Jagoda Marinić Wie Friedrich Merz den Populismus immer wieder zurückholt

Friedrich Merz scheint mit seinen Aussagen in den Neunzigern steckengeblieben zusein
Friedrich Merz scheint mit seinen Aussagen in den Neunzigern steckengeblieben zusein
© getty images
Beim Wort "Sozialtourismus“ fühlt sich unsere Kolumnistin in die Zeit zurückversetzt, als Männer von der CDU Einwanderer-Kinder loswerden wollten.

Friedrich Merz testet den Boden. Er macht einen Schritt nach rechts und prüft, wie er da steht. Stabil, denkt er, und er sagt Sätze wie: „Wir erleben mittlerweile einen Sozialtourismus dieser Flüchtlinge nach Deutschland, zurück in die Ukraine, nach Deutschland, zurück in die Ukraine.“ Er sieht, in Italien haben sie rechts gewählt. Er hört, einige Deutsche ärgern sich über Kindergartenplätze, die an Ukrainer gehen. Er weiß, die wirtschaftliche Lage macht vielen Menschen Angst.

Er bläst einen braunen Ballon auf und lässt ihn steigen. Der Test misslingt, die Kritik fällt heftig aus; er entschuldigt sich, bleibt aber auch ein wenig dabei. Gute Populisten lassen immer etwas von dem Dreck liegen, den sie vermeintlich zurücknehmen, hoffend, das etwas haften bleibt, schließlich wird der Winter hart.

Jagoda Marinić
© Gaby Gerster

Jagoda Marinić

Die Schriftstellerin und Politologin Jagoda Marinić („Made in Germany. Was ist deutsch in Deutschland?“, „Sheroes. Neue Held*innen braucht das Land“) schreibt alle zwei Wochen – im Wechsel mit Micky Beisenherz – im stern.

Ich fühle mich bei diesen rechten Testballons von Friedrich Merz wie Bill Murray in „Und täglich grüßt das Murmeltier“. Als würde ich tief in den Achtzigern und Neunzigern aufwachen. In den Jahrzehnten, als die CDU vor allem Status und Wohlstand für die sogenannte Mehrheitsgesellschaft sichern wollte. Ihr Feindbild, vor dem sie die Deutschen schützen wollte, waren die Millionen Gastarbeiter, die sie selbst ins Land gerufen hatte, eben weil der deutsche Wohlstand mit ihrer Hilfe gesichert werden sollte.

Die Folgen des Populismus waren verheerend

Doch von Gegenseitigkeit sprach man nie. Die Gastarbeiter sollten bitte stumm arbeiten, nicht von ungefähr lautete ihr Aufenthaltsstatus „Duldung“. Die Geduldeten wurden von manchen trotzdem nicht geduldet. In Rostock und Hoyerswerda brannten die Häuser der Asylbewerber. In Solingen brannte das Haus der türkischen Familie Genç, und in ihm starben Menschen, zu deren Beerdigung unser damaliger Bundeskanzler Helmut Kohl nicht kommen wollte, weil er nichts von Beileidstourismus hielt. Scheint so ein Ding der CDU-Männer zu sein, die Sache mit dem Tourismus.

In den Neunzigern brachte die SPD die doppelte Staatsbürgerschaft für in Deutschland geborene Kinder ins Spiel. Da stellte sich in Frankfurt der CDU-Politiker Roland Koch auf die Straße und sammelte Unterschriften gegen Kinder und Jugendliche wie mich. „Was haben wir denn diesem Land getan?“, dachte ich damals. Ich war 21, hatte gerade mit dem Studium angefangen und verstand die Feindseligkeit der Politiker gegenüber den Menschen meiner Kindheit nicht.

Merz’ Testballon hieß damals „Wir brauchen eine deutsche Leitkultur“. Mit solchen Slogans spielten sich Teile der CDU auf minderheitenfeindlichen Populismus ein. Die Gruppen, die angegriffen werden, wechselten über die Jahre, und die Slogans ließ man irgendwann, vor allem dank Angela Merkel, liegen für eine Partei rechts von der CDU. Merz, als einer, der sich angeblich in der Wirtschaft auskennt, müsste wissen, wie dumm Ausländerfeindlichkeit in einem Land ist, in dem der Wohlstand auch von Einwanderern abhängt, in dem die demografischen Zahlen zeigen, dass es in Zukunft nicht besser wird.

Gregor Peter Schmitz mit den Buchstaben GPS

Wollen Sie nichts mehr vom stern verpassen?

Persönlich, kompetent und unterhaltsam: Chefredakteur Gregor Peter Schmitz sendet Ihnen jeden Mittwoch in einem kostenlosen Newsletter die wichtigsten Inhalte aus der stern-Redaktion und ordnet ein, worüber Deutschland spricht. Hier geht es zur Registrierung.

die halbherzige Zukunft des Friedrich Merz

Ich war Angela Merkel dankbar, als sie Männer wie Merz ausbremste. Aber er ist wieder da, drei Anläufe hin oder her. Er spricht von Zukunft, wagt es aber nicht, sie zu machen. Oder weiß er einfach nicht, wie das geht? Er führt die Frauenquote ein – als Mogelpaket, denn die CDU-Listenplätze bleiben männerdominiert.

Friedrich der Große“ titelte eine deutsche Tageszeitung friedrichtrunken. Bei mir wirkt dieser Trunk nicht. Ich frage mich eher, wie einer „Sozialtourismus“ sagen kann, obwohl er, als Kanzler Scholz noch zögerte, medienwirksam in die Ukraine reiste. Vielleicht war das auch nur Kriegstourismus.