Die französische Nationalversammlung hat am Dienstag einen Straftatbestand auf den Weg gebracht, der die "Anstiftung zur Magersucht" erstmals in Europa unter Strafe stellen soll. Bis zu zwei Jahren Haft und Geldbußen bis 30.000 Euro drohen denen, die "einen Menschen dazu bringen, eine exzessive Magerkeit" anzustreben. Bei dadurch verursachten Todesfällen steigt die Strafe bis auf drei Jahre Haft und 45.000 Euro. Im Visier haben die Abgeordneten der konservativen Regierungsmehrheit dabei vor allem Internetseiten, die den Schlankheitswahn verherrlichen, aber auch die Werbebranche und die Medien.
Vorsorgeuntersuchungen für Kinder ab zwölf Jahren sollen künftig auch Magersucht einschließen. Außerdem will die Regierung die Gesundheitsvorschriften für Models verschärfen. "Wer auf den Laufsteg will, muss eine gewisse Gewichtsgrenze einhalten", sagt Gesundheitsministerin Roselyne Bachelot.
"Ein starkes Signal"
Die Debatte um Magersucht brauche "ein starkes Signal", rechtfertigt die für den Entwurf verantwortliche Abgeordnete Valérie Boyer von der Regierungspartei UMP das Vorhaben. In Frankreich sind 30.000 bis 40.000 Menschen magersüchtig. 90 Prozent von ihnen sind Frauen und Mädchen, wobei die höchste Zahl von Fällen im Alter von zwölf bis dreizehn Jahren und zwischen 18 und 19 Jahren verzeichnet werden. Etwa zehn Prozent der Magersüchtigen hungern sich buchstäblich zu Tode.
Frankreich setzt sich damit in Europa an die Spitze im Kampf gegen den Schlankheitswahn. Bisher galt Spanien als Vorreiter: 2006 hatten die Behörden in der Hauptstadt Madrid "Hungermodels" verboten, bei der Modewoche Pasarela Cibeles aufzutreten. Weltweit für Aufsehen sorgte kurz darauf der Fall des brasilianischen Models Ana Carolina Reston, die zuletzt bei 1,70 Meter Körpergröße nur noch 40 Kilo auf die Waage brachte und an ihrer Magersucht starb. Auch in Deutschland wird seitdem über den Vorbildcharakter, den superdürre Models für Mädchen haben können, eingehend diskutiert. Ende vergangenen Jahres startete die Bundesregierung die Kampagne "Leben hat Gewicht - gemeinsam gegen den Schlankheitswahn", die über "überzogene Schönheits- und Schlankheitsideale" informiert. Mit der Modeindustrie strebt Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) zudem einen Kodex gegen den Schlankheitswahn an.
Nach dem in Frankreich nun in erster Lesung angenommenen Gesetzentwurf soll der Straftatbestand auch für Internetseiten gelten, die Magersucht verherrlichen und in den vergangenen Jahren starke Verbreitung gefunden haben. Betreibern solcher "Pro-Ana"-Seiten drohen demnach Haftstrafen.
Nur eine "plakative Aktion"?
Für die linke Opposition, die sich bei der Abstimmung am Dienstag enthielt, ist das Vorhaben nichts als eine "plakative Aktion", die sich als "nutzlos" erweisen werde. Tatsächlich zweifeln Experten daran, ob das Gesetz zu Verurteilungen führen wird. In der Praxis dürfte die "Anstiftung zur Magersucht" schwer nachzuweisen sein. Und auf den Anorexie-Webseiten geben sich Minderjährige im Schlankheitswahn meist gegenseitig Tipps. Die Betreiber könnten die Online-Auftritte zudem einfach ins Ausland verlegen.
Der französische Kinder- und Jugend-Psychiater Philippe Jeammet hält die Drohung mit dem Strafgesetz dennoch für nicht übertrieben. Das Gesetz könne eine lange überfällige "Debatte eröffnen", sagte er der Zeitung "20 minutes". Und die könne dann auch "den Opfern helfen - wie bei Geschwindigkeitsübertretungen oder dem Tabakmissbrauch."