Der Herbst klopft an. Die Jahreszeit, die wir früher mit Laub und Kürbis in Verbindung brachten und heute mit dem Infektionsschutzgesetz. Gesundheitsminister Karl Lauterbach aber gibt sich zufrieden: "Wir waren noch nie so gut vorbereitet wie dieses Mal."
Eigenlob stinkt gewaltig
Es beeindruckt mich immer wieder, mit welchem Selbstbewusstsein deutsche Politiker verkünden, sie hätten alles im Griff. Wie stolz sie auf das Mindeste sind. Im dritten Jahr der Pandemie loben sie sich selbst dafür, so gut vorbereitet zu sein wie noch nie! Sie halten es für eine irre Leistung, dem Virus im dritten Jahr nicht ebenso hilflos gegenüberzustehen wie im ersten. Na toll!
Dabei ist das neue Gesetz genauso widersprüchlich wie in den vergangenen Jahren: Fliegen im In- und Ausland darf man ohne Maske, aber Zug fahren besser mit FFP2. Wie damals, als man, immerhin maskiert, um die Welt fliegen durfte, aber zu Hause im Theater sitzen durfte man nicht.
Ein Land, drei Lager
Dank dieses Hickhacks haben die politisch Verantwortlichen im Groben drei Lager geschaffen: Das erste ist enttäuscht, weil zu wenig getan wurde (Team Vorsicht). Das zweite findet, wir leben inzwischen in einer Diktatur (Team Querdenker). Und im dritten sind Leute, die sich sowohl vor unbegründeten Freiheitsbeschränkungen als auch vor Covid fürchten, die aber so zermürbt sind von dem Chaos, dass es ihnen fast egal geworden ist. Zu diesem letzten Team zähle ich.
Die letzten zwei Jahre haben so viele Schwachstellen in Deutschland offengelegt. In europäischen Nachbarländern bemitleidete oder verspottete man uns im Wechsel. Die German Angst ist wieder da, und jeder weiß nun, dass wir in Sachen Digitalisierung ein Entwicklungsland sind. Wir Deutsche haben, statt Probleme zu lösen, wieder zum obsessiven Regulieren zurückgefunden. Der Haken an der Sache: Man reguliert nicht gut. Man reguliert, weil man Verordnungen gut kann, man reguliert, weil man daraufhin strafen kann und in einem Betriebsmodus läuft, der auf Autopilot macht. Wie wirksam dieser Modus ist, wird kaum überprüft. Man wartet ewig auf belastbare Evaluationen, und wenn sie vorliegen, ignoriert man sie, wie damals bei den nächtlichen Ausgangssperren.
Management geht auch effizient
Ich möchte hier keine Einzelkritik an Einzelmaßnahmen üben, weil die Fehler im Corona-Management nur ein Symptom für vieles von dem sind, was bei uns nicht mehr funktioniert. Diesen beladenen letzten Satz möchte ich nicht mehr den Rechten überlassen, weil leider zu vieles an ihm stimmt und wir uns alle darum kümmern sollten, dass es anders wird.
Zum Beispiel bei der Bahn: Momentan kommt man aus dem Urlaub zurück und fragt sich, warum bei uns niemand mehr die Bahnhöfe liebt. Warum niemand die Aufzüge pflegt, in die man mit seinen Koffern steigen soll. Warum nicht einmal mehr ein Mitarbeiter in der Nähe der Dinge steht, die nicht funktionieren, um sich für sein Unternehmen zu entschuldigen? Niemand fühlt sich zuständig für all die Dysfunktionalität.
Die Bahn hat fertig
Im Zug stehe ich dann mit zu vielen frustrierten Leuten im Gang, weil wieder zig Züge ausgefallen sind. Der Zug fährt wegen Überlastung nicht los. Niemand erwartet nichts mehr. Ein Kellner aus dem Bistro flucht, weil ihm zwei Gäste ausgebüxt sind; immerhin erwartet er noch, dass Passagiere anständig sind.
Im Sommer postete die Schauspielerin Julie Delpy auf Instagram: Sie habe sechs Stunden in einem Bahnhof gewartet, hing drei im stillstehenden Zug fest: "Das war’s, wir kollabieren!" Wo hing sie fest? In Stuttgart! Einer der größten europäischen Dauerbaustellen und in jedem Fall einer der schlimmsten für Deutschlandreisende. Na dann, bon voyage, auf in einen guten Herbst!