Dieser Text stammt aus dem stern-Archiv und wurde im Juli 2024 veröffentlicht. An diesem Montag startet der Prozess gegen die Attentäter, die im März 2024 in der Crocus City Hall im Moskauer Vorort Krasnogorsk 149 Menschen töteten. Aus diesem Anlass publizieren wir den Artikel an dieser Stelle erneut.
Eine abendliche Fahrt heraus aus Duschanbe. Trotz der glühenden Hitze sind die Berggipfel nördlich der Hauptstadt von Schnee bedeckt. Man lässt sie hinter sich, genau wie die Prachtbauten der Regierung, die Baustellen von Wohnhäusern und Autosalons. An der Ausfahrtstraße stehen ein paar ärmlich gekleidete Menschen und verkaufen Bananen. Und schon ist man in der Welt, in der zwei Drittel der Tadschiken leben: Dörfer mit Buckelpisten, über die Jungs in Plastikschlappen die Kühe nach dem heißen Tag von der Weide treiben.
Siodamo Mirsojew, 25, mit weißem Kopftuch und gelbem Kleid, sitzt vor ihrem Haus im Dorf Galachona, eine aus Brettern gezimmerte Barriere dient als Zaun, dazwischen flattern zerrissene Planen. Auf dem staubigen Boden um die schmale, kindlich wirkende Frau herum kauern ihre Kinder, das älteste ist seinem Vater Dalerdschon wie aus dem Gesicht geschnitten.
Dessen Bild ging Ende März um die Welt: In einem Moskauer Gerichtssaal sah man den 32-Jährigen mehr tot als lebendig, im Gesicht deutliche Spuren von Folter, am Hals noch die Reste einer Plastiktüte. Als einer von vier Tadschiken hatte er in der Moskauer Konzerthalle Crocus City Hall 145 Menschen getötet, im Auftrag eines IS-Ablegers. Videos des Anschlags zeigen, wie mutmaßlich Dalerdschon Mirsojew einem Mann mit einem Messer die Kehle durchschneidet.