Wer einmal eine Chili-Schote aus dem oberen Drittel der Scoville-Skala erwischt hat, wird sich Zeit seines Lebens an dieses Gefühl erinnern - wie sich die Schärfe als höllischer Flächenbrand in Mund und Rachen fräst und die Tränen aus den Augen treibt. Alle Löschversuche von Milch über trocken Brot bis hin zu Olivenöl: erfolglos. Selbst Lebensmittelexperten wussten bislang nicht wirklich auf die Frage zu antworten, was Chili-Schärfe am wirkungsvollsten neutralisiert. Was Ernährungswissenschaftlerin Désirée Schneider der Hochschule Fulda nun herausgefunden hat, dürfte Konsumenten wie Lebensmittelindustrie daher gleichermaßen interessieren. Die Lösung: Mascarpone auf nicht geröstetem Toastbrot.
"Bis wir das herausgefunden haben, mussten meine Probanden und ich aber ganz schön leiden", sagt die 29-Jährige nach zahlreichen Tests und Verkostungen für ihre Doktorarbeit. Die Probanden mussten bei den Tests in Wasser gelöstes Capsaicin - ein in Chilis für Schärfe verantwortliches Alkaloid - zu sich nehmen und dann bewerten, welche Mittel die Schärfe am besten mildern. Am wirkungsvollsten waren demnach Toastschnitten mit italienischem Frischkäse. Mascarpone liefere viel Fett, in welchem sich das lipophile Capsaicin gut löse. Zudem enthalte der Frischkäse konzentrierte Milchbestandteile wie beispielsweise Casein, die Alkaloid vom Schmerzrezeptor in der Schleimhaut des Mund- und Rachenraums lösen.
Das Toastbrot reibe die Schärfe wie ein Zungenschaber von den Rezeptoren auf der Zunge, erläutert Schneider. Durch das Kauen des Brotes verweile das Neutralisationsmittel zudem länger im Mund-Rachenraum als bei Flüssigkeiten. Das Toast sollte deswegen nicht geröstet sein, damit die Röststoffaromen nicht weitere Empfindungen auslösen, erklärt Ingrid Seuß-Baum, Professorin für Lebensmitteltechnologie an der Hochschule Fulda, auf Stern-Anfrage. Für die Neutralisierung der Schärfe sei ein möglichst neutraler sensorischer Eindruck notwendig.
Fett, Stärke und Zucker mildern Schärfe
Capsaicin verursacht in Chilis und anderen Paprikagewächsen das typische Brennen in Mund und Rachen. Bei Chilis sitzt es hauptsächlich in den weißlichen Scheidewänden, nicht im roten Fruchtfleisch. Jalapeno und Habanero seien mit die schärfsten Chilis. Nach dem Biss in eine Schote dockt das enthaltene Capsaicin an die Schmerzrezeptoren an und führt zu heftigem Brennen.
Messen lässt sich Schärfe in Scoville Heat Units (SHU). Der Pharmazeut Wilbur Scoville aus Detroit entwickelte 1912 die Scoville-Skala. Bei der Messung geht es darum, Chili-Extrakte immer weiter zu verdünnen, bis keine Schärfe mehr auf der Zunge spürbar ist. Tabasco-Extrakt muss zum Beispiel im Verhältnis 1 zu 120.000 verdünnt werden. Die Chili-Sorte Orange Habanero hat hingegen 210.000 SHU. Das chemisch reine Capsaicin hat 16 Millionen SHU.
Generell gilt: Fett, Stärke und Zucker mildern Schärfe. So helfe auch mit Zucker gesüßte Kondensmilch. Oder, wenn auch weniger wirkungsvoll, süße Limonade. Wichtig sei: bloß kein Wasser. Capsaicin ist nicht wasserlöslich und die Schärfe würde dadurch nur verteilt.
Mascarpone auf Toast für Nestlé
Für die Industrie sind die Erkenntnisse der dreieinhalbjährige Forschungsarbeit ebenfalls von Interesse. Werden neue, scharfe Produkte entwickelt, spielt eine wirkungsvolle Neutralisation bei der Verkostung eine wichtige Rolle. "Mascarpone auf Toast – das werden wir mal ausprobieren", sagt Lebensmittelchemiker Christoph Sippel, der bei der Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG) für die Qualitätskontrollen in der Ernährungswirtschaft verantwortlich ist. Auch Nestlé sei bereits auf die Ergebnisse aus Fulda aufmerksam geworden. Bisher habe der Konzern Weißbrot bei seinen Sensorik-Tests verwendet, was bei dem Schärfegrad der Produkte aber nicht ausreichend sei, so Nestlé-Sensorik-Experte Helge Fritsch. Zukünftig werde man bei Nestlé Mascarpone auf kaltem Toast reichen.
"Wir können noch nicht sagen, ob es vielleicht noch etwas effektiveres gibt", sagt Seuß-Baum. Eine vollständige Neutralisation sei nicht erreicht worden. "Wir konnten nur feststellen, dass dies das wirksamste von den von uns untersuchten Neutralisationsmitteln, wie Milch, Sahne, Käse, Joghurt und verschiedene Mischungen mit Zucker und Brot, war."