Öffentliche Gebäude Die Milliarden-Herausforderung der Kommunen im Norden

Nach gut 40 Jahren muss das Norderstedter Rathaus umfassend saniert werden. (Archivbild) Foto: Markus Scholz/dpa
Nach gut 40 Jahren muss das Norderstedter Rathaus umfassend saniert werden. (Archivbild) Foto
© Markus Scholz/dpa
Sanierungsstau, steigende Kosten und neue Anforderungen: Kommunen im Norden stehen vor Milliarden-Investitionen in Schulen, Rathäuser und weitere öffentliche Gebäude.

Das Norderstedter Rathaus, im August 1984 als Herzstück der neuen Stadtmitte eröffnet, wirkt wie ein grundsolider Rotklinkerbau. Der Eindruck täuscht. Die Drehtür am Haupteingang ist schon lange kaputt. Wenn es regnet, fangen Eimer tropfendes Wasser in der Rathauspassage auf.

Doch das sind nicht die größten Probleme. Es mangelt an Brandschutz, technischer Infrastruktur und modernen Arbeitsplätzen. Die Not ist groß genug, dass jetzt ein zumindest vorübergehender Umzug in ein von der Lufthansa verlassenes riesiges Verwaltungsgebäude in einem Gewerbegebiet geplant wird.

Oberbürgermeisterin Katrin Schmieder (Grüne) nennt Dach und Fenster, Strom- und Datenleitungen sowie Brandschutz als Probleme. Man sei in den vergangenen 40 Jahren den Anforderungen nicht gerecht geworden. "Maßnahmen mit großer Perspektive seien schlichtweg nicht erfolgt und nicht nur nicht im Rathaus, sondern an vielen anderen Standorten der Stadt auch."

Hoher Sanierungsbedarf in vielen Städten und Gemeinden

Die meisten Städte und Gemeinden in Schleswig-Holstein müssen in den nächsten Jahren riesige Summen in ihre Infrastruktur investieren, um Schulen und Kitas, Rathäuser, Büchereien und Theater, Schwimmbäder und andere öffentliche Gebäude zu erhalten oder neu zu bauen.

Gregor Peter Schmitz mit den Buchstaben GPS

Wollen Sie nichts mehr vom stern verpassen?

Persönlich, kompetent und unterhaltsam: Chefredakteur Gregor Peter Schmitz sendet Ihnen jeden Mittwoch in einem kostenlosen Newsletter die wichtigsten Inhalte aus der stern-Redaktion und ordnet ein, worüber Deutschland spricht. Hier geht es zur Registrierung.

Alleine in Norderstedt dürfte der absehbare Bedarf in den kommenden 15 Jahren bei bis zu zwei Milliarden Euro liegen, wie Schmieder sagt. Eine Bestandsaufnahme in der mit rund 85.000 Einwohnern viertgrößten Stadt des Landes:

Das meiste Geld wird für die Sanierung und den Neubau von Schulen benötigt. Im Stadtteil Glashütte entsteht ein komplett neues Schulzentrum für rund 150 Millionen Euro. In Friedrichsgabe erhält das Schulzentrum Nord einen Erweiterungsbau. Zusammen mit der Sanierung des Bestands kommen rund 100 Millionen Euro zusammen. Nicht viel anders sieht es am Gymnasium Harksheide aus.

Die größten Summen gehen in den Schulbau

Im Stadtteil Garstedt wird ein Millionenbetrag in das Coppernicus-Gymnasium investiert. Ebenfalls in Garstedt baut die Stadt eine neue Grundschule mit Sporthalle und Kita für 60 Millionen Euro. Weil Norderstedt weiter stark wächst, entsteht auch im Norden der Stadt eine neue Grundschule mit Sporthalle und Lehrschwimmbecken für eine noch nicht berechnete Summe.

Die Stadt hat mit dem Aufbau einer Berufsfeuerwehr begonnen und benötigt dafür ein Feuerwehrtechnisches Zentrum. Die geplante Kosten liegen bei 60 bis 80 Millionen Euro.

Das Investitionspaket des Bundes helfe, sagt Schmieder. Die erwarteten etwa 35 Millionen Euro seien aber auch nur ein "Tropfen auf einen sehr heißen Stein." Schon jetzt hat die Stadt Probleme mit dem Haushalt, es wird an vielen Stellen gekürzt und manches wird für die Bürger teurer.

Stadt kauft ein großes ehemaliges Lufthansa-Bürogebäude

Weil für eine Sanierung des Rathauses ein Ausweichquartier benötigt wird, kaufte die Stadt eine ehemalige Lufthansa-Immobile von einem Immobilienfonds. Zwischenzeitliche Überlegungen, für immer in die neue Immobilie umzuziehen und das Rathaus anders zu nutzen, hatten Unruhe vor allem in der Kommunalpolitik und bei den Geschäftsleuten in Norderstedt-Mitte ausgelöst. Ob die gesamte Verwaltung nach der bis zu 75 Millionen Euro teuren Sanierung zurückkehren wird, ist offen. Beginnen könnte der Umzug in das Ausweichquartier frühestens Ende 2027.

Auch das Amtsgericht Norderstedt könnte in das Ausweichquartier einziehen. Es muss sein sanierungsbedürftiges Gebäude in Rathausnähe nach dem Willen des Justizministeriums verlassen. Wohl auch wegen des Angebots der Stadt für ein neues Quartier kann die viertgrößte Stadt des Landes ihr Amtsgericht behalten. Was anschließend aus dem alten Gerichtsgebäude in Premiumlage wird, ist noch unklar. 

Rathaus mit Mehrzwecksälen und Volkshochschule verbunden

Zum Gebäudekomplex des Rathauses gehören auch die Mehrzwecksäle "TriBühne", Volkshochschule, Stadtbücherei, Restaurant und kleinere Geschäfte. Auf dem Rathausplatz gibt es einen Wochenmarkt und Veranstaltungen, in unmittelbarer Nähe endet die U-Bahn aus Hamburg und beginnt die AKN-Linie nach Norden. Die Rathausallee ist eine belebte Straße mit zahlreichen Geschäften und Lokalen, einem Kino und einer Einkaufspassage.

Ob der Versuch, der 1970 aus vier Landgemeinden gegründeten Stadt mit Norderstedt-Mitte ein urbanes Zentrum zu geben, geglückt ist, wird von den Bewohnern unterschiedlich bewertet. Eine Verlagerung des Rathauses würde jedenfalls einen Bedeutungsverlust für das Projekt bedeuten, urteilte der Hamburger Wirtschaftsgeograf, Jürgen Oßenbrügge, im "Hamburger Abendblatt".

Viele Gebäude sind gleich alt aus der Gründungszeit der Stadt

Warum trifft es Norderstedt so hart? In wenigen Jahren rund um die Stadtgründung wurden große Teile der Infrastruktur gebaut, die heute sanierungsbedürftig ist. Die Gebäude sind zwischen 40 und 60 und Jahre alt. Fenster und Flachdächer etwa geraten an das Ende ihrer Haltbarkeit. An Elektrik, Datenübertragung und Brandschutz werden heute andere Ansprüche gestellt.

Norderstedt müsse wegen des gleichen Alters der Gebäude mit Sanierungswellen umgehen, sagt der für Bauen zuständige Erste Stadtrat Christoph Magazowski. "Die Kunst wird sein, es für den Haushalt erträglich zu machen, aber auch, es in eine dauerhafte Aufgabe zu überführen." Weder er noch Schmieder sprechen es deutlich aus, aber klar ist auch: An der Bauunterhaltung wurde gespart. Nicht nur aus Geldmangel, sondern auch, weil aufgrund fehlender Daten anderen Projekten Vorrang eingeräumt wurde.

Eine neue Systematik hat Magazowski inzwischen mit externer Hilfe geschaffen. In einer Datenbank sind alle 199 öffentlichen Gebäude der Stadt erfasst. Zu jedem Objekt lässt sich nachlesen, was dringend und was weniger dringend gemacht werden muss - und was es voraussichtlich kostet. Die Daten werden laufend aktualisiert.

So können die Stadtvertreter informierte Entscheidungen treffen und Prioritäten festlegen. Der Plan ist, Instandhaltungsarbeiten zu verstetigen, damit die Stadt nicht in einigen Jahrzehnten wieder vor dem Problem eines riesigen Investitionsstaus steht. Norderstedt sei mit dieser Datenbank ein Vorreiter unter den Kommunen, sagt Magazowski. Schmieder kündigt zeitlich gestreckte Investitionen an. "Selbst wenn wir das Geld hätten, technisch werden wir das nicht in fünf Jahren schaffen."

Gemeindetag sieht Bedarf für Milliardeninvestitionen

Aus Sicht des Schleswig-Holsteinischen Gemeindetags ist das Problem der kommunalen Infrastruktur groß. Diese sei oftmals in die Jahre gekommen und unterliege auch veränderten Anforderungen, sagt das geschäftsführende Vorstandsmitglied Jörg Bülow. "Die Preise für Bau- und Planungsleistungen sind zuletzt drastisch gestiegen. Daher besteht ein riesiger Investitionsbedarf alleine bei den Kommunen in Schleswig-Holstein im Umfang von mehreren Milliarden Euro."

Nach Bülows Erfahrung ist eine konkrete Einschätzung des kommunalen Investitionsbedarfs aber nicht ganz einfach. Nur für Schulen geht die KfW-Bank bundesweit von einem Investitionsrückstand von knapp 68 Milliarden Euro aus. Nach Einwohnerzahl gerechnet, wären das für Schleswig-Holstein rund 2,4 Milliarden Euro. "Das würde ich eher als Untergrenze oder jedenfalls vordringlichen Investitionsbedarf sehen", so Bülow.

Die Kommunen stehen nach Bülows Einschätzung zu ihrer Kernaufgabe, gute Schulen zu bauen und zu unterhalten. Die Rahmenbedingungen für Schulinvestitionen seien in den letzten Jahren aber immer schlechter geworden. "Für manche Schulträger übersteigen die aktuell anstehenden Maßnahmen deutlich die finanziellen Möglichkeiten. Die Kommunen sind strukturell unterfinanziert."

Gemeindetag fordert höhere Steueranteile für Kommunen

Bülow sagt, es helfe nicht, Notlagen mit kurzfristigen und begrenzten, oft sehr bürokratischen Förderprogrammen zu begegnen. "Notwendig ist es stattdessen, die strukturelle Unterfinanzierung der Kommunen zu beseitigen." Aus Sicht des Gemeindetags ist dies nur dadurch möglich, dass auf Bundesebene die Kommunen einen größeren Anteil an dem Aufkommen aus der Einkommensteuer und aus der Umsatzsteuer erhalten. "Außerdem müssen Bund und Länder viel entschlossener das Thema Entbürokratisierung anpacken und die Planung von Schulgebäuden von der Fläche bis hin zur Gebäudetechnik erleichtern."

dpa