Deria Frank sitzt im Schneidersitz in ihrem Wohnzimmer und schaut in die Kamera ihres Laptops. Sie ändert das Licht im Raum einige Male, fragt die Köpfe in den Zoom-Kacheln auf dem Bildschirm, ob es so angenehm ist. Sie nicken, Deria wirkt zufrieden. Sie möchte, dass zum Start ihres sechswöchigen Hormonyoga-Kurses alles perfekt ist.
Die Stunde beginnt mit einer Anfangsentspannung und einem gemeinsam gesungenen Mantra – ein "heiliger Vers", der in Gebeten oder während Meditationen rezitiert wird. Dass er sich in diesem Fall an eine weibliche Göttin richtet, liegt auf der Hand. "Wie gut wisst ihr über euren Zyklus Bescheid?" fragt Deria schließlich. Einige Frauen strecken ihren Daumen nach oben, nicken, andere wiegen den Kopf von links nach rechts. Die meisten von ihnen sind hier, weil sie mehr über sich und ihren Zyklus lernen wollen. Oder weil sie hoffen, dass Hormonyoga ihre Beschwerden lindern kann.
Hormonyoga kennt auch Kritik
Die Technik dahinter wurde in den 90er Jahren von der brasilianischen Psychologin Dinah Rodriguez entwickelt für Frauen in ihren Wechseljahren, die unter den Folgen des natürlichen Hormonrückgangs litten. Rodriguez konzipierte eine Reihe von Übungen, die ihrer Idee nach die Produktion weiblicher Hormone in den jeweiligen Organen steigern sollten. In eigenen Studien will sie damals die Wirksamkeit ihres Konzeptes nachgewiesen haben, bis heute fehlen allerdings breit angelegte Untersuchungen. "Dinah Rodriguez stützt ihr ganzes Konzept darauf, dass sie selbst jenseits der Wechseljahre noch hohe Estrogen-Spiegel hatte", erklärt Christian Albring, Präsident des Berufsverbandes der Frauenärzte und niedergelassener Frauenarzt in Hannover. "Sie führte das auf ihre ständige Yoga-Praxis zurück, was aber nicht überprüft werden kann." Besonders kritisiert Albring, dass Rodriguez' Studien mit nur zwei Frauen durchgeführt wurden. "Sie hat bei diesen beiden Frauen nach einigen Monaten deutliche Anstiege des Estrogens entdeckt. Es gab aber keine Vergleichsgruppe, keine Folgestudie, nichts dergleichen."
Für Albring gibt es keine Hormonyoga-Übungen, mit denen eine Frau den Spiegel ihrer Hormone Estrogen und Progesteron gezielt beeinflussen könnte. Allerdings könnten "Yoga, Sport und andere Übungen die Beschwerdesymptomatik eines Hormonmangels bei manchen Frauen reduzieren."
"Nehmen Sie doch wieder die Pille"
Deria hat sich vor zwei Jahren als Hathayoga- und schließlich als Hormonyoga-Lehrerin ausbilden lassen – für sie steht außer Frage, dass die Übungen wirksam sind. "Es ist ja nicht so, dass wir hier in eine Glaskugel schauen oder Karten legen. Einige Hormonyoga-Kurse werden sogar von den Krankenkassen übernommen." Schon länger werden die Übungen von Frauen angewandt, die entweder in den Wechseljahren sind oder unter verschiedenen Auswirkungen eines hormonellen Ungleichgewichts leiden. Das können ein unregelmäßiger Zyklus sein, Schmerzen während der Periode oder ein unerfüllter Kinderwunsch. Deria selbst hatte nach dem Absetzen der Pille starke depressive Phasen und Schmerzen während ihrer Periode. Mit Mitte 20 besuchte sie mehrere FrauenärztInnen und bekam immer den gleichen Rat: "Nehmen Sie doch wieder die Pille." Diese allerdings steht zunehmend in der Kritik: In Studien wurde nachgewiesen, dass die Pille das Risiko für Thrombosen, Depressionen und Brustkrebs erhöht. "Ich konnte nicht akzeptieren, dass die Pille das einzige Mittel sein soll." Deria lernte Hormonyoga kennen und blieb dabei. Seit einem Jahr bietet sie eigene Kurse an.
"Hormonyoga kann auf euch ein bisschen befremdlich wirken", sagt sie und meint auch die Frauen in der Gruppe, die bereits lange Yoga machen oder selbst Yogalehrerin sind. "Macht euch keine Sorgen, wenn ihr es nicht sofort hinbekommt. Die Übung macht‘s." Und das meint sie wörtlich, denn die Teilnehmerinnen sollen in den nächsten Monaten beinahe täglich praktizieren.
Im Yoga – nicht nur im Hormonyoga – geht man davon aus, dass der Körper aus Lebensenergie (Prana) besteht, die sich lenken lässt. Diese Energie soll durch Yoga-Übungen ins Fließen gebracht werden. Die speziellen Hormonyoga-Übungen wiederum, sollen die Energie zu den weiblichen Organen leiten, die Hormone produzieren.
Was heißt es eigentlich, Frau zu sein?
"Ich möchte Frauen ermutigen, in die eigene Weiblichkeit zu gehen", sagt Deria später bei einem Spaziergang durch einen Hamburger Park. Sie wohnt mitten auf St. Pauli, trägt eine Vintage-Lederjacke und Sneaker. Wenn sie über ihre Arbeit spricht, strahlt sie, dann wechselt ihre Tonlage, ihre Stimme wird fröhlich und die Worte reihen sich schneller aneinander. Vielleicht auch, weil diese Freude noch recht neu ist – und hart erkämpft wurde. Deria war noch vor wenigen Jahren ziemlich weit weg von dem Leben, das sie heute führt. Sie hat Hotelmanagement studiert und in dem Bereich gearbeitet, wechselte dann zu einem großen Mode-Onlinehänder und arbeitete im E-Commerce – bis es nicht mehr ging, bis Kopf und Körper rebellierten. Sie krempelte alles um, lebte für einige Monate im Ausland, machte schließlich die Ausbildung zur Hormonyoga-Lehrerin.
"Wir Frauen haben gelernt, uns anzupassen"
"Frausein heißt nicht, sich weiblich anzuziehen und feenhaft durch die Welt zu laufen", sagt Deria – und kritisiert: "Unsere Gesellschaft will uns in bestimmte Formen drängen." Gerade in der Arbeitswelt würde bis heute das männliche Prinzip dominieren. Sie spricht von Leistungsdruck und Konkurrenzverhalten – beides kennt sie aus ihren früheren Jobs. "Wir Frauen haben gelernt, uns anzupassen. Wir wollten Karriere machen, haben uns die Eigenschaften abgeguckt, die Männer haben."
Deria allerdings gehe es nicht darum, dass Frauen in Vorständen sitzen oder bei der Sprache mitgedacht werden, sie möchte das Frauen in unserer Gesellschaft wieder mehr Frau sein dürfen. Aber was heißt das genau? "Im Berufsleben und auf der Führungsebene kann das bedeuten, liebe- und verständnisvoller mit seinen Mitarbeitern umzugehen. Dieses Mütterliche in gewisser Weise, das man aufeinander achtet, ohne in gegenseitige Konkurrenz zu treten."
Im Alltäglichen sei es wichtig, sich als zyklisches Wesen zu begreifen. "Frauen haben eine zyklische Natur", sagt Deria. "Jeden Monat durchlaufen wir vier verschiedene Phasen unseres Zyklus, die Produktion verschiedener Hormone in unseren Körpern schwankt. Es gibt Phasen, in denen man produktiver ist, in denen eine andere Gehirnhälfte arbeitet."
Leben nach dem eigenen Zyklus
Vor zwei Jahren hat Deria angefangen, ihr Leben und ihren Alltag nach ihrem Zyklus auszurichten. "Ich habe meine Zyklusphasen in meinem Kalender markiert und in der Woche meiner Periode nehme ich mir nichts vor, das viel Energie kostet." Hätte sie sich in dieser Woche zu einem Interview getroffen? "Eher nicht, nein", sagt Deria und schmunzelt. "In unserem Körper passiert jeden Monat etwas, das mental und körperlich anstrengend ist. Man muss sich selbst Freiräume schaffen. Auch die privaten Termine anders planen."
Dass Frauen im Laufe ihres Zyklus Veränderungen ihrer Stimmung wahrnehmen, wird schon seit mehreren Jahrzehnten wissenschaftlich untersucht. "Oft handelt es sich um Phasen der Gereiztheit oder Depressivität, zugleich mit körperlichen Symptomen wie Brustspannen, Kopfschmerzen, Heißhunger", erklärt Albring. Manche Frauen würden auch berichten, dass ihre Libido rund um den Eisprung besonders stark sei. "Das ist von der Natur so eingerichtet, damit es zu einer Befruchtung beziehungsweise einer Schwangerschaft kommen kann", sagt er. Auch Deria berichtet von mehr Lust auf Sex, mehr Selbstbewusstsein und Energie in dieser Phase ihres Zyklus: "Das nutze ich, indem ich zum Beispiel die Planung neuer Projekte in diese Zeit lege."
Seit sie nach ihrem Zyklus lebt, habe sie sich endlich so angenommen, wie sie ist, sagt Deria. "Ich habe mich vorher ständig kritisiert, hatte immer den kleinen Kritiker auf der Schulter." Hormonyoga soll den Kursteilnehmerinnen helfen, mehr nach ihren Bedürfnissen zu leben. "Frauen sollten für sich einstehen und für ihren Körper. Man braucht kein schlechtes Gewissen zu haben, sich bei Menstruationsschmerzen krankzuschreiben. Es sollte auch nicht unangenehm sein, das offen zu kommunizieren."
Für viele Frauen, die unter hormonellbedingten Beschwerden leiden, sei es auch schon eine Erleichterung, den eigenen Zyklus überhaupt erstmal zu verstehen. "Sie erkennen dann Phasen und Muster, wissen, in welcher Zyklusphase die Schmerzen kommen und können sich darauf einstellen."
Wenn die Periode zurückkommt
Am Ende der ersten Hormonyoga-Stunde sind die Haare der Frauen leicht verwuschelt, die Gesichter schauen entspannt in die Kameras. Sie haben heute viel über ihren Zyklus und die verschiedenen weiblichen Hormone gelernt, haben ihre Körper gebogen, kraftvoll geatmet und versucht, Energien zu leiten. Eine Teilnehmerin, die seit mehreren Wochen eine Zyste an ihrem linken Eierstock trägt, konnte fühlen, wo genau sie sich befindet: "Das war beeindruckend", sagt sie, "danke dafür".
Deria sieht zufrieden aus. In einem gemeinsamen Chat wird sie die Frauen in den kommenden Wochen zwischen den Stunden unterstützen. Hier wird sie auch von ersten Erfolgen lesen. "Ich habe gerade das erste Mal seit einem Jahr meine Periode wieder bekommen", schreibt eine Teilnehmerin nach mehreren Wochen. Zwei weitere Frauen berichten, dass ihre Periode das erste Mal seit langer Zeit schmerzfrei sei. Dass diese Ergebnisse allein auf die Hormonyoga-Übungen zurückzuführen seien, würde Albring klar verneinen. Deria allerdings glaubt an ihre Arbeit – sie brütet schon über neue Ideen, um immer mehr Frauen "zurück in ihre Weiblichkeit" zu bringen.
Quellen: Dinah Rodrigues, Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, ÄrzteZeitung, The New England journal of medicine, Bundesverband der Frauenärzte