In den Krankenhäusern in Rumänien ist die Situation "apokalyptisch". So beschreibt es die Bukarester Ärztin Victoria Arama. Ein Video aus dem Universitätskrankenhaus der Hauptstadt, das vom rumänischen Investigativportal "Recorder" veröffentlicht wurde, zeigt in erschreckenden Bildern, was sie damit meint.
Alle Intensivbetten sind belegt, die Zimmer und Korridore überfüllt mit wartenden Corona-Patienten, während Pflegekräfte Leichen in schwarzen Plastiksäcken durch die Flure fahren. Ständig bringen Krankenwagen neue Patienten an. "Dieser Ansturm hier hat mit dem Leichtsinn der Leute und ihrem Mangel an Informationen zu tun", sagt ein erschöpft wirkender Arzt. "Die Politiker müssten viel nachdrücklicher sein. Wenn es ihnen um das Wohl der Wähler ginge, müssten sie sagen: 'Lasst euch impfen!'" Fast alle Patienten sind ältere Menschen, die nicht geimpft sind. Viele können kaum noch atmen, einige beharren trotzdem, dass sie sich nicht impfen lassen würden. Der sechzehnminütige Videoclip trägt den Titel: "So sieht eine Gesundheitskatastrophe aus".
Dramatische Situation in den Kliniken
Mit den steigenden Infektions- und Todeszahlen ist Rumänien in Europa nicht allein. Auch Lettland, Litauen und Bulgarien melden derzeit ähnlich hohe Werte. Was die kritische Lage in Rumänien jedoch von den anderen EU-Ländern unterscheidet, ist das extrem überlastete Gesundheitswesen, das nach den Worten vieler Krankenhausdirektoren und Ärzte kurz vor dem Zusammenbruch steht. Der rumänische Gesundheitsminister Attila Cseke machte am Dienstag die Hoffnung auf eine schnelle Besserung zunichte. Man sei noch längst nicht auf dem Höhepunkt der vierten Corona-Welle angekommen, sagte Cseke im öffentlich-rechtlichen Fernsehen TVR.
Aktuell benötigen rund 1800 Covid-19-Patienten intensivmedizinische Pflege. Doch das Klinikpersonal kommt bei dem riesigen Patienten-Ansturm kaum noch mit der Versorgung hinterher. Da es zu wenig Plätze auf den Intensivstationen gibt, werden die Patienten teilweise auf Krankenhausfluren, in Containern, Zelten und Krankenwagen behandelt. Teilweise würden sich die Patienten auf den Fluren gegenseitig wegschubsen, um an Sauerstoffgeräte zu kommen, berichtet die Ärztin Arama laut dem Nachrichtenportal "Newsweek Romania".
Am Mittwoch hatte Rumänien laut dem Portal "Our World in Data" die höchste Corona-Sterberate weltweit. Innerhalb von 24 Stunden starben 574 Menschen an oder mit dem Virus – mehr als in der gesamten EU im selben Zeitraum. Im Bukarester Universitätsklinikum gab es deswegen zwischenzeitlich keinen Platz mehr in der Leichenhalle. "Wir sind nicht einfach in einer Pandemie, wir sind in einem Desaster", beschrieb der Vorsitzende des Rumänischen Ärztekollegs (CMR), Daniel Coriu, die dramatische Lage am Dienstag. Unter dem Titel "Verzweiflungsschrei" hatte das Ärztekolleg bereits vergangene Woche einen offenen Brief verfasst und das Desaster im Gesundheitswesen beschrieben.
Hohe Impfskepsis: Durch Pieks zum "Zombie"
Der rumänische Staatspräsidenten Klaus Iohannis bezeichnete die Situation am Dienstag als "nationales Drama furchtbaren Ausmaßes" und kündigte eine Krisensitzung an. Iohannis machte die weit verbreitete Impfskepsis, aber auch den "Mangel an konkreten Aktionen der Behörden" für die Lage verantwortlich und appellierte an die Bevölkerung, sich impfen zu lassen. Rumänien hat zusammen mit Bulgarien die niedrigste Corona-Impfquote der EU. Gerade einmal 30 Prozent der Bevölkerung sind vollständig geimpft – deutlich weniger als die Hälfte des EU-Durchschnitts (74,4 Prozent).
Doch viele sahen die Ansprache des Staatschef als zynisch an, da die Regierung lange Zeit viel zu wenig fürs Impfen geworben und Impfskeptikern so gut wie nichts entgegengesetzt hatte. Impfgegner konnten im Land ungehindert demonstrieren, in den sozialen Netzwerken wurden hunderttausendfach Falschinformationen über Impfstoffe geteilt. Besonders verbreitet ist die Impfskepsis in der Rumänisch-Orthodoxen Kirche, die vor allem in ländlichen Gegenden einen großen Einfluss genießt. Vergangene Woche behauptete der Erzbischof der südostrumänischen Diözese Tomis, Teodosie, fälschlicherweise, die Covid-Impfung sei unsicher und auch die EU würde die Impfkampagne inzwischen stoppen.
Für Schlagzeilen sorgte erst kürzlich ein Fall aus einer Schule in der nordrumänischen Stadt Botosani, wie die "Deutsche Welle" berichtete. Auf einer Audio-Aufnahme ist zu hören, wie eine Lehrerin zu ihren Schülern sagt, dass man durch die Impfung zum "Zombie" werde und die Krankenhäuser eine organisierte Massenvernichtung "wie in Auschwitz" planen würden.
Gesundheitliche und politische Krise
Doch die Regierung hat nicht nur durch ihre Untätigkeit gegenüber Impfgegnern zur der eskalierenden Situation beigetragen. Über Monate hinweg hatte sie die Gefahr des Virus heruntergespielt. Noch im Juni bezeichnete Staatschef Iohannis die rumänische Impfkampagne als "Erfolg", die Pandemie sei gestoppt. Auch der inzwischen nur noch kommissarisch amtierenden Premier Florin Citu erklärte zu Beginn des Sommers, die Pandemie sei "eliminiert" worden – obwohl Experten bereits damals vor einer vierten Corona-Welle gewarnt hatten.
Anstatt Maßnahmen zu ergreifen, setzte die Regierung sogar auf Lockerungen. Die Maskenpflicht in öffentlichen Einrichtungen und Geschäften wurde praktisch kaum durchgesetzt, auch Beschränkungen für Massenveranstaltungen wie Impfnachweise oder Tests wurden häufig nicht kontrolliert. Erst Anfang Oktober, als die Zahlen längst zu steigen begonnen hatten, verhängte die Regierung neue Maßnahmen und musste vergangene Woche erstmals um ausländische Hilfe bitten. Das Nachbarland Moldau schickte Ärzte und medizinisches Personal zur Unterstützung über die Grenze, 30 schwerkranke Covid-19-Patienten wurden bereits nach Ungarn transportiert.
Um dem Ganzen noch die Krone aufzusetzen, stürzte vor zwei Wochen die sozialliberale Regierung des Premiers Florin Citu nach monatelangen Koalitionsstreitigkeiten über ein Misstrauensvotum. Bis sich eine neue Koalition zusammenfindet, die die Regierung stellen kann, könnten noch Wochen vergehen. "Unser Beileid, Rumänien!", titelte das Portal "Hotnews" angesichts der gesundheitlichen und politischen Krise im Land.
Quellen: "Deutsche Welle", "Recorder", "NY Times", mit DPA