Die Wahl von Margot Käßmann zur EKD-Ratsvorsitzenden ist auch eine nüchterne Sachentscheidung: Ohne einen ähnlich profilierten Mitbewerber fiel die Entscheidung bei der Jahrestagung der Protestanten am Mittwoch in Ulm klar auf die 51-Jährige. Mit Charme und Nachdruck vertritt sie die Anliegen der Kirche in der Öffentlichkeit - für die kommenden sechs Jahre nun auch als oberste EKD-Vertreterin.
Vorwürfe, sie sei eine "Quotenfrau" oder als berufstätige Mutter mit ihren Ämtern überlastet, hat Käßmann schon lange abgeschüttelt. Vielmehr hat sie sich in den zehn Jahren an der Spitze von Deutschlands größter evangelischer Landeskirche als erfolgreiche Geistliche und Führungsperson erwiesen. Sie kann der Kirche nicht nur in der Gesellschaft Gehör verschaffen, mit sympathischer Art erobert sie auch die Herzen vieler Menschen - und darauf ist die schrumpfende Kirche angewiesen.
Kirche in der Krise
Als Person verbirgt sich Käßmann nicht hinter ihrem Amt. Auch schwere Krisen wie eine Krebserkrankung und ihre Ehescheidung versteckte sie nicht. Sie wolle ehrlich und wahrhaftig sein, meinte sie. Eine Illustrierte ernannte sie vor ein paar Jahren zur "Frau des Jahres 2006".
Die Wahl der populären Bischöfin zeugt vom Modernisierungswillen der evangelischen Kirche, aber auch von der Notwendigkeit einer starken Führungsperson: Die Kirche ist in der Krise - nicht nur, weil die Wirtschaftslage die Steuereinnahmen einbrechen lässt. Seit Jahren schrumpft die Zahl der Mitglieder und die Prognosen sagen weitere dramatische Rückgänge voraus.
Evangelische Kirche in Deutschland (EKD)
Die EKD ist der Zusammenschluss von 22 lutherischen, reformierten und unierten Landeskirchen in Deutschland. Das Dach der 16.100 rechtlich selbstständigen Kirchengemeinden vereinigt nach eigenen Angaben 25,4 Millionen Christen. Die EKD sorgt seit 1948 dafür, dass die Gliedkirchen in wesentlichen Fragen nach übereinstimmenden Grundsätzen verfahren. Sie kann etwa zur Ausbildung der Pfarrer und zur Vermögensverwaltung Richtlinien aufstellen und nimmt Stellung zu Fragen des öffentlichen Lebens. Mit der hannoverschen Landesbischöfin Margot Käßmann ist nun erstmals eine Frau zur EKD-Ratsvorsitzenden gewählt worden. Ihre Amtszeit beträgt sechs Jahre.
"Sehnsucht nach Glauben wecken"
Um ein Abgleiten in die Bedeutungslosigkeit zu verhindern, hatte Käßmanns Vorgänger, der Berliner Bischof Wolfgang Huber, einen Reformkurs eingeleitet. Strukturen werden nun gestrafft, das protestantische Profil geschärft - der Erfolg aber ist ungewiss und Käßmann mehr als alle Vorgänger als Visionärin gefragt. "Wir müssen im Menschen Sehnsucht nach Glauben wecken", meinte sie. Die Sehnsucht sei da, die Menschen aber sähen den Glauben nicht, analysierte sie die Lage der Kirche.
Gegenüber der neuen Bundesregierung wird Käßmann den sozialpolitischen Kurs der Kirche verteidigen. Armut, insbesondere von Kindern, Miss-Stände bei der Pflege alter und kranker Menschen, Flüchtlingspolitik - all das sind Themen, zu denen Käßmann bereits klar Stellung bezogen hat. "Die soziale Frage liegt mir sehr am Herzen", sagte sie in Ulm. Ein Anliegen der Kirche wird außerdem die Stärkung des Religionsunterrichts sein, der nicht nur durch das alternative Schulfach Ethik in Berlin unter Druck gerät.
Für den Dialog mit der katholischen Kirche
Im Verhältnis zu den Katholiken strebt Käßmann mehr Gemeinsamkeiten an: "Bei aller Differenz und dem je eigenen Profil verbindet uns mehr als uns trennt." In einer säkularisierten Gesellschaft sei ein gemeinsames Auftreten von großem Gewicht, hatte sie betont. "Meine Erfahrung ist: Je stärker wir gemeinsam auftreten, desto eher werden wir gehört." Nach jüngsten Streitereien um ein kritisches Papier über die katholische Kirche aus dem EKD-Kirchenamt will Käßmann zu einem verbindlichen Dialog zurückkehren.

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Kirchenintern verstand sie es, sich aus Grabenkämpfen der Protestanten herauszuhalten. Diese hatten zuletzt die Wahl des EKD-Rates in der Nacht zum Mittwoch zu einem 16-stündigen Abstimmungsmarathon mit einem zunächst unbesetzten Platz gemacht. Um der Kirche zu mehr Schlagkraft zu verhelfen, wird es Käßmanns Aufgabe sein, solche internen Spannung zu entschärfen.