Reproduktionsmedizin Familienplanung auf Eis

Karriere oder Kinder? Frauen stecken in der Klemme: Einerseits tickt die biologische Uhr, andererseits verlangt der Arbeitsmarkt seinen Tribut. Das Einfrieren unbefruchteter Eizellen könnte die Familienplanung flexibilisieren.
Von Jens Lubbadeh

Elf Jahre ruhen sie schon in ihrem persönlichen Kryokonservator, tiefgekühlt bei minus 196 Grad Celsius, und werden am Tag ihres Auftauens dennoch so frisch sein wie an dem Tag, als sie ihr entnommen wurden: 15 Eizellen, die nur darauf warten, sich eines Tages in einem Reagenzglas mit einer männlichen Samenzelle zu vereinen und sich in Marens Gebärmutter zu einem Kind entwickeln zu können. Maren S. bereut es nicht, dass sie sich bereits als Zwanzigjährige Eizellen von ihrem Kryotechniker entnehmen ließ - ohne das Ticken der biologischen Uhr im Nacken wollte sich die heute 31-jährige Verlagskauffrau zunächst ganz in Ruhe auf ihre berufliche Karriere konzentrieren. Die läuft zwar gut, doch noch immer fehlt ihr das Entscheidende für ein Kind und eine Familie: der richtige Mann. Von Torschusspanik dennoch keine Spur: Noch gut 20 Jahre Zeit bleiben Maren, um ihre Eizellen in einer Schwangerschaft auszutragen. 50-jährige Mütter, die ihre eigenen aufgetauten Eizellen ausgetragen haben, sind im Jahr 2017 zur Normalität geworden.

Die Kryokonservierung, das Einfrieren von lebenden Zellen bei minus 196 Grad Celsius, wird bei Spermien, befruchteten Eizellen und sogar Embryonen bereits seit Jahren praktiziert. Unbefruchtete Eizellen auf Eis zu legen war bis vor kurzem Wissenschaftlern noch nicht zuverlässig gelungen.

"Enter the Ice Age"

Die USA sind Vorreiter, was diese neue Technik angeht: Unter dem Motto "Enter the Ice Age" wendet sich die Firma "Extend Fertility" - von Frauen für Frauen gegründet - mit dieser Dienstleistung an Kundinnen von 18 bis 40 Jahren. Und auch in Europa hat das Eizellen-Einfrieren schon den Sprung aus dem Labor genommen - genau wie einst die künstliche Befruchtung (In-Vitro-Fertilisation, IVF) und das Einfrieren von Embryonen. In Italien wurden sogar schon die ersten Kinder aus tiefgefrorenen unbefruchteten Eizellen geboren. Nach Behauptung der führenden Wissenschaftlerin Eleonora Porcu sollen so bereits 200 Kinder entstanden seien. In Deutschland friert die Kryobank Bonn als eines der ersten medizinischen Zentren unbefruchtete Eizellen ein. Das Team um Vladimir Isachenko und Markus Montag bot diesen Service ursprünglich Krebspatientinnen an, die ihre Eizellen vor einer belastenden Chemotherapie erhalten wollten. "Wir haben jedoch auch schon rund 100 unbefruchtete Eizellen von gesunden Frauen eingelagert", sagt Isachenko.

Weil eine kinderfreundliche Politik in Deutschland noch immer auf sich warten lässt, bleibt vielen Frauen in Zeiten unsicherer Arbeitsplätze, Jobtourismus und schlechter Kinderbetreuung keine Wahl: das Kinderkriegen wird immer weiter hinaus geschoben. Bis es meist ganz zu spät ist. So berichtet das Statistische Bundesamt in seinem Report "Frauen in Deutschland 2006", dass im Jahr 2004 die meisten Kinder (31 Prozent) von 30-34-jährigen Müttern geboren wurden. 1994 hatten noch 39 Prozent aller Kinder im Schnitt eine Mutter im Alter von 25 bis 29 Jahren.

Es gibt offenbar Bedarf

Frische Eizellen in jungen Jahren entnehmen und einfrieren zu lassen, um sie im fortgeschrittenen Alter zu befruchten und auszutragen, könnte ein Weg sein, Frauen den Zeitdruck für ihre Familienplanung zu nehmen und zugleich das Risiko von Chromosomenstörungen zu umschiffen.

Bedarf für die neue Technik gibt es offenbar, wie Olaf Naether, Arzt am Fertility Center Hamburg, wo sich Paare mit unerfülltem Kinderwunsch mittels künstlicher Befruchtung helfen lassen können, bestätigt: "Die Nachfrage ist gigantisch. Viele Frauen kommen zu uns und möchten sich Eizellen einfrieren lassen. Sie möchten ohne Druck ihre Lebensplanung machen können."

Es ist die alte Ungerechtigkeit der menschlichen Fortpflanzung: Während Männer noch im hohen Alter Kinder zeugen können, weil sie permanent frische Spermien produzieren, läuft bei Frauen mit Beginn der Pubertät bis zum Eintritt der Wechseljahre ein unerbittlicher Countdown. Dann nämlich endet die fruchtbare Phase, in der sie Kinder bekommen können - im Schnitt liegt diese biologische Grenze bei 51 Jahren, von der Natur festgemeißelt und völlig unbeeinflusst von der stetig steigenden Lebenserwartung (die Lebenserwartung eines neugeborenen Mädchens in Deutschland im Jahr 2003 betrug 81,4 Jahre).

Eizellen altern, Spermien werden ständig neu produziert

Doch das Zeitfenster ist sogar noch kürzer: Weil Frauen im Laufe ihres Lebens ihre Eizellen nicht wie Männer ständig neu produzieren, sondern von Geburt an einen festen Grundstock von rund einer halben Million Eizellen bekommen, altern diese Zellen und damit steigt das Risiko ein behindertes Kind zur Welt zu bringen.

Risiko von Down-Syndrom

Beträgt die Wahrscheinlichkeit für eine Frau ein Kind mit Down-Syndrom zu bekommen mit 25 Jahren noch weniger als 0,1 Prozent, hat sich das Risiko mit 35 Jahren bereits verdreifacht. Im Alter von 40 Jahren liegt es schon bei einem Prozent und Kinder 48-jähriger Mütter kommen in neun Prozent aller Fälle behindert zur Welt.

"Spermien sind ganz frisch, höchstens einen Monat alt. Eine 50-jährige Frau hat Eizellen mit einem 50 Jahre alten genetischen Apparat", erklärt Vladimir Isachenko von der Kryobank Bonn. Dadurch steigt das Risiko von Chromosomenfehlverteilungen, im Besonderen kommen behinderte Kinder mit Trisomie 21 (Down-Dyndrom) zur Welt, einer Chromosomenstörung, bei der Chromosom 21 dreimal statt nur doppelt in allen Zellen des Körpers vorhanden ist. Die Gründe für die fehlerhafte Chromosomenverteilung bei alten Eizellen sind laut Isachenko noch unbekannt. Mit Sicherheit muss aber der Spindelapparat der Zelle dabei eine große Rolle spielen, denn er verteilt bei jeder Teilung der befruchteten Eizelle die 46 Chromosomen auf die Zellen.

Der Spindelapparat der Eizelle ist sehr empfindlich

Das Einfrieren von menschlichen Eizellen ist viel komplizierter als das von Spermien: Die Zellen sind größer und enthalten vor allem viel von dem Stoff, der allen Kryotechnikern Kopfschmerzen bereitet: Wasser. Beim Gefrierprozess bilden sich Eiskristalle im Inneren der Zelle, die die empfindlichen Strukturen zerstören. Befruchtete Eizellen oder Embryonen einzufrieren ist bereits Routine, unbefruchtete Eizellen jedoch stellten die Wissenschaftler bislang vor besondere Herausforderungen. Der Grund ist einfach: "Der Spindelapparat der Eizelle kann sehr leicht beschädigt werden", erklärt Vladimir Isachenko, der seit zwei Jahren an der Kryokonservierung dieser Zellen arbeitet.

Statt die Zellen möglichst schnell in flüssigem Stickstoff zu gefrieren, versuchte man vor dem Gefrierprozess der Zelle so viel Wasser wie möglich zu entziehen, ohne sie dabei zu zerstören. Der Trick: Man packt die Zelle in ein spezielles Frostschutzmittel, das die Eiskristallbildung verhindert und der Zelle zugleich auch noch Wasser entzieht. Daraufhin wird sie bei minus 196 Grad Celsius schockgefroren, wobei die Temperatur rasend schnell mit mehreren tausend Grad pro Minute abfällt. Wie sich herausgestellt hat, ist die Geschwindigkeit der Temperaturabsenkung ein entscheidender Faktor. Je schneller der Gefrierprozess, desto schonender für die Zelle. Das Auftauen hingegen muss behutsam erfolgen, das Frostschutzmittel entzogen und das lebensnotwendige Wasser wieder zugeführt werden.

Mittlerweile können die Bonner mit dieser Technik, der sogenannten Vitrifikation, unbefruchtete Eizellen mit einer Überlebensrate von 90 Prozent einfrieren und wieder auftauen, sagt Isachenko stolz. Doch können Frostschutzmittel die empfindlichen Eizellen nicht schädigen, dass eine Gefahr für das Kind besteht? "Das größte Risiko bei der Vitrifikation ist die Beschädigung des hochempfindlichen Spindelapparats", sagt Isachenko. Doch gibt es bei Eizellen ein Alles-oder-Nichts-Prinzip: Beschädigte Eizellen überleben nach dem Auftauen nicht lange, sodass eine Risikoschwangerschaft erst gar nicht entstehen kann.

Prinzipiell unbegrenzt haltbar

Einmal erfolgreich eingefroren hat die Dauer der Lagerung keinerlei Einfluss auf die Qualität der Eizellen: "Prinzipiell sind eingefrorene Eizellen unbegrenzt haltbar", sagt Isachenko.

Somit könnte das Zeitfenster für eine Geburt wesentlich weiter ausgedehnt werden, denn Frauen können interessanterweise noch lange nach Eintritt der Wechseljahre eine Schwangerschaft austragen. So machte kürzlich eine 62-jährige Britin von sich reden, die nach künstlicher Befruchtung ihr zwölftes Kind zur Welt brachte. Dennoch werden solche Konstellationen auch in einer Zukunft, wo das Einfrieren von Eizellen einmal gang und gäbe sein könnte, eher die Ausnahme bleiben: Ärzte empfehlen Frauen eine Schwangerschaft nur bis zu einem Alter von maximal 50 Jahren.

Nicht nur für Frauen, die dem Diktat der biologischen Uhr entgehen wollen, ist die Eizellenlagerung reizvoll. Sie könnte auch ein Ansatz sein, einer demografischen Entwicklung zu begegnen, die den Politikern schon seit Langem Kopfzerbrechen bereitet: dem stetigen Rückgang der Geburtenzahl und der damit einhergehenden Vergreisung der meisten industriellen Gesellschaften.

Während die Politiker hilflos Möglichkeiten diskutieren, gibt es Vorstöße von Wissenschaftlern, die dafür plädieren, sich die Methoden der Reproduktionsmedizin zunutze zu machen. Immerhin sind in Deutschland laut Statistik in den vergangenen Jahren bereits 85.000 Kinder durch künstliche Befruchtung entstanden (im Vergleich: USA 112.000).

Geburtenrückgang und Vergreisung

Zur Zeit bringt in jedem europäischen Land eine Frau im Schnitt weniger als zwei Kinder zur Welt - zu wenig, um die Bevölkerungszahl konstant zu halten. Hierfür müsste jede Frau mindestens 2,1 Kinder bekommen. Deutschland ist mit einer Geburtenrate von 1,3 eines der Schlusslichter in Europa. Dem entgegen läuft der stetige Anstieg der Lebenserwartung. So wird im Jahre 2050 jeder Dritte in Deutschland 60 Jahre oder älter sein.

IVF werden weniger vom Staat subventioniert

Doch die Tendenz ist rückläufig - der Grund dafür liegt nach Meinung des Bundesverbands Reproduktionsmedizinischer Zentren (BRZ) in den strengeren Auflagen für eine anteilige Kostenübernahme seitens der Krankenkassen durch die Gesundheitsreform 2004. Olaf Naether plädiert daher dafür, dass eine künstliche Befruchtung und auch eine mögliche zukünftige Kryokonservierung von unbefruchteten Eizellen vollständig von den Kassen bezahlt wird.

Kosten der Kryokonservierung

An der Kryobank Bonn kostet die Eizell-Entnahme (mit vorhergehender Hormonbehandlung), das Einfrieren und die Einlagerung in flüssigem Strickstoff rund 3000 Euro. Die Lagerkosten pro Jahr belaufen sich auf 150 Euro, die anschließende künstliche Befruchtung nach dem Auftauen kostet 1500 Euro.

Die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen heute nur noch die Hälfte der Kosten einer künstlichen Befruchtung, wenn medizinisch belegt ist, dass ein Kind auf normalem Wege nicht gezeugt werden kann. Auch die weiteren Auflagen sind streng: Anspruch auf Kostenübernahme haben prinzipiell nur verheiratete Frauen über 25 und unter 40 Jahren - ein Problem für alleinstehende Frauen, die möglicherweise erst in fortgeschrittenerem Alter ihre eingefrorenen Eizellen austragen möchten.

Kleine, aber feine Stellschraube

Doch welchen Anteil könnte der Reproduktionsmedizin zur Steigerung der Geburtenraten tatsächlich zukommen? Wissenschaftler des Forschungsinstituts RAND Europa haben untersucht, wie politische Rahmenbedingungen für den Einsatz von Fortpflanzungstechnologien direkt zur Steigerung der Geburtenraten führen können. Jonathan Grant, Leiter des Institutes, kommt zu dem Schluss, dass solche Behandlungen einen kleinen, aber nicht zu vernachlässigenden Einfluss auf die allgemeine Geburtenrate haben könnten: Eine großzügigere staatliche Förderung von In-Vitro-Fertilisation könnte die Geburtenrate um bis zu 0,07 Punkte anheben. Allerdings ist die Studie mit Vorsicht zu genießen - das RAND Institut ist zwar unabhängig, aber die Studie wurde von Ferring finanziert, einem Pharmakonzern, der Produkte für die Reproduktionsmedizin herstellt.

IVF-Statistik

Rund ein Siebtel aller Paare können auf natürlichem Wege keine Kinder bekommen. Die 7000 in Deutschland im Jahr 2004 mittels Reproduktionsmedizin (IVF und ähnliche Techniken) geborenen Kindern machten knapp ein Prozent der rund 700.000 Neugeburten aus. Im Jahr 2003 waren es noch rund 17.000 Kinder.

Eine Steigerung der Geburtenrate um 0,07 Punkte? Zu wenig für das Bundesfamilienministerium, um in der Förderung künstlicher Befruchtung und neuer Technologien wie Eizell-Kryokonservierung die entscheidende Stellschraube zu sehen, dem Problem beizukommen: "Wir begrüßen jedes weitere Kind, aber die Anzahl der künstlichen Befruchtungen fällt angesichts des dramatischen Gesamtrückgangs an Geburten kaum ins Gewicht", sagt Jens Flosdorff, Sprecher im Bundesfamilienministerium. Überhaupt möchte man den Trend der immer älter werdenden Mütter dadurch nicht auch noch fördern. "Wir setzen unsere Schwerpunkte bei jungen Familien, um ihnen Mut zu machen, wieder früher Kinder und vor allem auch wieder mehr Kinder zu bekommen."

Gesundheitsministerium will künstliche Befruchtung nicht stärker fördern

Sachsen und Thüringen allerdings haben bereits erste Vorstöße in Sachen vermehrter Förderung von künstlicher Befruchtung gemacht: So befürworten die Gesundheitsminister dieser Länder, dass die staatlichen Hilfen bei Schwangerschaftsabbrüchen gesenkt und das so gesparte Geld Paaren zugute kommt, die sich ihren Kinderwunsch mit künstlicher Befruchtung erfüllen wollen.

Doch bundesweit wird wohl in naher Zukunft in der Richtung nichts passieren: Im Zuge der kommenden Gesundheitsreform ist laut Auskunft des Gesundheitsministeriums bundesweit jedenfalls keine Änderung der Förderung künstlicher Befruchtung geplant.

Vielleicht werden Marens eingefrorene Eizellen einmal in einer innovationsfreundlicheren Zukunft aufgetaut werden.

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