Antischwarzer Rassismus findet auch im deutschen Gesundheitssystem statt. Menschen auf ihre Hautfarbe zu reduzieren ist hochproblematisch, in der Dermatologie aber ist es unabdingbar. Die Hautärztin Ephsona Shencoru erklärt, warum fehlende Inklusivität in der Hautgesundheit fatale Konsequenzen haben kann.
Menschen mit schwarzer Hautfarbe werden in der Medizin oft anders behandelt als Menschen mit weißer Hautfarbe. Der Afrozensus 2020 – eine erste Befragung unter Tausenden BIPoC, die in Deutschland leben – lieferte Ergebnisse, die das belegen. In einem Bereich der Medizin aber muss die Hautfarbe sogar im Vordergrund stehen. Keinen Unterschied zu machen, ist hier Teil des Problems: In der Dermatologie spielt Inklusivität eine wichtige Rolle. Aber Lehrbücher beziehen sich fast immer nur auf weiße Patienten. Die Fachärztin für Dermatologie in Berlin, Dr. Ephsona Shencoru, erklärt, warum das für BIPoC gefährlich werden kann.
Frau Shencoru, warum ist fehlende Inklusivität besonders in der Dermatologie so problematisch? Hauterkrankungen sehen auf dunkler Haut anders aus als auf heller. Wenn Inklusivität nicht schon Teil der Ausbildung ist, lernen Dermatolog:innen nicht, diese Erkrankungen bei BIPoCs zu erkennen. Das sind dann diese alltäglichen Beispiele, bei denen etwa eine Schuppenflechte nicht erkannt wird, weil sich das Rot auf dunkler Haut nicht so zeigt. Oder Akne, bei der man fälschlicherweise davon ausgeht, dass eine Entzündung bereits abgeklungen ist. Die Konsequenz ist, dass wir Ärzte im schlimmsten Fall zu spät reagieren oder falsch therapieren.
Besonders in der Dermatologie spielt Inklusion eine große Rolle. Schon in Lehrbüchern werden viele Hautkrankheiten ausschließlich auf weißer Haut abgebildet.
Welche Folgen kann das haben? Eine Rötung ist ein wichtiges Zeichen, um einen Entzündungsprozess zu erkennen. Nur, Rot ist nicht gleich Rot. Was auf heller Haut lachsfarben oder kirschrot aussehen kann, kann auf dunkler Haut gräulich oder violett erscheinen. Wenn ich eine Entzündung übersehe, kann dies zum Teil gravierende Folgen für den Patienten haben. Ich habe zum Beispiel über eine Kollegin von einem Vorfall erfahren, bei dem ein schwarzer Patient mit Schmerzen in eine Notaufnahme kam und ein Abszess am Unterschenkel nicht entdeckt wurde. Dem Mann musste schließlich sein Bein abgenommen werden. Das sind Dinge, die nicht passieren dürfen.
Warum gibt es diese Wissenslücken in unserem Gesundheitssystem? Die Wissenslücken beginnen beim Lehrmaterial. Bücher bilden Inklusivität nicht genügend ab. Wir sind aber ein sehr deskriptives Fach, bei dem es diese Abbildungen braucht. Als ich studiert habe, gab es kein Material, das alltägliche Hauterkrankungen auch auf dunkler Haut zeigt. Wenn wir von Patient:innen im Vorlesungsraum lernen sollten, haben wir nur infektiologische Krankheiten aus anderen Breitengraden bei BIPoC zu sehen bekommen – das ist aber nicht der Alltag.
Dr. Ephsona Shencoru arbeitet als Fachärztin für Dermatologie in Berlin.
Haben Sie das Gefühl, dass es inzwischen mehr Repräsentation gibt? Wir haben jedes Semester Studierende am Universitätsklinikum und das ist eine sehr gute Möglichkeit zu sagen: „Wir ändern jetzt etwas und schauen auch unser Bildmaterial noch einmal durch.“ Das Schöne ist, dass das sehr gut ankommt. Inzwischen bemängeln die Studierenden auch, wenn das Lehrmaterial nicht divers genug ist und fragen aktiv nach. Der Diskurs findet statt.
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Mal abgesehen von der Ausbildung, wo sehen Sie in der Medizin noch dringend Nachholbedarf? Ein wichtiger Punkt ist die Forschung. Die Studienpopulation muss unbedingt inklusiver werden. Zuallererst müssten viel mehr Frauen in Studien berücksichtigt werden, aber auch Menschen aus unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen – damit man prüfen kann, ob das Medikament, das ich entwickle, auch wirklich für alle gleich gut ist. Wir haben in Deutschland wenige Studien, die unsere strukturellen Ungleichheiten berücksichtigen.
Sie haben selbst einen Blog zum Thema Diversität in der Dermatologie ins Leben gerufen –@the_skin_questionnaire. Was wollen Sie damit erreichen? Als ich nach Berlin gezogen bin, ist mein Freundeskreis immer diverser geworden. Und ich bin oft angesprochen worden: „Endlich mal eine schwarze Dermatologin.“ Dadurch entstand die Idee einer öffentlichen Plattform, mit der über Dinge gesprochen werden kann, die meine Freunde und Patienten bewegen. Hier in Deutschland gibt es bereits viele Influencer aus dem Beauty- und Skincare-Umfeld, die sich mit Inklusivität auseinandersetzten, aber noch nicht viele, die auch die medizinischen Aspekte mit reinbringen. Ich wollte eine Plattform zum Austausch, die fundiertes Wissen rund um die Hautgesundheit vermittelt – und Menschen mit ganz verschiedenen Hintergründen anspricht.