Es ist gerade einmal ein paar Tage her, dass Virologe Christian Drosten die frohe Nachricht verkündete. Seiner Einschätzung nach sei "die Pandemie vorbei", wie er Ende des Jahres zum "Tagesspiegel" sagte. Deutschland erlebe in diesem Winter die erste endemische Welle mit SARS-CoV-2. Einzige Einschränkung: die Entstehung neuer Virusvarianten. Die aber erwarte er im Moment nicht mehr, so der Leiter der Berliner Charité. Und dann kam XBB1.5. In den USA verbreitet sich die neue Submutation der Omikron-Variante seit einigen Wochen rasant, dort ist sie bereits vorherrschend. Auch in Deutschland ist XBB.1.5 auf dem Vormarsch. Ist das Ende schon wieder zu Ende? Ein Überblick.
Um was für eine Corona-Variante handelt es sich bei XBB.1.5?
Inzwischen gibt es diverse Corona-Untervarianten von Omikron. Eine davon ist XBB, bei der es sich um eine Rekombination von zwei verschiedenen BA.2-Varianten handelt. XBB.1.5 ist eine Weiterentwicklung von XBB.
Was ist neu an der Rekombinante?
Die Corona-Variante XBB.1.5 kommt mit neuen Mutationen. Als Schlüsselmutation bezeichnet US-Experte Eric Topol "eindeutig F486P". Dabei handelt es sich um eine Mutation am Spike-Protein. Bei XBB.1.5 geht es um eine Mutation, die verstärkt Immunflucht betreibt und den Immunschutz unterlaufen kann. Für das Immunsystem ist es schwerer, das veränderte Virus zu bekämpfen. Die Virus-Zellen können sich trotz Antikörpern vermehren.
Robert Neher, Leiter der Forschungsgruppe Evolution von Viren und Bakterien am Biozentrum der Universität Basel, ist mit seiner Einschätzung etwas vorsichtiger. Er sagte der Deutschen Presse-Agentur: "Diese Mutation verbessert möglicherweise die Bindung an den Rezeptor ACE2 auf menschlichen Zellen. Was genau dies bedeutet, ist aber nicht klar." Ihm sei nicht bekannt, dass diese Variante zu schweren Krankheitsverläufen führe.
Krankheiten, die man nicht haben muss

Sie fühlen sich angeschlagen, ein dumpfer Schmerz meldet sich links in Ihrer Brust, er strahlt langsam aus und droht Sie zuzuschnüren. Ein paar Tage später blühen rote Flecken an Ihrer Brust auf, die sich zu einem Band oder Gürtel gruppieren. Spätestens jetzt ist klar: Sie haben eine Gürtelrose, auch Herpes Zoster genannt. Schuld an dieser schmerzhaften Krankheit ist das Varicella-Zoster-Virus (VZV). Stecken Sie sich das erste damit Mal an, bekommen Sie Windpocken. Das geschieht meist in der Kindheit. Danach sind Sie zwar ein Leben lang vor Windpocken geschützt, aber die Erreger bleiben im Körper und können zum Beispiel bei Stress eine Nervenentzündung auslösen - eben die berüchtigte Gürtelrose. Die Wahrscheinlichkeit einer Erkrankung steigt ab dem 50 Lebensjahr. Die möglichen Komplikationen sind gravierend: Siedeln sich zum Beispiel Bakterien auf der verletzten Haut an, droht Ihnen eine sogenannte Superinfektion: Die Stelle entzündet sich zusätzlich, sie vernarbt, und Ihre Haut kann sich sogar dauerhaft verfärben. Haben sich die Zosterbläschen auf Ihrer Stirn oder Ihrer Kopfhaut gebildet, kann der Erreger vorübergehend Ihre Gesichtsnerven lähmen. Ist das Virus in die Zellen Ihrer Augennerven gekrochen, zerstört es möglicherweise die Binde- und Hornhaut. Unter Umständen können Sie erblinden. Ungefähr jeder siebte, der eine Gürtelrose überstanden hat, entwickelt eine sogenannte postherpetische Neuralgie, starke Nervenschmerzen, die Monate länger dauern als die Gürtelrose selbst. Glücklicherweise kann man sich dagegen impfen lassen.
Wie ansteckend ist XBB.1.5?
XBB-Varianten gehören zu denen, die starke Immunflucht betreiben. Daten weisen aber auf eine engere Bindung an seinen ACE2-Rezeptor hin, was laut Topol "seine höhere Übertragbarkeit erklären würde". Dieser Rezeptor wird von dem Coronavirus als Eingangspforte in Wirtszellen, beispielsweise im Nasen-Rachen-Raum, genutzt. Neher sagte zur Übertragbarkeit von XBB.1.5: "Wir beobachten XBB.1.5 seit Mitte November, und ihre Häufigkeit hat sich ungefähr jede Woche verdoppelt."
Wie gefährlich ist die neue Corona-Variante?
XBB.1.5 sei zwar möglicherweise schneller übertragbar als andere Varianten, so die US-Seuchenschutzbehörde (CDC) in einem Tweet, "aber wir wissen nicht, ob sie eine schwerere Krankheit verursacht". Die Variante werde genau beobachtet, um zu prüfen, wie gut Impfstoffe und Behandlungen gegen sie wirken. In New York, das in den USA derzeit als "Modell" für die Entwicklung der Sublinie herangezogen wird, stiegen Ende des Jahres die Krankenhauseinweisungen auf einen Höchststand seit Januar 2022, wie Zahlen des US-Wissenschaftlers JP Weiland belegen.
Wirken die aktuellen Impfstoffe gegen XBB.1.5?
Welchen Einfluss die Mutation auf die Wirksamkeit der Corona-Impfstoffe hat, ist noch unklar. Hinweise darauf, dass die XBB.1.5 nicht nur Immunflucht begehen könnte, sondern auch die Vakzine weniger gegen sie ausrichten können, gibt unter anderem eine Studie, die im Fachmagazin "Cell" veröffentlicht wurde. Demnach wirkten die Impfstoffe sowohl bei Geimpften als auch Genesenen gegen die Vorgänger-Varianten XBB und XBB.1 "deutlich beeinträchtigt", die Antikörper seien gegen "diese neuen Subvarianten weitgehend inaktiv". Dies könne dazu führen, dass es zu einer neuen Welle von Durchbruchs und Reinfektionen komme.
"Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass Infektionen jetzt zwar wahrscheinlicher sein könnten, Covid-19-Impfstoffe aber nachweislich weiterhin Krankenhausaufenthalte und schwere Erkrankungen, [...] sowie möglicherweise das Risiko von post-akuten Corona-Folgeerkrankungen [verhindern]", dies ist in der Studie nachzulesen. Auch Topol spricht sich in Bezug auf eine weitere Studie, die im "The New England Journal of Medicine" erschienen ist, für eine Auffrischimpfung aus, wenn die letzte vier oder mehr Monate zurückliegt.
Wie schnell verbreitet sich die Omikron-Untervariante?
In den USA wurde die Variante erstmals gemeldet. Dort verbreitet sich die Variante rasend schnell. Expert:innen prognostizieren, dass schon in wenigen Wochen das ganze Land betroffen sein könnte. "Ein so schnelles Wachstum einer Variante haben wir seit Omikron BA.1 vor einem Jahr nicht mehr erlebt", twitterte der US-Experte Eric Topol Ende 2022. Laut Zahlen der US-Gesundheitsbehörde CDC ist XBB.1.5 mit einem Anteil von 40,5 Prozent (Stand: 31.12.2022) bereits die dominierende Corona-Variante in den USA. In der vorherigen Woche lag der Anteil noch bei 21,7 Prozent. Ausgehend von aktuellen Daten sagt der Epidemiologe Eric Feigl-Ding, dass sich XBB.1.5 um 120 Prozent schneller verbreite als die zuvor dominierende BQ.1-Variante.
Bisher spielte XBB.1.5 im Wochenbericht des Robert Koch-Instituts (RKI) keine Rolle. Die Vorgänger-Variante XBB.1 wurde jedoch in Kalenderwoche 49/2022 erstmals in den Wochenbericht als zirkulierende Sublinie mit aufgenommen. Sie wurde laut Bericht in mehr als einem Prozent der sequenzierten Proben nachgewiesen "und verbreitet sich in Deutschland und anderen europäischen Ländern zunehmend". Zu diesem Zeitpunkt dominierte in Deutschland noch die Omikron-Sublinie BA.5.
Quellen: "A new variant alert", Nature, National Library of Medicine, RKI, CDC, Cell, NEJM, Tagesspiegel, DPA