Letztes besetztes Haus von Berlin High Noon an der Liebig 14

  • von Philipp Elsbrock
Polizisten haben das letzte besetzte Haus Berlins geräumt. Neun Bewohner harrten dort bis zum Ende aus. Bis zuletzt haben sie versucht, die Räumung zu verhindern.

Der Mundharmonikaspieler beginnt, als die grün-weißen Busse anrollen. Aus unsichtbaren Boxen schallt die Melodie des Italo-Westerns "Spiel mir das Lied vom Tod". In Berlin-Friedrichshain ist High Noon - auch wenn es gerade erst dämmert. Polizisten in Schutzmontur steigen aus ihren Bullis, sie wollen rein, rein in das Haus an der Liebigstraße 14. Dazu haben sie Äxte mitgebracht, Vorschlaghämmer, Kettensägen, denn niemand macht die Tür auf. Sie räumen das letzte besetzte Haus der Stadt, der Gerichtsvollzieher ist auch da. Insgesamt 2500 Beamte aus dem gesamten Bundesgebiet sind im Einsatz.

"Ihr seid echt so erbärmlich"

In den Nachbarhäusern haben sich Unterstützer auf die Balkone gestellt, mit Holzlöffeln schlagen sie auf Pfannen und Töpfe. Dazu jault durchgehend eine Sirene. "Ihr seid echt so erbärmlich", ruft eine Frau. Es sind nur wenige, vielleicht zwei Dutzend, die es bis zum besetzten Haus geschafft haben. Die Polizei hat vorgesorgt und das Gebiet weiträumig abgesperrt. Vor den Polizeiketten stehen junge Leute in schwarzen Jacken und schwarzen Hosen, in der Hand halten sie eine Flasche Bier. "Nehmt ihr uns die Häuser ab, machen wir die City platt", brüllen sie.

Um 8.08 Uhr melden die Beamten: "Wir sind drin!". Zumindest durch die ersten Barrikaden haben sie sich den Weg gebahnt, bis zu den Bewohnern wird es noch einige Stunden länger dauern. Das Treppenhaus ist mit Sperrmüll verstopft, Stacheldraht und verschweißte Stahlträger versperren den Zugang. Eine Wanne gefüllt mit Flüssigkeit und Kabeln erweist sich als ungefährlich. Erst am frühen Nachmittag stoßen sie auf die verbliebenen neun Bewohner, die im dritten Stock hocken und die Polizisten mit weißem Spray aus Feuerlöschern begrüßen. Alle wurden vorübergehend festgenommen.

Vermieter hat 1999 gekündigt

Jahrelang hatten sie sich juristisch gegen die Räumung gewehrt, einen Eilantrag in letzter Minute lehnten verschiedene Berliner Gerichte am Dienstag ab. Zwar hatte die Stadt das "alternative Wohnprojekt Liebig 14" zwischenzeitlich legalisiert. Nachdem ein privater Investor das Gebäude 1999 gekauft hatte, kündigte er jedoch die Verträge der Mieter.

Eine Berliner Tradition scheint damit vorerst beendet zu sein. Die Stadt habe eine Attraktion verloren, sagte ein Sprecher der Stadtverwaltung ironisch. Die Geschichte der Hausbesetzungen ist lang, schon in den 1970er und 1980er Jahren gab es in Berlin-Kreuzberg Auseinandersetzungen mit der Polizei. Den folgenreichsten Häuserkampf erlebte die Stadt im Herbst 1990. Damals zerbrach der rot-grüne Senat, weil die Alternative Liste unter Renate Künast den Ausstieg aus der Koalition beschloss. Schwere Straßenschlachten um besetzte Häuser in der Mainzer Straße hatten dazu geführt.

Kritik an Vermittler Ströbele

Heute hat die Grünen-Frau offenkundig eine andere Sicht auf die Dinge. Sie bedauere die Räumung, doch sei die Lage rechtlich klar, sagte sie. Ihr Parteikollege Hans-Christian Ströbele aus Kreuzberg-Friedrichshain hatte noch während des Polizeieinsatzes zu vermitteln versucht. "Der Hausbesitzer wollte aber nicht mit mir sprechen", sagte Ströbele am Rande der Räumung. Er plädiere für Maßnahmen zum Milieuschutz, etwa eine Mietobergrenze, fügte er hinzu. Der Berliner Innensenator Ehrhart Körting (SPD) zeigte kein Verständnis für die Rolle Ströbeles. Das Verhalten der Demonstranten sowie der Bewohner verdiene keine falsche politische Sympathie.

Auf spontanen Kundgebungen im Viertel hatten Demonstranten Böller und Flaschen auf die Polizisten geworfen, acht mussten deshalb ins Krankenhaus. Zeitweilig war die Frankfurter Allee, eine breite vierspurige Straße, für den Verkehr gesperrt. Insgesamt 32 Festnahmen habe es gegeben, hieß es bei der Polizei. Das Gebäude an der Liebigstraße 14 steht nun unter dem Schutz eines privaten Wachdienstes. Er soll eine erneute Besetzung verhindern.

Der Schwarze Block gab nicht auf

Am Abend dann haben rund 2000 Demonstranten versucht, zu dem geräumten Haus vorzudringen - und wurden von der Polizei daran gehindert. Die Stimmung war äußerst gereizt und aggressiv. Feuerwerkskörper wurden gezündet, Flaschen und Steine gegen Polizisten geworfen. Nach etwa eineinhalb Stunden erklärte der Versammlungsleiter die Demonstration für beendet. Vermummte aus dem sogenannten Schwarzen Block kamen der Aufforderung, sich zu entfernen, aber nicht nach. Die Polizei fuhr zwei Wasserwerfer auf.