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Debatte um Schutzmaßnahme Stoffmasken gegen das Coronavirus: Wie gut sind sie wirklich?

Eine Supermarkt-Mitarbeiterin mit Maske
Eine Mitarbeiterin in einem Supermarkt trägt pinkfarbene Schutzhandschuhe und richtet sich ihre bunte Schutzmaske, während sie vor der Ladenöffnung in Dresden die Regale mit Waren bestückt.
© Robert Michael/dpa
Ganz Deutschland näht Mund-Nase-Schutz aus Stoff. Experten und Politiker bezweifeln, dass sie groß helfen. Können die Masken unsere Rückkehr zur Normalität also beschleunigen – oder nicht?

Die Welt in einigen Monaten: Alle Geschäfte, Restaurants und Cafes haben wieder geöffnet und laden zum Bummeln und Verweilen ein. Die Menschen fahren mit U-Bahnen und Bussen zur Arbeit. In den Parks treffen sich Yogagruppen und Freizeitsportler, an den Badeseen liegen die Sonnenhungrigen. Alle versuchen immer noch, Abstand zu halten. Alle wollen die dunkle Zeit vergessen, die noch lange Schatten in diese neue Gegenwart wirft. Ist das Schlimmste schon vorbei, fragen sie sich. Immer noch gibt es Träger des Corona-Virus, die Fallzahlen könnten jederzeit wieder steigen. Doch etwas ist anders. Die Menschen haben sich gewappnet: Alle tragen Mund-Nase-Schutz. Es herrscht "Masken-Pflicht“. Wer draußen keine trägt, zahlt ein hohes Bußgeld.

Könnten Masken unsere Rückkehr zur Normalität beschleunigen?

Ein realistisches Szenario? Könnten Masken unsere Rückkehr zu einer neuen Normalität beschleunigen? Natürlich nicht allein, sondern im Bündel mit all den Maßnahmen, die jetzt verhängt und für die Zukunft geplant sind. In Nachbarländern ist die Maskenpflicht schon eingeführt, Tschechien hat sie seit zwei Wochen, in Österreich ist sie neuerdings für den Supermarkteinkauf obligatorisch. Auch die oberste US-Seuchenschutzbehörde CDC wird das Maskentragen in der Öffentlichkeit wohl empfehlen, berichtet die Washington Post.

Für Deutschland fordert sie der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach, in Jena gilt sie ab kommenden Montag, die Bundesregierung hält sie bislang für unnötig.

Anders sehen das Wissenschaftler, die im Kampf gegen die Seuche einen ersten Sieg davongetragen haben. George Gao, Direktor des Chinese Center for Disease Control and Prevention, sagte in einem Interview mit der führenden Wissenschaftszeitschrift Science: "Der große Fehler in den USA und Europa ist meiner Meinung nach, dass die Menschen keine Masken tragen." Aus China werden derzeit nur wenige Neuansteckungen vermeldet, die Fabriken öffnen wieder, Ausgangssperren wurden aufgehoben. Auch der Virologe Yuen Kwok-Yung, der im Corona-Krisenstab von Hong Kong mitwirkte, sagte in einem Interview, Hong Kong habe die Epidemie nur deshalb unter Kontrolle bekommen, weil neben anderen Maßnahmen wie Händewaschen oder Social Distancing auch das Tragen von Masken frühzeitig empfohlen wurde.

Mit Japan und Südkorea melden zwei weitere Länder nur wenige Neuerkrankungen, in denen Schutzmasken verbreitet sind. Natürlich wäre eine Rechnung zu simpel, die suggeriert: Diese Länder besiegen das Virus mit Masken. Erstens sind die Zahlen nicht immer verlässlich, die chinesischen Daten werden von Experten angezweifelt, in Japan wird nur wenig getestet. Doch das Gesundheitssystem dort steht offenbar nicht vor dem Kollaps, das Leben geht seinen normalen Gang. In Südkorea haben die Seuchenbekämpfer frühzeitig potenziell infizierte Kontaktpersonen aufgespürt, unter Quarantäne gestellt und so Infektionsketten frühzeitig unterbrochen. Dafür griffen sie, ebenso wie China oder Hong Kong, auch auf das hierzulande umstrittene Handytracking zurück – mit einer App wird ausfindig gemacht, wo sich Infizierte befinden und ob sie ihre Quarantäne einhalten.

Prominente werben mit dem Hashtag #maskeauf für den Stoff

In Deutschland wird das Thema Masken zunehmend heiß diskutiert. Viele Prominente werben unter dem Hashtag #maskeauf dafür, dass jeder draußen eine tragen sollte, der Arzt der Nation Eckart von Hirschausen veröffentlicht einen Appell an die Öffentlichkeit. Doch bevor man sich darüber überhaupt Gedanken machen sollte, lautet die erste Frage: Woher nehmen? Überall fehlt es an der nötigsten Schutzausrüstung, Krankenhäuser und niedergelassene Ärzte senden Alarmrufe an die Politik, weil die Vorräte zur Neige gehen. Am Markt tummeln sich unseriöse Anbieter, die Mondpreise verlangen und sogar Krankenhäusern Produktfälschungen unterzujubeln versuchen. Schwer zu bekommen sind längst nicht mehr nur die sogenannten FFP2- und FFP3-Masken, die dank besonderer Filter und guter Passform einen hohen Schutz vor Viren bieten und für Pflegekräfte und Ärzte wichtig sind, die direkt an Infizierten arbeiten. Auch der herkömmliche Mund-Nase-Schutz ist längst Mangelware.

In die Bresche gesprungen sind zahlreiche deutsche Textilhersteller, denen wegen Geschäftsschließungen die Absätze wegbrechen. Wo früher Unterhosen, BHs, Hemden und Sportkleidung produziert wurden, nähen die Mitarbeiter jetzt Masken in Millionenstückzahl. Die Abnehmer: Polizei, Feuerwehr, Rettungskräfte, Behörden, aber auch Krankenhäuser und sogar Universitätskliniken. Während die Masken schon ausgeliefert werden, versuchen viele parallel, die Anerkennung als Medizinprodukt zu erreichen, wofür europäische Normen gelten.

Harald Notz-Lajtkep vom Hohenstein-Institut, das solche Testungen vornimmt, vermeldet Prüfaufträge von mehr als 20 Herstellern - es ist nur eines von vielen Prüflaboren, weniger spezialisiert auf Medizinprodukte als andere. Doch es herrscht Wildwuchs, jeder nimmt andere Materialien und Nähvorlagen, kaum ein Produzent kennt sich mit den komplizierten Zertifizierungsvorschriften aus. "Wir bekamen anfangs keinerlei Unterstützung von Seiten der Behörden oder Ministerien“, sagt Matthias Mey, Managing Partner der Unternehmensgruppe Mey, dem stern: "Dadurch haben wir in erhebliche externe Rechts- und Beratungskosten investiert, um uns vernünftig abzusichern." Immerhin veröffentliche das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte jetzt eine Hilfestellung, man muss nur selbst auf die Idee kommen, dort nachzuschauen. Auch Hilfsorganisation wie das Deutsche Rote Kreuz oder die Malteser verschicken Nähanleitungen an die Bevölkerung. Wer immer kann, soll aus alten Baumwollhemden oder Bettwäsche Masken in Heimarbeit fertigen.

Bundesgesundheitsminister hält eine Maskenpflicht für unnötig

Ganz Deutschland näht - doch die Politik nahm es lange kommentarlos hin. Erst an diesem Dienstagnachmittag rang sich Bundesgesundheitsminister Jens Spahn durch, das Tragen von Mund-Nase-Schutz als einen "solidarischen Akt“ anzuerkennen, eine Maskenpflicht hält er für unnötig. Auch das Robert Koch-Institut äußerte sich erst Mittwochabend auf der Website verhalten positiv - eine Bitte des stern um ein offizielles Statement vor wenigen Tagen wies die Pressesprecherin noch mit dem Hinweis auf die "mangelnde Evidenz“ für die Wirksamkeit dieser Maßnahme gegen die Ausbreitung der Pandemie ab. Das heißt, es fehlen wissenschaftliche Beweise. Die Weltgesundheitsorganisation WHO verstrickt sich derweil in Widersprüche, sie empfiehlt das Maskentragen erst beim Vorliegen von Corona-Symptomen – dabei können auch Virusträger hochinfektiös sein, die keinerlei Symptome zeigen.

Tatsächlich taugt ein herkömmlicher Mund-Nase-Schutz nur bedingt für den Selbstschutz, der Filter ist durchlässig für Viren, die Maske passt sich nicht perfekt an die Gesichtsform an, durch Spalten neben Nase und Wangen dringt potenziell verseuchte Umgebungsluft ein. Andererseits ist unter Experten längst anerkannt, dass Infizierte sich selbst schon mit einfachen Maßnahmen wirkungsvoll vor ihrer Umwelt abschirmen können. "Das kann sich jeder ganz einfach vorstellen. Wenn ich niese, dann verteile ich kleinste Tröpfchen“, sagt der Virologe Christian Drosten in einem seiner Podcasts. "Und wenn ich ein Stück Tuch vor dem Mund habe, das kann entweder so ein Zellulose-Tuch sein wie bei einer gekauften Maske, oder es kann auch natürlich ein Schal sein oder irgendetwas, diese großen Tröpfchen werden dann abgefangen. Da lässt sich nichts dran diskutieren. Und das ist natürlich gut."

Die AWMF-Leitlinie "Hygieneanforderungen bei ausgewählten respiratorisch übertragbaren Infektions-Erkrankungen“ empfiehlt den (medizinisch zertifizierten) Mund-Nase-Schutz ausdrücklich für Patienten-Wartebereiche oder auch hochinfektiöse Patienten, die ihr Isolierzimmer verlassen müssen. Er wird sogar als so sicher eingestuft, dass selbst Pflegekräfte oder Ärzte mit ihm arbeiten dürfen, die das Coronavirus möglicherweise schon in sich haben, weil sie ungeschützten Kontakt mit Infizierten hatten und die deshalb Patienten gefährden könnten - zumindest bei Personalmangel.

Warum sollte eine so effektive Schutzbarriere in überfüllten U-Bahnen, Bussen und Shopping-Malls dann weniger wirksam sein? Es ist mehr als plausibel, dass die weitere Ausbreitung der Pandemie durch eine Maskenpflicht zusätzlich eingedämmt werden könnte. Doch das Tragen eines Mund-Nase-Schutzes in der Öffentlichkeit ist eben vor allem eine altruistische Geste: "Ich schütze dich“. Nicht: "Ich schütze mich“. Wenn jeder das verstünde, wäre vielleicht auch jeder bereit, die professionellen Masken denen zu überlassen, die sie so dringend brauchen, aber nicht bekommen: Ärzte und Pflegekräfte, die sich selbst und ihre nicht infizierten Patienten vor Corona schützen müssen. Das nämlich ist die große Befürchtung von Jens Spahn, wie er auf der gestrigen Pressekonferenz klar machte: Dass Privatleute das ohnehin schon knappe Gut den Krankenhäusern und Arztpraxen wegschnappen.

Maskenträger könnten sich in falscher Sicherheit wiegen

Einfluss auf die Ausbreitung einer Pandemie würde eine solche Maskenpflicht jedoch wohl nur dann nehmen, wenn alle es tun – eben auch diejenigen, die infiziert sind, ohne Symptome zu verspüren. Diejenigen, die derzeit die gefährliche Dunkelziffer ausmachen. Und Sinn ergäbe sie auch nur dann, wenn alle es richtig machen. Denn eine Gefahr sei, dass sich ihre Träger in falscher Sicherheit wiegen, sagt Virologe Drosten: "Man wäscht sich dann nicht mehr die Hände und macht vielleicht auch das mit den Masken falsch und fasst sich eben doch wieder ins Gesicht, weil man an der Maske immer rumfummelt.“ Eine Maskenpflicht müsste also von einer großen Aufklärungskampagne begleitet werden. Doch sie richtig an- und abzulegen ist kein Hexenwerk, Schulungsvideos dazu existieren, und schließlich haben die Deutschen mittlerweile auch gelernt, dass die Hände erst sauber sind, wenn man zweimal „Alle meine Entchen“ gesungen hat und Daumen und Handkanten nicht vergisst.

Doch können die Stoffmasken, die jetzt in Millionenstückzahl in Heimarbeit und Textilfabriken in Deutschland entstehen, überhaupt eine annähernd gleiche Schutzwirkung bieten wie der zertifizierte Einweg-Mund-Nase-Schutz mit seinen speziellen Filtern? Einer älteren Studie zufolge nein, eine Chirurgen-Maske bietet demnach doppelt so hohen Schutz wie die Selbstgebastelte. Doch was ist schon der Standard für eine zuhause gefertigte Schutzmaske? Es gibt keinen, jede ist anders.

Der Hygieneexperte Heinz-Peter Werner, der selbst an der Erstellung mehrerer europäischer Normen für Medizinprodukte mitwirkte und das deutsch-österreichische Prüflabor HygCen gründete, suchte nach der letzten Sars-Epidemie im Jahr 2006 im Auftrag einer Schweizer Stiftung nach der besten Rezeptur für eine selbstgebastelte Maske, die interne Studie liegt dem stern vor. Das angenommene Szenario: Eine Pandemie bricht aus, die Schweiz verhängt eine Schutzmaskenpflicht für den Gang vor die Tür, kann aber leider keine Masken zur Verfügung stellen. "Wir haben mit dem experimentiert, was zuhause in den Schränken liegt und was man in jedem Supermarkt bekommt: Küchenrollen, Kosmetiktücher, Geschirrhandtücher, Bettlaken und so weiter“, erinnert sich die stellvertretende technische Leiterin Medizinprodukteprüfung Monika Feltgen. Das Ergebnis überraschte alle. Die besten Schutzmasken erreichten eine bakterielle Filterleistung von mehr als 95 Prozent, was den Anforderungen der EN-Norm entspricht.

Anders als von deutschen Experten und Politikern bislang dargestellt, ist es anscheinend auch zuhause und mit einfachsten Mitteln möglich, eine Maske herzustellen, die genauso effektiv vor Infektionen schützt wie ein Medizinprodukt. Abstriche, sagt Feltgen, müsse man bei anderen Anforderungen der Norm machen, zum Beispiel dem Atemwiderstand. "Wenn der zu hoch ist, kann man nicht mehr so gut atmen durch das Textil.“ Deshalb wären solche Masken trotzdem nicht zulässig für den Medizinbetrieb, zumindest solange nicht die pure Not herrscht. "Aber für den Heimgebrauch kann man das tolerieren für den Fall, dass der Infektionsschutz ganz oben stehen soll“, so Feltgen.

Bald schon könnte der erste Textilhersteller die Norm an ein Medizinprodukt erfüllen

Noch hat kein Textilhersteller die EN-Norm an ein Medizinprodukt erfüllt, doch das ist wahrscheinlich nur noch eine Frage der Zeit. Im Hygcen-Prüflabor brillierte vergangene Woche eine Konstruktion des Mindener Unternehmens Sitex, das normalerweise OP-Mäntel und -Abedeckungstücher herstellt. Die neuen Masken haben laut Hersteller einen herausnehmbaren Filter aus speziellen Vliesmaterial, der nach einmaligem Gebrauch entsorgt wird, die Maske selbst kann gewaschen werden. Bei den Testungen habe bakterielle Filtrationsleistung bei über 99 Prozent gelegen, zusätzlich habe die Maske eine spezielle Beschichtung, die undurchlässig gegen Spritzer und Tröpfchen sei, sagt Feltgen.

Damit entspreche das Produkt den Anforderungen an die höchste der drei Typklassen für herkömmlichen Mund-Nase-Schutz: 2R. "Der kann bedenkenlos auch im OP-Saal getragen werden." Der Hersteller Sitex wird sich nun um eine "Sondergenehmigung" des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte BfArM bemühen. Auch Notz-Lajtkep vom Hohenstein-Institut sagt, es gebe bereits Hersteller, die immerhin die Typklasse 2 erreicht hätten – keine Zulassung für den OP-Saal zwar, doch auch sie dürften im Krankenhaus verwendet werden.

Maria und Diana sitzen in Auckland fest und berichten von ihrer Rückholaktion nach Deutschland

All diese Hersteller liefern Blaupausen, die Deutschland aus dem gefährlichen Versorgungsengpass führen könnten. Auch gibt es offenbar die perfekte Nähanleitung fürs Selberbasteln von Masken. Doch wie so oft in Deutschland fehlt es an zentraler Führung. Jemand müsste die gewaltige Kreativität und Schaffenskraft, die sich landesweit entfaltet, in geordnete Bahnen lenken, damit sie nicht verpufft. All die Näherinnen und Näher könnten bald Millionen von Masken herstellen, mit denen wir die Anderen bestmöglich vor uns schützen können.

Dann wäre eine "Maskenpflicht für alle" kein unrealistisches Ziel mehr – solange das neue Coronavirus grassiert jedenfalls. Im besten Fall wäre sie ein wichtiger Baustein, um die Pandemie wirkungsvoll einzudämmen. Und im schlechtesten Fall? Schaden wird sie jedenfalls nicht – das müssten dann auch die größten Skeptiker einsehen.

Nachtrag 2. April 2020, 16:30: Fast zeitgleich mit dem Erscheinen dieses Artikels erfuhr unser Interviewpartner Matthias Mey, dass das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte seiner Stoffmaske eine Sonderzulassung als Medizinprodukt erteilt hat. "Da haben wir alle einen Glückshormonschub bekommen, dass sich der ganze Stress gelohnt hat", sagt Mey. Die Maske darf nun offiziell in Krankenhäusern eingesetzt werden, jedoch nicht, wenn direkt an Patienten gearbeitet wird, die an COVID-19 erkrankt sind. Im Gegensatz zu den anderen Behörden, zuständige Regierungspräsidien oder Ministerien, mit denen Mey zuvor zu tun hatte, reagierte das BfArM sehr schnell, die Erteilung der Sonderdzulassung brauchte gerade mal eine Woche: "Die Reaktionszeit war Spitze, es gab ein klares Feedback, klare Fragen wurden gestellt, das konnten wir dann abarbeiten. Du wusstest, wo du dran bist." Die Sonderzulassung gilt zunächst befristet bis Juni. Mey ist damit nach unserer Kenntnis der erste Textilhersteller, den den gesamten Weg erfolgreich gegangen ist.

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