf der Folie ihrer Traumata, dann hören Sie Gerhart Baum zu, den geistig wachen FDP-Politiker und Ex-Innenminister, der auf andere Art ein Zeitzeuge war und der ebenfalls schon länger warnt, es sei der gefährlichste Moment für die deutsche Demokratie seit 1949. Seit Längerem kritisiert er Friedrich Merz und die Ampelpolitiker. Von Kanzler Scholz fordert er auch eine Zeitenwende im Innern, weil genug verharmlost wurde. Teile der AfD seien offen verfassungsfeindlich, so Baum.

Ich könnte jetzt an dieser Stelle versuchen, den Ausweg über Humor zu suchen, etwa weil Madagaskar 2.0 die ganze Einfallslosigkeit einer rechtsextremen Szene zeigt, die letztlich nur die Geschichte der Nazis zu kopieren weiß, die aber stolz darauf ist, Ideengeberin sein zu wollen. Ich denke dann aber an türkische Autorinnen, die wegen Erdoğan im Ausland leben und die erzählen, sie hätten zu lange versucht, Witze zu machen. Sie dachten, man komme so aus der Bedrohung raus, man ziehe dem autoritären Herrscher die Hosen aus, bis er nackt vor einem steht. Man lacht, spottet, nimmt es eben nicht ernst, als könnte man so etwas bekämpfen. Heute sitzen viele seiner Kritiker im Gefängnis, leben in London, Zagreb oder Berlin und wünschen sich, sie hätten die Demokratie ernst genommen, denn Demokratie muss verteidigt werden, man verlacht ihre Gegner nicht.

Es steht alles im Grundgesetz

Seit Jahren sehen die meisten von uns zu, zucken mit den Schultern und denken, das wird schon. Wir bestaunen die rechtsextremen Umtriebe, als seien Rechtsextreme nur so gefährlich wie Tiere in einem Zoo, Exoten der Demokratie, die im Zweifelsfall in einem abgetrennten Gelände leben, als sei ihr menschenverachtender Unfrieden umzäunt. Die Umfragen zeigen jedoch: Die Demokratie ist kein gesichertes Gelände, und gerade in jenen Teilen Deutschlands, in denen der Verfassungsschutz Teile der AfD als gesichert rechtsextrem beschreibt, könnten diese an die Macht kommen. Sollte dies passieren, wären sie durch den Bundesrat im ganzen Land machtvoll. Es würde keine Brandmauer mehr geben können, weil sie politische Ämter ausfüllten. Sie würden im Bundesrat sitzen und ihre anti-demokratischen Vorstellungen mit den Mitteln der Demokratie umsetzen. Das ist ihr Traum, und sagen Sie jetzt bitte nicht, das ist Demokratie. Demokratie kann mit demokratischen Mitteln bekämpft werden, das war den Gründern der Republik bekannt und jedem, der sich mit dem Grundgesetz befasst. Dort steht in Artikel 21: "Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig."

Einstehen für unsere Demokratie

Es geht nicht um politische Empörung, es geht nicht um Moral, es geht im Moment um das politische System der Bundesrepublik Deutschland. Es geht um die Ethik unseres Zusammenlebens, um die Verfassung. Die Gründe für die Stimmung im Land sind vielfach analysiert worden, von den Fehlern der Ampel, der Schwäche von Scholz, der Einfallslosigkeit von Friedrich Merz, wenn es um Ideen für ein modernes Einwanderungsland geht. Das wären jedoch alles lösbare Probleme, gäbe es nicht diesen globalen Kampf gegen demokratische Systeme. Wer die Diskussionen in den USA verfolgt, um Joe Biden, die Demokraten, sieht die gleichen Kämpfe wie bei uns. Es ist auch der Kampf von Troll-Fabriken im Netz, massiver Desinformationskampagnen. Inzwischen hat wohl jeder im Freundeskreis mindestens eine Person, deren Weltbild auf völlig anderen Fakten beruht. Nicht alternativen, sondern falschen.

Gregor Peter Schmitz mit den Buchstaben GPS

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Jagoda Marinić
© Gaby Gerster

Jagoda Marinić schreibt in ihrer Kolumne über in die Welt, wie sie ihr gefällt – oder auch nicht gefällt. Sie ist Autorin verschiedener Bücher (zuletzt "Made in Germany. Was ist deutsch in Deutschland?", "Sheroes. Neue Held*innen braucht das Land") und Host des Podcasts "Freiheit Deluxe". Als Moderatorin der Literatursendung "Das Buch meines Lebens" (Arte), fragt sie bekannte Persönlichkeiten, wie das Lesen ihr Leben verändert hat. Auf Twitter und bei Instagram findet man sie unter @jagodamarinic.

So weit der Politikteil. Als Mensch, der in Deutschland geboren und aufgewachsen ist, frage ich, wie Millionen anderer mit Einwanderungsgeschichte fragen: Wann will die Mehrheitsgesellschaft mit uns zusammen aufstehen und deutlich machen, dass sie den Rechtsextremen dieses Land nicht überlässt? Sie überlässt nicht 20 Millionen Menschen mit Einwanderungsgeschichte den Extremisten. Wir sind keine Verhandlungsmasse, die Mehrheit im Land steht an unserer Seite – und nicht, durch falsch verstandene Toleranz, an der Seite jener, die dabei sind, diese Demokratie und uns abzuschaffen.

Aufstehen für unser Zusammenleben

Was tun, fragen viele? Was auch immer man kann: auf die Straße gehen, Abgeordneten schreiben, Verbündete suchen. Wer sich als Demokrat versteht, darf nicht mehr schweigen. Die Ampel muss ihre Arbeit machen. Die Konservativen sollten lautstark klare Grenzen ziehen gegen Rechtsextremisten. Das werden sie nur tun, wenn Bürgerinnen und Bürger dies einfordern; so normal sind die Rechten schon. Die Zeit der Verharmlosung ist vorbei. Die Zeit, in der Nachricht um Nachricht die Rechten schaulustig bis achselzuckend hingenommen wurden, weil man hoffte, das versende sich. Es verschwindet nicht von selbst, es muss bekämpft werden. Wer jetzt noch immer nichts tut, entscheidet sich für die Abschaffung der Demokratie.

Ich schreibe in einer Zeit, in der so ein Text reichen könnte, um später einen Platz in Madagaskar 2.0 zu bekommen. Es demonstrieren seit Tagen Menschen, die dann vermutlich auch rausmüssten – oder dürften sie gnädigerweise bleiben? Spüren Sie die Perversion dieses Weltbilds? Vielleicht bewegt sich jetzt endlich auch die Mehrheit, und wir bleiben einfach alle zusammen hier.