Menschen, die nachweislich eine Corona-Infektion durchgestanden haben, dürfen sich als genesen bezeichnen und genießen in der Pandemie einen ähnlichen Status wie doppelt Geimpfte. Allerdings nur für eine gewissen Zeit. Denn liegt die Infektion länger als sechs Monate zurück, gelten sie offiziell nicht mehr als geschützt. Eine zusätzliche Impfung wird empfohlen. Aber warum, wann und vor allem wie oft sollen sie sich Genesene impfen lassen?
Warum müssen sich Genesene überhaupt impfen lassen?
Direkt nach einer überstandenen Corona-Infektion ist der Mensch meist gut gegen den Virus gerüstet. Kommt es in dieser Phase zu einem neuen Kontakt mit dem Virus, rennt dieser, bildlich gesprochen, gegen ein Bollwerk aus Antikörpern und T-Zellen an. Das Immunsystem identifiziert den unerwünschten Eindringling und wehrt ihn ab.
Aber: Das körpereigene Virus-Abfang-System hält nicht ewig stand. Wie lange der Schutz nach der Genesung anhält, ist bei jedem Menschen unterschiedlich und abhängig von der jeweiligen Immunantwort. So bilden manche Menschen viele Antikörper, andere hingegen entwickeln nur sehr wenige. Dabei mischen verschiedene Faktoren wie das Alter oder auch ein durch Medikamente unterdrücktes Immunsystem mit. Zudem sinkt der Antikörperspiegel mit der Zeit ab – bei manchen schneller, bei anderen langsamer. Nach derzeitigem Kenntnisstand hält der Schutz mindestens einige Monate. Daher wird eine Impfung als Auffrischung empfohlen.
Was ist hybride Immunität?
Menschen, die sich mit einer bestimmten Corona-Variante infizieren, entwickeln auch speziell gegen diese Antikörper. Problematisch kann das werden, wenn sie in Kontakt mit anderen Varianten wie der derzeit grassierenden Delta-Variante kommen. Durch die Impfung könnte der Schutz gegen weitere Varianten wie die nun vorherrschende Delta-Variante erhöht werden.
Der US-Virologe Shane Crotty sagte der Nachrichtenagentur "AP", dass Genesene nach der Impfung Antikörper herstellen können, die gegen alle Corona-Varianten wirken. Er nennt das "hybride Immunität". Auch der Chef der Ständigen Impfkommission (Stiko) Thomas Mertens sagte dem "Spiegel", es gebe "ganz gute Daten" aus England, an Hand derer man sehe, "dass die Schutzwirkung nach einer durchgemachten Alpha-Infektion und nach vollständiger Impfung auch bei der Delta-Variante gut ist".
Einmal impfen?
Die Stiko empfiehlt Menschen, die bereits eine Corona-Infektion hinter sich haben, die Auffrischung mit einer Impfstoffdosis. Die Impfung soll dafür sorgen, dass das Immunsystem noch einmal einen Boost bekommt. "Gute Daten zeigen, dass bei Menschen mit einer durchgemachten Infektion auch ein sehr guter Booster-Effekt durch eine Impfung zu erreichen ist", zitiert der "Spiegel" Mertens. Da die Impfung auf den bereits bestehenden Immunschutz aufbaue, sei es möglich, dass die Antikörpermengen nach der Impfung sogar höher seien als nach zweifacher Impfung.
Bestätigt wird das auch von einer Studie, welche Forschende der Rush Universität in Chicago durchführten. Auch sie beobachteten, dass Genesene mit einer Impfung mehr Immunzellen produzierten, die gegen das Virus arbeiteten, als Menschen, die sich zwar nicht infiziert hatten, aber doppelt geimpft wurden.
Zweimal impfen?
"Aufgrund der bestehenden Immunität nach früherer Infektion ist eine Dosis ausreichend", gibt die Stiko in ihrer Empfehlung für die Impfung von Genesenen an. Durch diese ließen sich bereits hohe Antikörperkonzentrationen erzielen, die durch eine zweite Impfstoffdosis nicht weiter gesteigert werde. Auch wenn mehr als sechs Monate seit der Diagnosestellung vergangen seien, reiche eine Impfstoffdosis zur vollständigen Grundimmunisierung aus. Das sieht auch Immunologe Carsten Watzl so. Er hält eine zweite Impfung bei Genesenen nicht nur für unnötig, er bezeichnete sie schon Anfang Juni als Verschwendung. Sie verändere den Antikörperspiegel nicht mehr merklich
Dem entgegen steht jedoch eine Studie aus Großbritannien, die im "Science Translational" veröffentlicht wurde. Demnach habe eine zweite Dosis mit einem mRNA-Impfstoff sehr wohl dazu geführt, dass die Zahl der neutralisierenden Antikörper gesteigert wurde und damit die Schutzwirkung gegen die Corona-Varianten Beta und Gamma verstärkt wurde. Die Wirkung auf Delta wurde nicht untersucht.
Es handelt sich um eine sehr kleine Studie, an der 45 Krankenhausangestellte teilnehmen. 20 davon hatten sich bereits vor der ersten Impfung infiziert. Alle Teilnehmer wurden zweimal mit dem Vakzin von Biontech/Pfizer geimpft. Dabei habe sich gezeigt, dass die Antikörperreaktion gegen Beta und Gamma durch die zweite Dosis erheblich verstärkt wurde. Die Forschenden gehen davon aus, dass für einen breiten Antikörperschutz beide Impfungen auch für Genesene notwendig sind. Die Einschränkung: Es handelt sich um eine Laboranalyse. Außerdem schauten sich die Forschenden ausschließlich die Antikörperantwort an, T-Zellen wurden in die Studie nicht einbezogen.
Ob und wann zu einem späteren Zeitpunkt eine zweite Corona-Impfung notwendig sei, schreibt das Robert Koch-Institut (RKI), lasse sich gegenwärtig nicht sagen. Bei Personen mit eingeschränkter Immunfunktion solle im Einzelfall entschieden werden, ob eine Impfstoffdosis ausreicht oder eine vollständige Impfserie verabreicht werden sollte. Dies hänge maßgeblich von Art und Ausprägung der Immundefizienz ab.
Nicht impfen?
Wer genesen ist, ist meist mindestens für ein paar Monate vor einer schweren Corona-Infektion gefeit. Aber der Schutz hält nach aktuellen Erkenntnissen nicht ewig an, sondern lässt über die Zeit nach. Wer sich gegen das Virus wappnen möchte, muss sich daher impfen lassen. Laut RKI gebe es in den bisher vorliegenden Studienergebnissen keine Hinweise darauf, "dass die Impfung nach einer durchgemachten SARS-CoV-2-Infektion problematisch beziehungsweise mit Gefahren verbunden wäre, das gilt für Sicherheit, Wirksamkeit und Verträglichkeit der Impfung."

Wann impfen?
Bis vor kurzem konnten Genesene sich ein halbes Jahr nach der Infektion die Impfung abholen, jetzt ist das schon ab vier Wochen nach Abklingen der Symptome möglich. Als Booster-Impfung können laut Stiko alle zugelassenen Corona-Impfstoffe genutzt werden.
Gegenüber der "Berliner Zeitung" sagte der Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Immunologie allerdings: "Man sieht, dass eine zweite Impfung mit einem mRNA-Impfstoff bei bereits Geimpften einen deutlich besseren Immunboost gibt als eine zweite Impfung mit einem Vektorimpfstoff. Von daher könnte man davon ausgehen, dass mRNA-Impfstoffe auch bei Genesenen eine stärkere Schutzwirkung bringen als Vektorimpfstoffe."
Quelle: RKI, Stiko, JAMA Network Open, Science Transnational, Berliner Zeitung, Spiegel