LEBENSMITTELALLERGIEN Ein Biss, ein Schock, die tödliche Gefahr

Die meisten Unverträglichkeiten sind harmlos - doch ein echter Nahrungsmittelallergiker riskiert sein Leben, wenn in seinem Essen nicht deklarierte Zutaten enthalten sind.

Die wenigsten wissen, dass Nahrungsunverträglichkeiten häufig spurlos wieder abheilen

Bei keiner Allergie klaffen medizinische Realität und öffentliche Wahrnehmung so weit auseinander wie bei der Nahrungsmittelallergie. »Mehrere Studien haben die Existenz allergischer Reaktionen im Darm bestätigt, mit einer ungefähren Häufigkeit von etwa ein bis zwei Prozent bei Erwachsenen«, stellt Privatdozent Stephan Bischoff, Gastroenterologe an der Medizinischen Hochschule Hannover, fest. Aber: Bei Befragungen glauben 20, teilweise gar bis zu 45 Prozent der Deutschen, von Lebensmittelallergien befallen zu sein. Dass die Zahl der Erkrankungen so sehr überschätzt wird, liegt nicht zuletzt daran, dass Ernährung mittlerweile zum medialen Dauerbrenner geworden ist und jedermann einen guten Rat parat hat. Die wenigsten wissen jedoch, dass Unverträglichkeiten gegen Nahrung häufig spurlos wieder abheilen.

Lebensmittelallergien werden durch in der Nahrung enthaltene natürliche Eiweißstrukturen ausgelöst, die nahezu vollständig bekannt sind. Die meisten Proteine werden durch Kochen zerstört, weshalb es keine gute Idee ist, einer solchen Allergie, wie es oft empfohlen wird, mit Rohkost zu Leibe zu rücken.

Die immer wieder propagierte Überempfindlichkeit gegen chemische Lebensmittelzusätze ist keine echte Allergie, sondern das so genannte pseudoallergische Syndrom. Seine Symptomatik, erklärt Beda Stadler, Professor für Allergologie am Inselspital in Bern, sei von einer echten Lebensmittelallergie nicht zu unterscheiden. »Allerdings treten die Symptome ohne Beteiligung des Immunsystems auf, die Ursachen für die zugrunde liegenden Mechanismen sind weitestgehend unbekannt.« Als Auslöser gelten Lebensmittelzusatzstoffe wie Sulfite, PHB-Ester und Benzoesäure. Doch entgegen landläufiger Meinung treten solche pseudoallergischen Reaktionen sehr selten auf, ihr Anteil wird mit etwa 0,015 Prozent in der Bevölkerung angegeben.

Eine echte Lebensmittelallergie ist äußerst gefährlich

Aber hat nicht jeden von uns schon einmal der Gaumen gejuckt, nach dem Verzehr von Haselnüssen oder einem Apfel? Auch dies kann Stadler erklären: »Es wurde gezeigt, dass das Hauptallergen der Birkenpollen ebenfalls in Äpfeln und anderen Nahrungsmitteln vorkommen kann.« Wer darauf reagiert, erleidet eine Art »Heuschnupfen von innen«, wenn ihm das Allergen von den Kauwerkzeugen auf die Rachenschleimhäute steigt - aber er braucht sich deshalb kaum eine teure und aufwendige Nahrungsmittelallergie-Diagnostik und womöglich noch eine Therapie oder gar spezielle Diät aufzuerlegen. Denn das Risiko, dass auch die Eingeweide in Aufruhr geraten, ist minimal - kaum ein Eiweiß, das im Mund noch juckt, kann den rauen Verhältnisse im Mageninneren trotzen: Es wird von der Magensäure und von Enzymen zerstört.

Eine echte Lebensmittelallergie dagegen ist eine äußerst gefährliche Krankheit. Ein anaphylaktischer Schock kann den Betroffenen töten. Für den Patienten, dessen Erkrankung letztlich nur durch einen klinischen Test gesichert festgestellt werden kann, ist Fast Food, Kantinen- oder Restaurantessen mit versteckten Allergenen ernsthaft bedrohlich; zumal das Deklarationsrecht für Zutaten immer noch so lückenhaft ist, dass der Allergiker oft nicht genau weiß, was er sich gerade in den Mund schiebt.

Gerade hat die Hamburger Verbraucherzentrale eine Untersuchung zur Lebensmittelkennzeichnung abgeschlossen. Ergebnis: »Drei von acht analysierten Schokoladen und Keksen waren mit Haselnuss verunreinigt, ohne dass dies auf der Verpackung stand.« In einer weiteren Probe fanden die Untersucher Erdnusseiweiß - ebenfalls ohne Deklaration. In fünf Chips-Proben war Weizeneiweiß enthalten, wieder ohne entsprechende Kennzeichnung.

Aber auch mangelnde Aufklärung und alltägliche Unvernunft sind schuld, dass noch immer Menschen an ihrer Lebensmittelallergie sterben. Brunello Wüthrich, Dermatologe an der Universität Zürich, beklagt: »Der Hauptfaktor, der zu einem tödlichen Ausgang führt, ist, dass die Opfer ihr Notfallkit mit Adrenalin nicht bei sich haben.«

Christoph Koch

PRODUKTE & TIPPS