Kachelmann-Verhandlung Kurze Verschnaufpause für den Klugschweizer

  • von Malte Arnsperger
Während am Vormittag noch die Fetzen zwischen Verteidigung und Staatsanwaltschaft flogen, herrschte am Mittag Heiterkeit. Selbst der Angeklagte musste grinsen.

Jörg Kachelmann, sagt der Zeuge vor Gericht, habe sich selbst öfter mal als „Klugschweizer“ bezeichnet. Jörg Kachelmann, so der Zeuge weiter, sei als Moderator eine „Rampensau“. Jörg Kachelmann grinst, sein Verteidiger grinst, selbst die Richter und die Staatsanwälte können sich eines leichten Schmunzelns nicht erwehren. Heitere Stimmung herrscht im Gerichtsaal in Mannheim, als ein Ex-Kollege des Wettermoderators über den Menschen Jörg Kachelmann und dessen „sehr spezielle“ Art plaudert. Für wenige Augenblicke ist an diesem Mittag nichts mehr von der angespannten Stimmung der vorangegangen Stunden zu spüren. Eine willkommene Verschnaufpause für alle Verfahrensbeteiligten, hatte es am Vormittag des 15. Verhandlungstages im Vergewaltigungsprozess gegen Jörg Kachelmann doch einige brisante Momente gegeben.

Eine zierliche junge Frau mit Fellweste, buntem Ringelschal und gebleichter Jeans setzt sich auf den Zeugenstuhl. Xenia R. hat Jörg Kachelmann vorher nie getroffen, nie ein Wort mit ihm gewechselt. Trotzdem kommt ihr eine wichtige Rolle in diesem Prozess zu. Im Vordergrund steht die Frage, in welcher Verfassung sich Kachelmann am Morgen des 9. Februars befand. Zur Erinnerung: Der Moderator soll in der Nacht zum 9. Februar seine damalige Geliebte Silvia May (Namen geändert) vergewaltigt haben. Er bestreitet das. Nach dem einvernehmlichen Sex habe es ein Trennungsgespräch gegeben, ohne heftigen Streit habe er sich dann von May verabschiedet, sei in ein Hotel gefahren und am nächsten Mittag zu den Olympischen Spielen geflogen. Von größeren emotionalen Regungen hat Kachelmann nicht berichtet.

Ein aufgewühlter Herr Kachelmann

Xenia R. ist die beste Freundin einer Ex-Geliebten von Jörg Kachelmann. Und diese ehemalige Partnerin, Katharina T., hat noch am Morgen nach der angeklagten Tat mit dem TV-Moderator telefoniert. In diesem Gespräch, so hat es Katharina T. in nicht-öffentlicher Sitzung berichtet, habe Kachelmann aufgewühlt gewirkt, sie habe sogar befürchtet, es sei etwas mit seinen Kindern geschehen. Diese Schilderungen bergen für Kachelmanns Verteidiger einiges an Sprengstoff, könnten sie doch darauf hinweisen, dass in jener Nacht mehr vorgefallen ist als eine bloße Trennung.

Für Katharina T., sie war rund drei Jahre mit Kachelmann liiert, war das Telefonat mit dem 52-Jährigen offensichtlich so beunruhigend, dass sie sich noch am gleichen Tag an ihre Freundin Xenia R. gewandt hatte. „Katharina hat mich angerufen und gesagt, das Gespräch mit Jörg sei ganz komisch gewesen“, erinnert sich Xenia R. heute vor Gericht. „Fahrig, bedrückt“ sei Kachelmann am Telefon gewesen, so habe sie ihre Freundin Katharina verstanden. „Sie hat gesagt, dass er sonst noch nie so mit ihr geredet habe.“ Der Vorsitzende Richter hakt nach: „Hat Frau T. irgendwelche Schlussfolgerungen aus diesem Verhalten von Herrn Kachelmann gezogen?“ Ja, sagt Xenia R., ihre Freundin habe gedacht, dass da was „Dolles“ passiert sein muss, „irgendetwas, was einem total an die Substanz geht“.

Wahrnehmungen einer angehenden Theaterpädagogin

Die beiden Freundinnen wollen schon Monate früher geahnt haben, dass es bei Jörg Kachelmann zu einem Zusammenbruch kommen könnte. „Ich wusste von Katharina über die Lebensführung von Herrn Kachelmann Bescheid. Und ich habe immer diese Anspannung wahrgenommen, und es war nur logisch, dass es da zum Knall kommen wird.“ Was sie denn damit meine und wie sie darauf gekommen sei, wird Xenia R. von den Richtern gefragt. Die Anspannung in der Beziehung zwischen Katharina T. und dem TV-Moderator habe sie stets gespürt, sagt die Zeugin, mit ihrer Freundin habe sie auch darüber gesprochen, nur genauer beschreiben könne sie dieses Gefühl nicht. „Unsere Meinung war, wenn jemand so lebt, dann kippt es irgendwann um.“ Dies sei eben ihr Eindruck gewesen.

Eindrücke spielen in der ganzen Aussage der Theaterpädagogikstudentin eine dominierende Rolle. Oft berichtet Xenia R. von „Wahrnehmungen“, von „einem Gefühl“, das sie gehabt habe. Nachvollziehbar, hatte sie doch nie Kontakt zu Kachelmann und muss ihre indirekten Interpretationen schildern. „In meiner Situation hier kann ich zu 90 Prozent nur Falsches sagen. Und ich finde es sehr schwierig, Gefühle zu beschreiben“, gibt Xenia R. zu. Doch diese teilweise sehr unklaren Aussagen hätten Kachelmanns Verteidiger Reinhard Birkenstock genug Raum gegeben, um ihre Erinnerungen anzuzweifeln.

"Ich glaube Ihnen nicht"

Birkenstock verzichtete darauf. Er benutzt Xenia R. vielmehr dafür, um die Glaubwürdigkeit und Integrität von Katharina T. zu attackieren. Die hatte dazu selbst den Anlass geliefert: Am Montag war bekannt geworden, dass Katharina T. sich in einem Exklusivvertrag an eine Illustrierte gebunden hat, in der sie über ihre Erlebnisse mit Jörg Kachelmann berichten will. Wie denn der Abend mit der Reporterin dieses Magazins gewesen sei, fragt Birkenstock. „Es war ein schöner Abend, alle haben für mich gesungen, ich hatte schließlich Geburtstag“, antwortet Xenia R. Über den Fall und Katharinas Aussage vor Gericht hätten sie nicht großartig gesprochen. Sichtlich sauer raunzt Birkenstock: „Ich glaube Ihnen nicht.“ Schließlich sei Katharina T. vor Gericht der Lüge überführt worden. Offensichtlich hat Katharina T. in ihrer Vernehmung bestritten, persönlichen Kontakt zur Presse gehabt zu haben. Erst auf Nachfrage hat sie dies dann offenbar zugegeben und den Exklusivvertrag dem Gericht präsentiert.

Gregor Peter Schmitz mit den Buchstaben GPS

Wollen Sie nichts mehr vom stern verpassen?

Persönlich, kompetent und unterhaltsam: Chefredakteur Gregor Peter Schmitz sendet Ihnen jeden Mittwoch in einem kostenlosen Newsletter die wichtigsten Inhalte aus der stern-Redaktion und ordnet ein, worüber Deutschland spricht. Hier geht es zur Registrierung.

Birkenstock hat jedoch noch mehr zu kritisieren, als dass Katharina T. ihre Story an die Presse verkauft hat. „Wissen Sie eigentlich, was Ihre Freundin Herrn Kachelmann in diesem Sommer zum Geburtstag in die Untersuchungshaft geschickt hat“, fragt der Anwalt Xenia R. „Ja, ich glaube es war ein Kondom und Intimlotion.“ Ob Sie denn auch wisse, dass Katharina R. kurz nach der Verhaftung von Kachelmann eine E-Mail mit den Worten „I stand by you“ (ich halte zu dir) an den Wettermoderatoren geschickt habe, dann aber im Sommer plötzlich ihre alten Geschenke an Kachelmann in Rechnung gestellt habe. Ja, auch das wisse sie, sagt Xenia R.

Mit seinem Vorgehen versucht Birkenstock zu beweisen, dass es bei Katharina T. einen Stimmungswandel gegeben hat und sie Kachelmann nur aus Hass mit ihrer Aussage belastet. Staatsanwalt Lars-Torben Oltrogge tritt dieser Interpretation entgegen. Katharina T. habe nicht gelogen, außerdem sei es das gute Recht eines Zeugen, sich in der Presse zu äußern. Und dass Katharina T. dem Angeklagten nicht mehr sehr freundlich gesinnt sei, könne man nachvollziehen, schließlich habe sie erst nach und nach von den vielen Parallelbeziehungen Kachelmans erfahren.

Auch Silvia May hat lange nichts von dem ausufernden Liebesleben ihres Geliebten gewusst und ihn erst in der fraglichen Nacht damit konfrontiert. Hat Kachelmann sie aus diesem Grund vergewaltigt? Die Frauenärztin, die Silvia May am Morgen des 9. Februar untersuchte, hat jedenfalls keine Verletzungen im Intimbereich des mutmaßlichen Opfers gefunden. Vor Gericht sagte die Medizinerin aber aus, dass jede Vergewaltigung anders ablaufe und es deshalb auch unterschiedliche Verletzungen gebe. Mit Vorsicht zu genießen ist deshalb auch die Aussage der Ärztin, Hämatome an den Beinen, so wie sie Silvia May hatte, könnten auf eine Vergewaltigung hinweisen. Es wird die Aufgabe der zahlreichen am Fall beteiligten Gerichtsmediziner sein, die Spuren an Silvia May zu deuten und zu interpretieren. Dies wird jedoch frühestens am 1. Dezember passieren. Bis dahin gönnt das Gericht allen am Verfahren Beteiligten eine Pause. Auch dem Klugschweizer.