Der Mittsiebziger litt seit mehr als einem Jahr unter starken Schmerzen im rechten Knie. Beim Sitzen habe er kaum Beschwerden, erzählte er mir. Aber wenn er laufe, tue jeder Schritt weh. Vor einem halben Jahr sei er arthroskopiert worden. Dabei schaut man mit einer Kamera ins Innere des Kniegelenks. Der Operateur entdeckte nichts Auffälliges. Im Anschluss veranlasste ein niedergelassener Orthopäde eine Kernspin-Aufnahme der Lendenwirbelsäule, weil tiefe Rückenschmerzen auch bis ins Knie ausstrahlen können. Es zeigten sich Abnutzungserscheinungen, was in dem Alter normal war. Tatsächlich korrelieren die Befunde auf solchen Aufnahmen selten mit den Beschwerden: Es gibt wissenschaftliche Untersuchungen, die zeigen, dass manche Menschen mit starken Abnutzungserscheinungen gar keine Schmerzen haben. Andere leiden wiederum sehr, ohne dass man auf den Bildern etwas sieht.
Weil es keine schlüssige Erklärung für die Beschwerden gab, erhielt der Patient über Wochen Physiotherapie und schmerzlindernde Spritzen. Die Schmerzen hielten an. Daraufhin suchte er einen anderen Orthopäden auf. Der Arzt wusste sich offenbar nicht anders zu helfen, als noch eine Kernspin-Aufnahme anzuordnen. Der Radiologe entdeckte auf den Bildern einen Bruch: Im oberen Drittel des rechten Oberschenkelknochens verlief ein feiner Haarriss. Die Fraktur erklärte endlich die Beschwerden. Mit jedem Schritt bewegten sich die nicht verheilten Bruchenden und reizten das umliegende Gewebe.