Krankenhaushygiene Videos gegen Schmuddelhände

Von Claudia Wüstenhagen
Manchmal lauert die Gefahr gerade da, wo man Hilfe sucht: Hunderttausende erkranken jährlich im Krankenhaus an Infektionen - wegen mangelnder Hygiene. Eine neue Initiative soll das ändern. Sie setzt auf lustige Videos, die zeigen, dass Händedesinfektion sexy ist und Ärzte am Krankenbett besser nicht rülpsen.

Ein bisschen neckisch winkelt die junge Krankenschwester ihr Bein an, während sie sich ans Waschbecken lehnt. Sorgfältig verteilt sie die blaue Flüssigkeit aus dem Spender auf ihrer Haut, reibt gründlich Arme und Hände ein. Sinnlich fährt sie mit dem Finger an der Innenseite ihres Unterarms entlang, der offen stehende weiße Kittel entblößt ihren Bauch. Ganz angetan ist auf dem Flur ein Zivi stehen geblieben. Verträumt stützt er sich auf die Lehne eines Rollstuhls und verfolgt die verführerische Handhygiene.

800.000 Infektionen pro Jahr

Ob Ärzte und Pflegekräfte in deutschen Krankenhäusern beim Händedesinfizieren tatsächlich so sexy aussehen, wie in diesem Video, sei mal dahingestellt. Sicher ist nur: Viele sind dabei zu nachlässig. Jedes Jahr erkranken bundesweit ungefähr 800.000 Menschen an nosokomialen Infektionen - das sind Krankheiten, mit denen sich die Patienten erst im Krankenhaus infizieren. Um das zu ändern, hat sich der Berufsverband der Deutschen Chirurgen (BDC) mit der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene und dem Berufsverband Deutscher Hygieniker zusammengetan. Ihre konzertierte Aktion "Patientenschutz durch Hygiene" stellten sie heute in Berlin vor. Mithilfe kurzer Videoclips wollen sie das Bewusstsein für Hygiene bei Ärzten und Pflegepersonal schärfen.

Wenn sie vergessen, ihre Hände und Untersuchungsgeräte zu desinfizieren oder Schutzhandschuhe überzuziehen, kann das dramatische Folgen haben. "Manche Patienten kommen wegen einer simplen Sportverletzung am Meniskus in die Klinik. Doch dann gerät ein Keim in die OP-Wunde, und plötzlich ist das Knie steif", sagt Klaus-Dieter Zastrow, Sprecher der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH). "Es kommt vor, dass Menschen dadurch arbeitsunfähig werden und schon mit Mitte 30 in Rente gehen müssen", sagt er.

Greifen solche Infektionen auf den Knochen über, kann es sogar vorkommen, dass die Ärzte Gliedmaßen amputieren müssen. Besonders häufig fangen sich Patienten im Krankenhaus Harn- oder Atemwegsinfektionen ein. Etwas seltener, dafür aber sehr gefährlich sind Blutvergiftungen. Sie können, ebenso wie Lungeninfektionen, schnell zum Tod führen. Ingesamt sterben nach Auskunft der DGKH jedes Jahr mindestens 20.000 Patienten an Krankenhausinfektionen. Doch die Dunkelziffer ist hoch, sagt Zastrow.

Resistenzen gegen Antibiotika

Besonders besorgniserregend: Den meisten Bakterien, die eine solche Infektion verursachen, ist mit herkömmlichen Antibiotika nicht beizukommen. Durch den leichtfertigen Einsatz von Antibiotika sind viele Keime resistent geworden. Umso wichtiger ist es also, dass Bakterien erst gar nicht von Krankenbett zu Krankenbett transportiert werden. Ein Drittel aller nosokomialen Infektionen wäre durch bessere Hygiene zu vermeiden, meinen Experten.

Wie sie ihre Hände und Untersuchungsgeräte richtig desinfizieren und wann Handschuhe zu tragen sind, das sollten Ärzte und Schwestern eigentlich wissen. Eigentlich. "Wenn ich frage, wann haben Sie das letzte Mal Ihr Stethoskop desinfiziert, dann bekommen viele Ärzte einen roten Kopf", sagt Hygienefacharzt Zastrow. Jörg-Andreas Rüggeberg hat beobachtet, dass manche Schwestern, die nicht selbst bei einer OP Hand anlegen, bei der Arbeit ihre Ringe nicht ablegen und eine Katzenwäsche machen, um den Schmuck nicht mit chemischem Reiniger zu strapazieren. Der Vizepräsident des Bundesverbands Deutscher Chirurgen (BDC) weiß: "Das Bewusstsein für strenge Hygiene geht in der täglichen Routine häufig verloren."

Trügerische Sicherheit durch Technik

Außerdem würden sich viele durch den hohen Grad der Technisierung in einer trügerischen Sicherheit wiegen. Wer durch automatisch schließende Türen geht und unter Spezialdecken operiert, die den Luftwirbel mindern, halte die Gefahr womöglich für gebannt, so Rüggeberg. "Die Technik verleitet dazu, die einfachen Dinge zu vergessen", sagt der Chirurg.

Deswegen setzt das Aktionsbündnis darauf, das Bewusstsein der Menschen für Hygiene zu schärfen - und zwar mit möglichst simplen Botschaften. "Es gibt zigfach Hygienerichtlinien und Merkblätter in trockenem Amtsdeutsch, doch die sind alle zu sperrig", sagt Rüggeberg. "Es sind die einfachen Dinge, die sich einprägen." Deswegen haben sich die Verbände für Kurzfilme entschieden, die sie per E-Mail an ihre mehr als 15.000 Mitglieder schicken wollen. Wer nicht selbst auf dem Verteiler steht, so hoffen die Initiatoren, bekommt die Mail von Kollegen weitergeleitet. Eine lustige Kettenmailaktion wollen sie so in Gang setzen.

Humor statt Druck

Dabei wird es nicht nur die erotisch angehauchte Desinfektion zu sehen geben. Die Videos zeigen, was im Krankenhausalltag in puncto Hygiene so alles daneben gehen kann. Beispielsweise bei einem Arzt, der den einbandagierten Kopf seines Patienten tätschelt, nachdem er mit seiner Hand die Türklinke angefasst und danach ausgiebig an diversen Gegenständen in seinen Kitteltaschen herumgefummelt hat. Außerdem trinkt er das Wasserglas des Kranken leer, um beim Abschied geräuschvoll zu rülpsen, bevor er den Patienten mit eklig wuchernden Bakterienkolonien auf dem Kopfverband zurücklässt.

"Wir haben bewusst auf Humor gesetzt", sagt Zastrow. "Wenn wir ständig Mails mit Leichenbildern verschicken, sagen die Leute: Ihr übertreibt doch mal wieder." Auch BDC-Vizepräsident Rüggeberg meint, dass man mit Humor mehr erreicht als mit Druck. "Strafandrohungen führen eher dazu, dass man es irgendwann nicht mehr hören kann."

Fortbildung mit Quiz

Wer nicht nur über Filmchen schmunzeln möchte, sondern sein Hygienewissen testen will, kann zusätzlich bei einem Online-Quiz teilnehmen: Wie lange dauert richtiges Händewaschen? Muss ich mir auch dann die Hände desinfizieren, wenn ich bei der Behandlung Handschuhe getragen habe? Langfristig soll der Test zu einem E-Learning-Programm ausgeweitet werden, das als zertifizierte Fortbildung zählt. Außerdem soll es regelmäßige Newsletter und Erinnerungsmails mit praktischen Hinweisen für den Alltag geben. Das Thema Händehygiene ist nur der Auftakt, weitere Schwerpunkte werden folgen.

Um wirklich Erfolg zu haben, muss nach Zastrows Ansicht aber noch mehr passieren. Der DGKH-Sprecher hält es für nötig, bundesweit in Krankenhäusern ab 450 Betten aufwärts einen "Arzt für Hygiene" einzuführen, der Arbeitsabläufe beobachtet, analysiert und seine Kollegen immer wieder daran erinnert, die Regeln der Hygiene einzuhalten. Bislang seien solche Ärzte in Kliniken eine Rarität, lediglich in Bremen, Berlin und Sachsen gibt es sie. Dass ein solcher Aufpasser nötig ist, erklärt Zastrow mit simpler Psychologie: "Das ist wie beim Parken - wenn eine Politesse daneben steht, parkt niemand im Halteverbot. Ist keine da, dann schon."

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