Sexualtherapeutin gibt Tipps Wie wir herausfinden, was uns im Bett wirklich gefällt

Paar im Bett
Ein erfülltes Sexleben in der Partnerschaft ist kein Selbstläufer 
© South_agency / Getty Images
Sex gehört für viele Menschen zu einer erfüllenden Partnerschaft dazu. Und trotzdem wissen viele nicht, was ihnen eigentlich wirklich gefällt. Wie wir unsere eigene Sexualität erkunden – und befreiter lieben können. 

Wie oft tun Sie es? Wenn wir wissen wollen, wie es im Bett läuft, dann machen wir das oft daran fest, wie oft ein Paar miteinander schläft. Dabei sagt die Häufigkeit des Geschlechtsverkehrs nichts über die Intensität der Sexualität aus, sagt Sexual- und Paartherapeutin Julia Henchen. Sie unterstützt Paare, bei denen es nicht mehr so läuft mit der Leidenschaft. Ein Gespräch über ein erfülltes Sexleben, den Sinn und Unsinn von Solosex und den Weg zurück zur eigenen Lust. 

Frau Henchen, ich frag Sie mal ganz platt: Was macht ein erfülltes Sexleben aus?
Julia Henchen: Die meisten von uns definieren ihr Sexleben noch immer über die Häufigkeit. Es wird nur gefragt, wie oft wir miteinander schlafen – aber viel zu selten, wie sehr wir das eigentlich genießen. Ich denke, ein erfülltes Sexleben ist eines, in dem ich mich als Mensch gesehen fühle und meine Bedürfnisse kommunizieren kann. Es geht also nicht um Quantität, sondern um Qualität. Es gibt Paare, die haben jede Woche drei Mal Sex, langweilen sich dabei aber insgeheim. Andere Paare schlafen zwei bis drei Mal im Monat miteinander – empfinden das aber als sehr intensiv und erfüllend. Ihnen gelingt es dann oft auch, im Alltag Nähe herzustellen, die nicht auf Sex beruht. 

Die Grenze zwischen unschuldigen Berührungen und sexuellen Handlungen ist oft fließend. Wie definieren Sie Sexualität?
Für mich ist Sexualität in erster Linie eine Frage der Identität. Nur, wenn ich weiß, wer ich bin und was mir selbst guttut und gefällt, wie ich begehrt werden und als Mensch wahrgenommen werden möchte, kann ich auch meine eigene Sexualität so ausleben, wie ich es mir wünsche. Viele sprechen aber in der Beratung von Sexualität, als sei das etwas, was im Außen geschieht, ohne sich zu fragen, was sie eigentlich wollen.

Julia Henchen
Julia Henchen ist Sexual- und Paartherapeutin und Buchautorin. Sie berät Paare und Einzelpersonen in allen Themen rund um eine erfüllte Sexualität. 
© privat

Sie schreiben in Ihrem Buch "Kopf aus, Lust an", dass man sich für ein erfülltes Sexleben auch trauen muss, wirklich gesehen zu werden. Wie meinen Sie das?
Es geht vor allem um emotionale Sicherheit. Viele Frauen kommen zu mir und sagen, dass sie sich eigentlich sicher fühlen in ihrer Partnerschaft. Wenn wir dann aber anfangen, tiefer zu graben, dann kommen eigentlich immer kleine bis größere Unsicherheiten ans Tageslicht. Dann hat der Partner den Sex zum Beispiel mal negativ bewertet oder eine scherzhafte Bemerkung über den Körper der Frau gemacht. So etwas bleibt hängen. Und wenn es häufiger vorkommt, dann trauen sich manche Menschen nicht mehr, sich vor dem Liebsten wirklich zu zeigen, mit ihrem Selbst gesehen zu werden. Das ist der Punkt, an dem oft die Probleme entstehen. 

Es kommt nicht auf die Dauer an

Es ist ja ohnehin schon schwer genug, uns überhaupt einem anderen Menschen gegenüber verletzlich zu zeigen…
Natürlich, Scham spielt für viele Menschen in ihrer Sexualität leider eine große Rolle. Jeder von uns hatte doch bestimmt schon einmal ein peinliches Erlebnis im sexualisierten Kontext. Sobald die Scham hier aber auftaucht, werden wir verkrampfter, die Hürde wird größer, uns wirklich zu zeigen. Stattdessen verstecken wir unsere wahren Bedürfnisse dann lieber, um zu gefallen – oder setzen uns erst gar nicht damit auseinander, was Sexualität für uns eigentlich ist. Dabei können wir erst dann erfüllten Sex haben, wenn wir herausfinden, was uns gefällt.

Und wie finden wir es heraus? Vielleicht durch Masturbation?
Ich bin keine Freundin davon, zu sagen, dass man sich erst selbst lieben muss, bevor man jemand anderen lieben kann. Das sehe ich in Bezug auf unsere Sexualität grundsätzlich auch so. Solo-Sex ist nicht für jeden der beste Zugang zur Sexualität. Wenn ich mich selbst aber als lustvoller Mensch wahrnehmen und mich auch abseits meiner Partnerschaft als sexuelles Wesen kennenlernen möchte, dann kann Masturbation eine tolle Möglichkeit dafür sein. Im Grunde geht es aber eher um die Frage, welche Fantasien ich habe, wo ich gerne berührt werde und wie ich mich beim Sex fühlen möchte. Und das kann man auch gemeinsam herausfinden. Insofern man sich aufeinander einlässt. 

Wie wichtig ist regelmäßiger Sex überhaupt für eine gesunde und glückliche Partnerschaft?
Das kann man nicht pauschal beantworten. Für die einen ist es total wichtig, sich jede Woche mehrmals in den Laken zu wälzen. Für andere reicht es, es einmal im Monat zu tun. Sexualität bringt natürlich nochmal eine andere Intimitätsebene in die Partnerschaft. Aber es gibt eben wie gesagt auch Paare, die können diese Nähe herstellen, ohne dafür zwangsläufig miteinander schlafen zu müssen. Die sind dann auf einer Ebene miteinander verbunden, die andere Paare nicht erreichen, auch wenn sie jeden Tag miteinander schlafen. 

Worauf kommt es dann an?
Ein großer Teil des Verbundenseins beruht auf der Sicherheit innerhalb der Partnerschaft. Nur, wenn ich das Gefühl habe, ich kann mich vor meinem Partner wirklich vollkommen nackig machen – im wörtlichen und übertragenen Sinne – dann lasse ich mich auch wirklich fallen. Das ist die stabilste Basis für die Partnerschaft. Das bedeutet nicht, dass Menschen, die manchmal unsicher sind, das nicht schaffen. Aber Sicherheit macht es einem leichter. 

Irgendwann lässt in den meisten Partnerschaften die Lust aufeinander trotzdem nach. Warum?
Meistens sinkt die Leidenschaft, wenn die erste Verliebtheitsphase abflacht. Die dauert durchschnittlich 18 Monate, kann aber auch mal nur ein halbes Jahr lang gehen. Wenn aus Verliebtheit dann Liebe wird und die Aufregung sinkt, dann wird es im Bett ruhiger. Das Gleiche kann aber auch passieren, wenn ein Paar zusammenzieht oder Kinder bekommt. Also immer dann, wenn sich etwas an der Dynamik innerhalb der Beziehung verändert, wirkt sich das auch auf die Sexualität aus. 

Let's talk about Sex, Baby!

Oft wird gesagt, dass auch der Alltag ein Lustkiller sein kann. Wie kann ich die sexuelle Spannung zwischen Abwasch und Staubsaugen wieder herstellen?
Es ist möglich, dass Partner sich auch im Alltag noch gegenseitig scharf machen. Man darf das Ganze nur nicht als Selbstläufer betrachten. Man sollte versuchen, immer neugierig auf seinen Liebsten zu bleiben. Ganz egal, wie lange man sich schon kennt, man kann immer etwas Neues an dem anderen entdecken. Und das sind oft auch die Momente, in denen das Feuer der Leidenschaft wieder entfacht werden kann. 

Wie kann ein solcher Moment aussehen?
Nehmen wir an, ein Paar sitzt abends mit Freunden zusammen und diskutiert über Frauenrechte. Und auf einmal sagt der Mann etwas sehr feministisches, mit dem seine feministisch positionierte Frau nicht gerechnet hätte. Das kann sehr sexy sein – und den Abend im Bett enden lassen. 

Wenn das nicht hilft – wie sage ich meinem Partner, dass ich gerne mehr Sex hätte? 
Das ist immer ein bisschen schwierig. Oft ist es ja so, dass der eine mehr Sex als der andere möchte. Wenn der eine dann fordert, zieht sich der andere mitunter mehr zurück, weil er sich unter Druck gesetzt fühlt. Das sorgt am Ende für Frust auf beiden Seiten. Besser ist es, die andere Person zu animieren. Es gilt, herauszufinden, wie der Sex sein müsste, damit beide Partner gleichermaßen Freude daran haben. 

Und das kommuniziere ich wie – in "Ich"-Botschaften?
Nein, bloß nicht. Gewaltfreie Kommunikation hat sicher ihre Berechtigung, aber sie wirkt ehrlich gesagt immer sehr einseitig. Es geht immer darum, was ich fühle, ich möchte, ich brauche. Dabei gehören zu einer Partnerschaft immer zwei Menschen. Es geht vielmehr darum, dass der eine Part dem anderen eine Einladung macht. Die kann zum Beispiel so klingen: "Ich wünsche mir, dass wir beide eine Lösung finden, wie wir es hinbekommen, weil du mir wichtig bist."

"Kopf aus, Lust an. Wie du deine Lustlosigkeit überwindest und ein erfülltes Sexleben führst", Julia Henchen, 224 Seiten, 17 Euro. 
© mvgVerlag

Wir sprechen hier vor allem von Frauen. Was ist eigentlich mit den Männern?
Alles, was wir hier besprechen, funktioniert natürlich bei Männern auch. Es ist nur meistens so, dass sich die Frauen darum kümmern, wenn es in der Beziehung eine Sexflaute gibt. Männer haben leider noch immer das Vorbild des wilden Hengstes und gehen deshalb davon aus, dass es im Bett von selbst laufen muss – oder sie sind ein Versager. Das ist natürlich vollkommener Quatsch. Aber dadurch fehlt vielen Männern der Zugang zur Sinnlichkeit leider völlig. 

Sie schreiben in Ihrem Buch, dass man Lust lernen kann. Wie?
Das ist spannend. Ich arbeite mit Frauen zusammen, die kognitiv sehr viel über Sexualität wissen. Nur leider bleiben sie im Kopf und trauen sich nicht, ins Fühlen zu kommen. Aber solange wir nichts an unserem Verhalten verändern, wird sich auch nichts an den Rahmenbedingungen verändern. 

Und wie komme ich konkret ins Tun?
Das erste ist, unser Mindset anzupassen. Wir sind lustvolle Wesen und es ist auch total normal, mal keine Lust zu haben. Das zu akzeptieren, gibt uns schonmal viel Leichtigkeit zurück. Da dürfen wir uns auch gerne von den gesellschaftlichen Kategorien freimachen. Da gibt es nämlich noch vor allem zwei Extreme: Die Schlampe und die Prüde. Dabei ist die Welt der Lust so vielfältig. Ich kann auch eine lustvolle Frau sein, wenn ich gerne mit Jogginghose auf der Couch Chips esse. Das ist das eine. Das andere sind Achtsamkeitsübungen, um unseren Körper besser kennenzulernen. Es reicht, anfangs nur zwei Minuten am Tag bewusst zu atmen. 

Und was ist nun mit Solosex?
Es kann auch helfen, beim Duschen die Vulva ein bisschen zu erkunden. Das muss nicht gleich ins Fingern übergehen, aber es hilft, seine eigene Intimzone besser kennenzulernen und herauszufinden, wo man gerne berührt wird. 

PRODUKTE & TIPPS