Kopfschmerzen tun nicht nur weh. Sie sorgen auch dafür, dass man etwas zu erzählen hat. Das Internet lädt ein zum globalen Austausch darüber, wo es im Kopf drückt, bohrt oder scheppert, wie Schmerzzentren zu lokalisieren sind, welche Berührung an den Schläfen Linderung verschafft. Schmerz macht wichtig. Wenn die nahestehenden Menschen auf chronische Schmerzschilderungen zunehmend hilflos reagieren, schließlich genervt, es einfach nicht mehr hören mögen, steht der Chatroom zur Verfügung. Als virtuelle Klagemauer.
Die Experten
Dr. Margot Schmitz und Dr. Michael Schmitz leiten in Wien die Coaching Company und das Psychosomatische Institut. www.schmitzundschmitz.at
Kopfschmerz und seine Inszenierung folgte immer schon einem gewissen Zeitgeist. Vor zehn Jahren, den Kalten Krieg hatten wir endlich gewonnen, war es en vogue ihm mit Yoga, Meditation und Wellness-Strategien zu begegnen. Das gilt heute als langweilig. Obwohl wir uns damit durchaus in die Lage versetzen können, körpereigene Opioide auszuschütten, die den Schmerz nehmen.
In den 80ern waren dramatische Beziehungsfiktionen in Mode
In den 80er Jahren, dem Jahrzehnt von Tschernobyl, kamen Fernsehsendungen in Mode, die uns dramatisch inszenierte Beziehungsfiktionen oder reale Katastrophen präsentierten. Mit der Fernbedienung konnten wir nun von Ereignis zu Ereignis zappen, was uns noch mehr Kopfschmerzen bereiten musste.
In den Siebzigern galten diverse Pillen als schick und probat, industriell gefertigt, mit allerlei Substanzen, die nicht nur den Schmerz bedienten, sondern munter und zufrieden machten. Um Nebenwirkungen sorgte sich niemand. Den Spaß haben uns erbarmungslose Pharma-Kritiker versaut. Das waren bittere Pillen.
Anfang der Fünfziger waren wir noch nicht wieder wer. Die Unfähigkeit zu trauern führte zu allerlei körperlichem Schmerz. Im Kopf, im Darm, im Rücken. Tat es im Schädel weh, legte man sich ins abgedunkelte Zimmer und war krank. Frauen konnten sich ohne weitere Ausflüchte von ihren sexuell begehrlichen Ehemännern zurückziehen. Sogar die Hausarbeit durfte liegen bleiben.
Gehässige Frage nach seelischen Konflikten
Heutzutage kommt mit Kopfschmerzen keiner so leicht davon. Sofort lauert die gehässige Frage, welche unbewältigten seelischen Konflikte dafür verantwortlich sein könnten. Warum sind Kopfschmerzen stärker als Lust? Weshalb springen sie ausgerechnet vor Prüfungen ins Genick? Weshalb betören sie das Hirn, wenn Ärger mit Kollegen sich breitmacht? Schmerz sei meist gar kein Reflex auf eine tatsächliche körperliche Beeinträchtigung, sagen die Experten.
Das Fatale ist: Wer dem Schmerz viel Aufmerksamkeit schenkt, trainiert sein Hirn, ihn immer intensiver zu empfinden. Somit verstärkt er sich, die Aufmerksamkeit nimmt weiter zu und beschleunigt diesen Effekt. Das Gehirn wird auf stärkeres Schmerzempfinden programmiert. Womöglich so sehr, dass sich alles nur noch um Schmerz dreht.
Um diesen Prozess zu stoppen, ist es richtig, möglichst frühzeitig starke Schmerzmittel zu nehmen. Rücksichtnahme, die dazu beiträgt, dass Empfindsame sich nur noch mehr ihrem Schmerz widmen, ist dagegen ein falsches Mittel. Ständiges Betütern und Bedauern schadet ihnen nur. Mitgefühl ist gut. Zu viel Mitgefühl eröffnet dem Schmerz immer mehr Raum. Die Mitfühlenden fühlen sich beklemmt.
Sich als Leidender dann ins Internet zu flüchten mag verlockend sein. Doch es ist auch gefährlich. Chronischer Schmerz nimmt Lebenskraft und Lebensmut. Beides ist aber nur zu bewahren oder zurückzugewinnen, wenn der Rückzug ins Leid unterbleibt. Sich Stück für Stück wieder ein Leben zu erobern, das Genuss und Spaß zulässt, ist die beste Kur. Schon kleine Erfahrungen, dass dies gelingt, führen zu weiteren Erfolgen. Hier wirkt Selbstprogrammierung positiv: Mit jedem Schritt wird es leichter, wieder Freude am Leben zu entdecken.