Sexuell übertragbare Krankheit Anzahl der Syphilis-Infektionen hat sich seit 2000 verzehnfacht

  • von Hedviga Nyarsik
Syphilis: Anzahl der Infektionen sind zuletzt stark angestiegen (Symbolbild Kondom)
Anzahl der Syphilis-Infektionen sind zuletzt stark angestiegen (Symbolbild)
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Die Verbreitung sexueller Krankheiten nimmt weltweit zu. Besonders massiv steigen dabei die Syphilis-Fälle – auch in Deutschland. Woran liegt das? Und wie kann man sich schützen? Ein Mediziner klärt auf.

Dieser Artikel erschien zuerst bei ntv.de

Die Zahlen aus den USA sind alarmierend: Mehr als zwei Millionen Menschen haben sich 2022 mit Chlamydien, Gonorrhoe (auch Tripper genannt) oder Syphilis angesteckt. Die US-Gesundheitsbehörde CDC spricht von einer regelrechten Epidemie, die "außer Kontrolle gerät". Insbesondere Syphilis besorgt die Experten. Allein in den letzten fünf Jahren sind die Fälle um 80 Prozent gestiegen. Ein ähnlicher Trend zeichnet sich auch in Deutschland ab.

Die Infektionsrate hierzulande ist nicht mit der Lage in den USA vergleichbar, sagt Norbert H. Brockmeyer, Facharzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten und Präsident der Deutschen STI-Gesellschaft, im Gespräch mit ntv.de. Dennoch lässt sich seit der Jahrtausendwende ein deutlicher Anstieg der Syphilis-Fälle erkennen. "Im Jahr 2000 hatten wir rund 800 Infektionen, heute sind es mehr als 8300", sagt der Mediziner. Die Zahl hat sich demnach verzehnfacht - Tendenz steigend.

Syphilis wird durch das spiralförmige Bakterium Treponema pallidum hervorgerufen. Die Übertragung erfolgt in den meisten Fällen über sexuellen Kontakt. Bei ungeschütztem Geschlechtsverkehr kann der Erreger über kleine Verletzungen der Schleimhaut/Haut, Blut oder Wundflüssigkeit in den Körper gelangen. Übertragungen sind auch über unsaubere Nadeln oder von einer infizierten Mutter auf ihr ungeborenes Kind möglich.

Dating-Apps ermöglichen schnellen Sex

Mutter-Kind-Infektionen sind vor allem in den USA ein großes Problem. Die CDC verzeichnete 2022 mehr als 3700 solcher Fälle - eine Zunahme um rund 930 Prozent innerhalb eines Jahrzehnts. Die Folgen sind fatal: "Tragischerweise starben 282 Säuglinge infolge der Infektionen", heißt es im aktuellen Bericht der US-Gesundheitsbehörde.

Zahlen, die es in Deutschland so glücklicherweise nicht gibt. "Unsere Schwangerschaftsvorsorge ist deutlich besser als die in den USA", sagt Brockmeyer. Hinzu komme, dass sich Syphilis in Deutschland derzeit noch deutlich stärker in der sogenannten MSM-Community ausbreite, also unter Männern, die Sex mit Männern haben. "Allerdings sehen wir auch Infektionen in der heterosexuellen Community."

Die Gründe für die steigende Zahl der Syphilis-Fälle, aber auch anderer Geschlechtskrankheiten sind Brockmeyer zufolge vielfältig. Zum einen ermögliche das Internet dank Dating-Apps schnelle und wechselnde Sexualkontakte. Zum anderen spiele auch der wachsende Drogenkonsum zum Sex eine Rolle. Ob Alkohol oder synthetische Drogen, "man wird durch sie lockerer, das Schmerzempfinden sowie das Risikobewusstsein sinkt", so Brockmeyer. Eine durchaus positive Ursache für den Anstieg der Fallzahlen sei zudem die Zunahme der Testung. "Lassen sich mehr Menschen testen, führt dies zu mehr positiven Ergebnissen."

Auch die Sexualpraktik könne ausschlagend sein. So berge Analverkehr, egal ob bei Mann oder Frau, ein höheres Infektionsrisiko. "Die Analschleimhaut ist verletzlicher, kleine Risse entstehen leichter", erklärt der Experte. Über diese kleinen Verletzungen könnten Erreger besser eindringen.

Sexuell übertragbare Krankheiten sind noch immer ein Tabu-Thema

Tückisch sind Geschlechtskrankheiten zudem, weil sie in vielen Fällen keine oder nur geringe Symptome hervorrufen. Bei Syphilis geht laut Brockmeyer nur etwa jede zweite Infektion mit Beschwerden einher. Meist zeigt sich nach drei bis vier Wochen ein Geschwür (Ulcus) an der Eintrittspforte des Erregers, zum Beispiel am Penis, After, an der Vagina oder im Rachen. "Doch auch diese werden häufig verkannt", sagt der Experte. "Wenn das kleine Geschwür nach einigen Wochen wieder verschwindet, denken Betroffene oft, alles sei wieder in Ordnung und lassen sich nicht testen."

Geschlechtskrankheiten sind in der Gesellschaft nach wie vor schambehaftet und werden tabuisiert. Im Kampf gegen Syphilis, Chlamydien und Co. ist Aufklärung laut Brockmeyer daher besonders wichtig. "Wir müssen wieder mehr über Sexualität und sexuelle Gesundheit sprechen." Das sei bei HIV in Deutschland bereits gut gelungen. "Deshalb hatten wir auch immer die niedrigsten HIV-Infektionsraten", so der Mediziner. Den gleichen Effekt müsste man auch für die anderen Geschlechtskrankheiten erreichen. "Absurderweise werden Syphilis oder Tripper inzwischen als größeres Stigma wahrgenommen als HIV." Dabei können die Krankheiten bei früher Diagnose schnell und wirksam mit Antibiotika behandelt werden.

In der Prävention sind laut Brockmeyer vor allem die Schulen gefragt. Dabei sollte man aber keinesfalls auf Abschreckung setzen. Viel wichtiger sei es, Missverständnisse und Mythen aufzuklären und die Krankheiten zu enttabuisieren. "Studien haben gezeigt: Wenn Jugendliche gut aufgeklärt sind, haben sie in der Regel später sexuelle Kontakte und infizieren sich auch deutlich seltener."

Wie kann man sich vor Syphilis schützen?

Kondome bieten einen guten Schutz, wenn auch keinen 100-prozentigen. Gegen bestimmte Erreger wie HPV gibt es zudem Impfungen. Diese müssten Brockmeyer zufolge aber deutlich ausgeweitet werden. Die Impfraten bei Mädchen (60 Prozent) und Jungen (25 Prozent) seien zu gering, um die Bevölkerung wirksam zu schützen.

Zusätzlich zu Kondomen und Impfungen gibt es spezifische Medikamente wie Doxy-PrEP. Dieses Antibiotikum dient der Vorbeugung gegen Chlamydien oder Syphilis und kann von Personen mit einem hohen Risiko einer Syphilis- oder Chlamydien-Infektion eingenommen werden. Außerdem helfen auch anonyme Testangebote wie Home-Tests für HIV oder Selbstentnahme-Kits - bei Syphilis-Verdacht benötigt man allerdings etwas Blut zur Diagnostik.

"Entscheidend ist allerdings, dass man die Menschen sensibilisiert", sagt Brockmeyer. "Wir müssen die Tabus und vor allem die Diskriminierung rund um das Thema auflösen." Denn nur so erreiche man, dass sich Personen, die einen STI-Verdacht haben, unverzüglich testen und behandeln lassen, um eine weitere Verbreitung des Erregers zu verhindern.

pd / ntv.de

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