Sucht Bundesweit große Anzahl an Arbeitssüchtigen

Jeder siebte Arbeitnehmer neigt zu Arbeitssucht - als solche erkannt wird die Krankheit aber nur äußerst selten. Ihre Folgen können gravierend sein.

Zwischen 200.000 und 300.000 Bundesbürger sind nach Schätzung des Bonner Wirtschaftspsychologen Stefan Poppelreuter arbeitssüchtig. Laut einer Studie der Universität Bonn neigt jeder siebte Arbeitnehmer zu arbeitssüchtigem Verhalten - und dieses kann zu ernsten sozialen und gesundheitlichen Konsequenzen führen.

"Ob ein Mensch arbeitssüchtig ist, hängt nicht davon ab, wie viel er arbeitet, sondern warum er viel arbeitet", betont Poppelreuter, der in Bonn die erste empirische Studie in Deutschland zu dem Thema leitete. Bislang wird Arbeitssucht aber nur in wenigen als solche diagnostiziert, als offizielle Krankheitsbezeichnung gibt es Arbeitssucht bisher gar nicht, wie Michael Zaudig, Direktor der Psychosomatischen Klinik Windach, feststellt: "Der Psychotherapeut diagnostiziert vielleicht Angststörungen, der Mediziner Bluthochdruck, der Psychiater eine Depression." Dass sich hinter solchen Symptomen eine Arbeitssucht verbirgt, stellt der Mediziner meist erst im Gespräch mit seinen Patienten fest.

Die Arbeit folgt bis in den Schlaf

Den klassischen Workaholic kennzeichnen laut Poppelreuter mehrere Faktoren: Er kann sich der Arbeit nicht mehr entziehen, weder nach Feierabend, noch am Wochenende oder im Urlaub. "Die Arbeit verfolgt ihn quasi bis in den Traum hinein", so der Experte. Zudem bildet die Arbeit den Mittelpunkt seines Lebens, soziale Kontakte oder Hobbys spielen wenn überhaupt - nur noch eine untergeordnete Rolle. Schließlich leiden Arbeitssüchtige unter dem Zwang, selbst die kleinsten Aufgaben perfekt zu erledigen.

Der Anspruch, alles tausendprozentig machen zu wollen, treibt auf Dauer viele Menschen sprichwörtlich zur Verzweiflung. Die Symptome stellen sich laut Zaudig schleichend ein. Erst komme es zu Antriebsverlust, Verstimmungen und psychischer Labilität, am Ende der Entwicklung stünden meist Depressionen, oft begleitet von körperlichen Symptomen wie Schlaflosigkeit, Schweißausbrüchen oder Herzproblemen.

Vielfältige Ursachen

Viele Faktoren scheinen an der Entstehung von Arbeitssucht mitzuwirken. Poppelreuter betont zum einem die extrem hohe gesellschaftliche Anerkennung von Arbeit. Hinzu kommen persönliche Eigenschaften des Menschen: So fiel dem Wissenschaftler bei seiner Studie auf, dass viele Arbeitssüchtige aus extrem leistungsorientierten Elternhäusern stammten, in denen zudem die Anpassung an bestehende Normen eine große Rolle spielte. Zaudig verweist außerdem auf den Belohner-Effekt: "Oft sind es Menschen, die wenig Selbstvertrauen haben und sich Bestätigung von außen holen."

Manche Workaholics berichten laut Poppelreuter, dass Arbeit für sie dazu diene, Ängste zu verdrängen. Sie haben beispielsweise Schwierigkeiten damit, die emotionale Nähe von Partnerschaften zu ertragen und flüchten sich in arbeitsbezogene Beziehungen mit klar definierten Regeln. "Viele lenken sich von ihren Problemen ab und stürzen sich in die Arbeit", bestätigt Zaudig und fügt hinzu. "Irgendwann hängen sie dann in der Schleife fest und kommen nicht mehr raus. Sie haben vergessen, dass es auch noch etwas anderes gibt."

"Die kommen nur, wenn’s wirklich kracht"

Erst der Bruch der Familie oder eine gesundheitliche Krise lässt die Betroffenen zu ihrem bisherigen Leben auf Distanz gehen. "Der klassische Schuss vor den Bug", so Poppelreuter. "Die kommen nur, wenn’s wirklich kracht", berichtet Zaudig.

Poppelreuter vermutet generell eine Zunahme des Phänomens in den letzten Jahren. Ein Indiz dafür sei das in den vergangenen Jahren stark gestiegene Interesse von Öffentlichkeit und Fachwelt. Weitere Hinweise seien die zunehmende Zahl von Selbsthilfegruppen wie den Anonymen Arbeitssüchtigen oder die spezifischen Hilfsangebote von Therapeuten, Ärzten und Kliniken.

Zunehmend jüngere Menschen betroffen

Gerade in den USA sind laut Poppelreuter zunehmend jüngere Menschen betroffen. Dort sei in Anlehnung an den Begriff Midlife-Crisis bereits von einer Quarterlife-Crisis die Rede. Sie befällt Menschen zwischen 25 und 30 Jahren, die über großes Engagement schon früh Karriere gemacht haben. Immer häufiger werde in den USA von Herzinfarkten bei unter 30-Jährigen berichtet, die unter großem Stress stehen.

Die japanische Regierung bestätigte schon vor Jahren, dass Arbeitssucht zum Tod führen kann, ausgelöst meist durch Herzversagen oder Hirnschlag. Dort hat der Tod durch Überarbeitung sogar einen eigenen Namen: Karoshi.

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