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"Grenzen werden verschoben" Mit SS-Tattoo in KZ-Gedenkstätte: Deutsche Erinnerungsorte verzeichnen immer mehr rechte Umtriebe

Eingangstor des früheren KZ Buchenwald in Thüringen
Eingangstor des früheren KZ Buchenwald in Thüringen
© Bodo Schackow / DPA
Antisemitische Schmierereien und offenes Auftreten von Rechtsradikalen: Die deutschen KZ-Gedenkstätten beobachten einen Anstieg rechter Umtriebe – und sind angesichts des gesellschaftlichen Klimas tief besorgt um Demokratie und Erinnerungskultur.

Kippt das erinnerungspolitische Klima in Deutschland, wie die Stiftung der KZ-Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora mahnt? Diese und andere Orte zur Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus stellen eine vermehrte Präsenz von Rechtsradikalen und immer mehr rechtsextremen Straftaten auf ihren Geländen fest. Das geht aus einer Erhebung des Redaktionsnetzwerkes Deutschland (RND) unter den sechs großen vom Bund geförderten KZ-Gedenkstätten hervor. Einige Beispiele:

Rechte Vorfälle in KZ-Gedenkstätten

  • Die Gedenkstätte Buchenwald und Mittelbau-Dora (Thüringen) stellte Anfang September ein auf den Parkplatz gesprühtes Hakenkreuz fest und schrieb: "Mittlerweile vergeht kaum eine Woche ohne Neonazi-Schmierereien."
  • Auch in der brandenburgischen Gedenkstätte Ravensbrück wurde eine Hakenkreuz-Schmiererei gemeldet.
Nazi-Symbole: Die Codes der neuen Rechten
  • "In der Gedenkstätte Sachsenhausen stieg die Zahl rechter Vorfälle von zuvor durchschnittlich weniger als fünf Vorfällen in den Jahren 2018 und 2019 auf rund ein Dutzend pro Jahr an", berichtete Horst Seferens, Pressereferent der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, dem RND. 
  • Die Gedenkstätte Bergen-Belsen in Niedersachsen verzeichnet eine stärkere Präsenz von Rechtsradikalen, die sich "mit entsprechenden Statements fotografieren und dies in den sozialen Medien posten", wie es hieß.
  • Die Hamburger Gedenkstätte Neuengamme ließ im Mai einen Besucher von der Polizei des Geländes verweisen, weil er unter anderem SS-Runen auf seiner Wade tätowiert hatte.
  • Auch in Dachau (Bayern) komme es wieder zu Störungen, Vandalismus und Vorfällen, sagte eine Sprecherin. Man stelle zudem eine Zunahme von Angriffen und Störungen im digitalen Raum.

Die Gedenkstätten schalten nach rechten Vorfällen regelmäßig die Polizei ein – insbesondere bei Schmierereien ist es aber häufig schwer bis unmöglich, die Urheber auszumachen. Parallel wappnen die Einrichtungen ihr Personal durch Trainings im Bereich der Gedenkstättenpädagogik und Vermittlungsarbeit.

Stiftung warnt vor Zunahme der Demokratiefeindlichkeit

Doch das allein wird nicht reichen, um der gesellschaftlichen Entwicklung zu begegnen. Die immer mehr werdenden Vorfälle seien "ein Seismograf dafür, dass versucht wird, diese Grundfeste der heutigen Bundesrepublik ins Rutschen zu bringen", sagte die Vizedirektorin Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, Rikola-Gunnar Lüttgenau, dem RND mit Blick auf die deutsche Erinnerungskultur. Dazu trage auch die Politik und Rhetorik der AfD bei.

"Die Grenzen des Sagbaren werden seit einiger Zeit verschoben, und demokratiefeindliche und rechtsradikale Ansichten scheinen hoffähig geworden zu sein", stellte Stephanie Billib, Sprecherin der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten fest.

Oliver von Wrochem, Leiter der KZ-Gedenkstätte Hamburg-Neuengamme erklärte: "Mit Sorge beobachten wir und auch andere KZ-Gedenkstätten in Deutschland, dass der gesellschaftliche erinnerungspolitische Konsens durch die Normalisierung rechter Diskurse verstärkt infrage gestellt und brüchig wird. Damit fällt eine wichtige moralische Leitplanke in unserer Demokratie weg."

Quellen: Redaktionsnetzwerk DeutschlandBundesregierung zu KZ-Gedenkstätten, Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, Nachrichtenagentur DPA

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