Ökobilanz Ist Kleidung aus altem Plastikmüll besser für die Umwelt?

Nachhaltiger Kleiderschrank?
Nachhaltiger Kleiderschrank?
© Getty Images
Früher gab es Kleidung für "gut" und Kleidung für den Alltag. Eigentlich eine sehr gute Idee, in puncto Nachhaltigkeit. Mittlerweile produzieren viele Modehäuser lieber schnelle Textilien aus altem Plastikmüll. Ist das besser?

Meine Oma gehörte noch zu der Generation, die sich "schick" machte, um in die Stadt zu fahren. Es gab Kleider, die sie im Haus trug, und es gab solche, die geschont wurden. Letzteres habe ich als Kind und Jugendliche nie verstanden – warum sollte ich meine schönsten Kleider nicht immer tragen? Heute wünsche ich mir manchmal etwas von der Wertschätzung zurück, die meine Oma ihren Kleidern entgegenbrachte.

Vor ein paar Jahren habe ich die Dokumentation "The True Cost" gesehen, zu Deutsch: "Der Preis der Mode". Was sich damals bei mir einbrannte, ist die unglaubliche Eile, mit der unsere Kleidung produziert und weggeworfen wird. Jeder rennt und hetzt, eine Kollektion jagt bei den großen Modehäusern die andere. Mehr als 20 sind es bei Zara im Jahr, H&M kommt auf wenigstens 16. Am Ende steht ein Karussell, das sich immer schneller dreht und Kleider wie kurzlebige Verbrauchsgüter auf wachsende Müllberge spuckt. Von Wertschätzung keine Spur.

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Tag der Erde

Jedes Jahr am 22. April findet weltweit der "Tag der Erde" statt, der die Wertschätzung für die Umwelt fördern und zum Nachdenken über den eigenen Konsum anregen soll. Die Medien der Bertelsmann Content Alliance nehmen den Aktionstag zum Anlass, um unter dem Motto "Packen wir's an" über Themen rund um den Klimawandel und den Zustand unseres Planeten zu berichten.

Die Bekleidungsproduktion hat sich von 2000 bis 2014 verdoppelt. Durchschnittlich 60 Kleidungsstücke kauft der deutsche Verbraucher pro Jahr – und trägt sie nur noch halb so lange wie vor rund 20 Jahren. Damit die Modeindustrie in diesem Tempo produzieren kann, hat sie sich in hohem Maße von synthetischen Fasern abhängig gemacht. Sie sind günstiger und schneller in der Herstellung als Naturmaterialien – basieren jedoch vor allem auf Erdöl. Dass Letzteres mittlerweile ein Unwort ist, haben auch die Modefirmen verstanden und wollen seit einigen Jahren eine Lösung gefunden haben: Kleidung aus recyceltem Plastikmüll. Dafür kooperieren große Marken wie H&M und Adidas mit Organisationen, die Plastikmüll in Ländern sammeln, in denen es kein funktionierendes Recyclingsystem gibt. Das Plastik wird geschreddert und in aufwendigen Verfahren zu synthetischem Garn, meist Polyester, verarbeitet. Das klingt erst mal gut. Warum nicht etwas Neues herstellen aus Abfall, den sonst keiner haben will?

Fundierte Ökobilanzen fehlen bislang

"Wenn schon Kunststofffasern verwendet werden, sind Recyclingfasern grundsätzlich der richtige Ansatz", sagt auch Philipp Sommer, Experte für Kreislaufwirtschaft bei der Deutschen Umwelthilfe. Aber von der Begeisterung, mit der die Modehäuser ihre grüne Alternative bewerben, ist bei ihm nichts zu hören. Der Grund: Die Modefirmen verwenden fast ausschließlich Plastikflaschen für das Recycling, weil sie keine giftigen Rückstände enthalten und verhältnismäßig sauber sind. "Einwegplastikflaschen gehören aber so schnell wie möglich abgeschafft", erklärt Sommer. "Man baut auf einen unhaltbaren Zustand und schlägt daraus Kapital."

Wie nachhaltig die Verwendung von recyceltem Plastik tatsächlich ist, lässt sich zudem kaum nachweisen, weil fundierte Ökobilanzen bislang fehlen. Auch H&M kann dazu auf Nachfrage keine genauen Angaben machen: Durch die Wiederverwendung von Materialien werde der Ressourcenbedarf reduziert und der Materialeinsatz generell optimiert, heißt es. Zwar bestätigen auch Sommer und Brigitte Zietlow, Textilexpertin am Umweltbundesamt, dass recycelte Synthetikfasern erst mal besser sind als neu hergestellte – aber beide halten den Unterschied für gering. Und er steht vermutlich in keinem Verhältnis zu der riesigen Marketingmaschine, die den Firmen ein grünes Image geben will. So wirbt etwa Adidas damit, Turnschuhe und Kleidung aus Meeresmüll herzustellen. Der Meeresmüll allerdings war nie im Meer. Er wird an Stränden und in Küstenregionen gesammelt, ehe er ins Wasser gelangen kann, erklärt ein Pressesprecher. Tatsächlicher Meeresmüll wäre zu stark verunreinigt.

Das Fazit der Experten ist ernüchternd: Ein perfektes Material gibt es nicht. Am besten sei es zwar, Materialien im Produktkreislauf zu belassen, also aus Altkleidern neue Textilien herzustellen, aber auch das wird die CO2-Emissionen der Modeindustrie kaum reduzieren. Es muss einfach weniger produziert werden, so die einhellige Meinung. Das heißt für uns: ein bisschen mehr sein wie meine Oma.

Erschienen in stern 28/2021