Oh, du Einsame! Obwohl Weihnachten seit jeher als das Fest der Familie und des Beisammenseins dargestellt wird, verbringen viele Menschen die Festtage allein. Während sich einige von ihnen bewusst dafür entscheiden und das Alleinsein genießen, leiden andere wiederum an einer zunehmenden Einsamkeit.
Vor allem, wer unfreiwillig wenige soziale Kontakte hat, leidet an den Festtagen, wie Sandra Jankowski, Mitglied im Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland erzählt: "Wir sind auf soziale Kontakte angewiesen, um uns zu entwickeln und wohlzufühlen. Wir brauchen andere." Das Bedürfnis, dazuzugehören sei also tief in uns verankert.
Dieses Bedürfnis wird allerdings für viele Menschen nicht erfüllt, wenn sie die Feiertage allein verbringen. Das trifft laut einer aktuellen Umfrage auf mehr als 2,4 Millionen Menschen allein in Deutschland zu. Laut Dr. Hanne Horvarth, Psychologin und Gründerin der Online-Plattform "HelloBetter", fühlen sich aber nicht alle von ihnen einsam: "Einsamkeit ist nicht mit Alleinsein gleichzusetzen, sondern ein subjektives Erleben, welches unangenehm und häufig schmerzhaft ist", sagt sie im Gespräch mit "web.de".
Weihnachten zwischen Gruppenzwang und Einsamkeit
Laut dem von der Bundesregierung geförderten Kompetenznetzwerk Einsamkeit entsteht Einsamkeit dann, wenn die persönlichen Bedürfnisse und Wünsche durch die vorhandenen sozialen Kontakte nicht erfüllt werden. Das heißt, wenn jemand eigentlich gerne mehr oder andere Beziehungen haben würde, als er hat. Einsamkeit ist damit ein Gefühl, das auch in Gesellschaft entstehen kann, wenn man sich mit den "falschen" Menschen umgibt.
Mit nahendem Jahreswechsel werden wir allerdings überall mit Vorstellungen gefüttert, wie das perfekte Weihnachtsfest im Kreise der Familie und die Silvesterparty mit den Freunden auszusehen haben. Wer keine klassische Familie hat, keinen Kontakt zu ihnen oder aus anderen Gründen keinen großen Bekanntenkreis, dem wird dann schnell die Diskrepanz zwischen dem gesellschaftlichen Idealbild und dem eigenen Leben vor Augen geführt.
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Für viele Jugendliche hat das Tagebuchschreiben einen festen Platz im Alltag. Man notiert, was einen beschäftigt, wie es einem geht und wovon man träumt. Je älter wir werden, desto eher hören wir allerdings damit auf, unsere Gedanken zu Papier zu bringen. Dabei kann so ein Tagebuch echt hilfreich sein. Wer seine Gedanken aufschreibt, der schafft Platz im Kopf. Das hilft vor allem dann, wenn man im Gedankenkarussell gefangen ist oder sich nicht konzentrieren kann, weil ständig neue Tabs im Kopf aufploppen. Außerdem reflektieren wir unsere Gedanken und Erlebnisse noch einmal, wenn wir sie aufschreiben. Das kann uns helfen, den Blick zu weiten und neue Perspektiven einzunehmen. Das Tagebuch kann also helfen, zu neuen Erkenntnissen zu kommen, sich selbst besser kennenzulernen und Struktur ins Gedankenchaos zu bringen. Und wenn man sich daran mal nichtmehr erinnern kann, dann hat man es ja sogar schriftlich.
Und weil wir Menschen nun einmal evolutionär gesehen anpassungswillige Herdentiere sind, kann das zu unangenehmen Gefühlen führen. Horvath sagt dazu: "Weihnachten wird teilweise mit erhöhten sozialen Erwartungen und gesellschaftlichem Druck verbunden. Sieht die Realität jedoch anders aus, können wir uns enttäuscht oder einsam fühlen."
Wie viel Einsamkeit ist normal?
Sich vorübergehend einsam zu fühlen ist zwar erstmal kein Grund zur Sorge – aber manchmal chronifiziert sich das Gefühl und wird zum täglichen Begleiter der Betroffenen. Wenn es länger als zwei Wochen anhält, kann das nicht nur zu psychischen Problemen wie Depressionen führen, wie verschiedene Studien nachweisen konnten. Auch ein ungesunder Lebensstil und Herz-Kreislauf-Krankheiten werden mit Einsamkeit in Verbindung gebracht. Besonders gefährdet sind Menschen in Übergangssituationen, also nach Trennungen, beruflichen Veränderungen oder Wohnortwechseln sowie unter 30-Jährige und Rentner.
Am meisten leiden laut einer Forsa-Umfrage im Auftrag der Malteser aus dem Jahr 2021 allerdings Menschen über 75 Jahren unter der Einsamkeit. Das liegt vor allem daran, dass ältere Menschen häufig auf Hilfe angewiesen sind, um etwas an ihrer Isolation zu ändern. Bekommen sie diese Hilfe nicht, etwa weil ihnen das soziale Umfeld fehlt, dann wird der Weg aus der Einsamkeit umso schwerer. Entsprechende Maßnahmen, um Senioren wieder mehr in das gesellschaftliche Leben einzubinden, gibt es allerdings noch viel zu selten.
Was gegen die Einsamkeit helfen kann
Dabei ist Einsamkeit schon lange kein Randphänomen mehr. Nicht umsonst hat sich in diesem Jahr jeder vierte Anruf bei der Deutschen Telefonseelsorge um das Thema Einsamkeit gedreht, wie Ludger Storch, Vorsitzender der bundesweiten Telefonseelsorge-Arbeitsgruppe Statistik, im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur sagte: "Viele Anrufer berichten, dass sie Schwierigkeiten hätten, mit anderen Menschen wieder in Kontakt zu kommen."
Nach Jahren der Pandemie haben es viele Menschen schlichtweg verlernt, neue Kontakt zu knüpfen oder ihre alten Freundschaften trotz räumlicher Trennung aufrecht zu erhalten. Die Stiftung Patientenschutz bezeichnete Einsamkeit deshalb auch als "die größte Volkskrankheit in Deutschland". Und um die zu bekämpfen, sei jeder einzelne von uns angezählt.
Vorstand Eugen Brysch sagte der Deutschen Presse-Agentur: "Etwas gegen die wachsende Einsamkeit in der Gesellschaft zu tun, kann nicht nur institutionellen Anbietern überlassen bleiben." Es komme darauf an, persönlich Verantwortung zu übernehmen und "Mut zur Ansprache" zu fassen.
Mut und Offenheit als Mittel gegen Einsamkeit
Am Ende geht es wie so oft auch im Kampf gegen die wachsende Einsamkeit in der Bevölkerung darum, dass wir aufeinander achtgeben. Neben der bundesweiten Initiative gegen Einsamkeit der Bundesregierung und unterschiedlichsten Anlaufstellen für einsame Menschen, kann es also auch helfen, wenn wir anfangen, uns in unserer Nachbarschaft einmal aufmerksam umzusehen.
Vielleicht gibt es dort Menschen, die die Feiertage allein verbringen – und die sich über ein nettes Lächeln und ein ehrlich gemeintes "Wie geht es Ihnen?" freuen würden. Das Gleiche gilt übrigens auch für jene, die sich selbst einsam fühlen. Eine offene Grundhaltung anderen Menschen gegenüber ist oft der erste Schritt zu positiven Begegnungen. Und wer weiß: Vielleicht beginnt das neue Jahr mit ein bisschen Mut ja dann mit einer neuen Freundschaft.