Musik "Mädchen auf dem Pferd" ist der Sommerhit des Jahres. Aber warum eigentlich?

Cover des Songs "Mädchen auf dem Pferd"
Das "Mädchen auf dem Pferd" erfüllt alle Kriterien für einen Sommerhit.
© dpa-Bildfunk
Nach "Layla" grölen Ballermann-Touristen nun zu "Mädchen auf dem Pferd". Höchste Zeit für eine Werkanalyse.

Es ist wieder so weit. Deutschlands Sommerhit des Jahres 2023 steht fest. Die GfK Entertainment, eine Firma für Chartanalyse aus Baden-Baden, kürt jedes Jahr einen Song. 2022 war das der kontrovers diskutierte Ballermann-Schlager "Layla", jetzt heißt er "Mädchen auf dem Pferd". Der Song stammt von drei jungen Männern aus Bayern: dem bisher unbekannten Produzentenduo Spadafora und Dee sowie dem Sänger Octavian.

Entstanden ist ein amateurhaft klingendes Techno-Cover, das einem mit gefühlten 300 Beats per Minute auf den Schädel hämmert. Auf YouTube wurde der Song fast fünf Millionen Mal gestreamt, auf TikTok geht er seit einigen Wochen viral. Vergangenes Wochenende war er sogar der erfolgreichste Song Deutschlands. Höchste Zeit für eine Analyse: Was verrät dieser Song über Deutschland im Sommer 2023? 

Die Erkenntnis: Beim ersten Hören klingt der Song einfach nur sehr stumpf, beim zweiten Mal sehr zeitgenössisch. Aber dazu später mehr.

"Mädchen auf dem Pferd": Liebessong aus "Bibi und Tina"

Seit vielen Wochen wird der Song vor allem dort besonders häufig gehört, wo die Sonne ballert und das Bier fließt: auf Mallorca. Das überrascht nicht. "Mädchen auf dem Pferd" erfüllt jede Regel eines Sommerhits: eingängige Melodie, simpler Mitgröl-Text, animierende Tanzbeats. Dazu ein Thema, das jeden betrifft, mit dem sich jeder identifizieren kann. Die Liebe. So wird aus diesem Song ein Partyhit, zu dem viele Leute vor allem eines wollen: saufen und tanzen. Auf YouTube finden die Fans diesen Song "anders geil", er sei "einfach LEGENDE", weil "der Banger schallert". Oder, wie der Poet @MyHouseStyle online kommentiert: "Meisterwerk ! Der Beat knallt einen die Windungen aus dem Schädel ! nice".  

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Aber hinter dem Erfolg dieses Hits steckt mehr als nur Partydurst. "Mädchen auf dem Pferd" ist inspiriert vom Song des "Bibi & Tina"-Films, der vor neun Jahren ins Kino kam. Ach, das Jahr 2014: als Deutschland Weltmeister wurde, als kein Krieg in Europa herrschte, als keine Inflation das Land plagte. Man sehnt sich zurück in eine Zeit, die einfacher wirkt. Eine Nostalgie, die weit über das Jahr 2014 hinausreicht, weil sie an Kindheitserinnerungen rührt. Alle Deutschen kennen Bibi & Tina. Zwei Mädchen, die auf wiehernden, galoppierenden Pferden reiten, die in jeder Folge ein Abenteuer erleben: herausfordernd, aber bezwingbar. Und am Ende jeder Folge wird immer alles gut. Garantiert! So ist die Bibi & Tina-Inspiration in diesem Sommerhit 2023 wie der deutsche Ballermann: Weltflucht, aber bitte in vertrautes Gelände.  

Interessant ist diese Bibi & Tina-Inspiration auch, weil sie so viel unschuldiger ist als die "Puffmama Layla". Wo letztes Jahr der Puff noch breitbeinig als "mein Laden, mein Revier" besungen wurde, reitet man dieses Jahr zusammen im Sonnenuntergang. Nur ein gemeinsamer Besuch im Streichelzoo wäre noch harmloser. "Du sitzt hinten und ich vorne", ist der einzige, leicht jovial anmutende Satz dieses Jahr. Es ist auch die einzige Zeile im ganzen Lied, die augenzwinkernd zweideutig verstanden werden könnte. Reiten? Du hinten, ich vorne? Ist hier auch Sex gemeint (hihi)? Letztes Jahr polterte man noch sehr eindeutig über das "Luder Layla", die man im Puff trifft: "geile Figur, blondes Haar." Dieses Jahr will man auf plumpen Sexismus wohl eher verzichten.  

"Mädchen auf dem Pferd" ist so ganz anders als "Layla"

Anders ist auch die Position des Mannes, der singt. Im Song "Layla" strotzt es vor lächerlichem, testosteronverballerten Machogehabe. Dieses Jahr ist das lyrische Ich zurückhaltender, suchender, ja unsicherer – so besingt es sich selbst zum Beispiel als "Frosch", als den "Loser vor dem Herrn". Sie dagegen sei "die Eine", für die er "alles machen" würde. Diejenige, "die mich zum Frühstück frisst, bis nix mehr übrig ist und mich danach vergisst."

Und dann kommt irgendwann diese eine Zeile, die man so wunderbar zeitgenössisch deuten kann: "Du meine Barbie, ich dein Ken". Natürlich kann man diesen Satz auch einfach nur als öde Anspielung auf alte Rollenbilder verstehen: absurd schöne Barbie und absurd muskulöser Ken. Oder man interpretiert diese Zeile mit Blick auf den aktuellen Barbie-Film, der diesen Sommer erschien und seitdem einen riesigen Hype erlebt. Es ist ein Film, der die Suche nach einer neuen Männlichkeit mit der Rolle des "Ken" sehr unterhaltsam erzählt. Der von Ryan Gosling gespielte Ken muss sich neu verorten: Auch er schwankt zwischen herrischer Cowboy-Machohaftigkeit und devotem Barbie-Anhimmeln. Hier übt sich ein Mann darin, seine Rolle zu finden, wenn er gerade nur eine Nebenrolle spielt – so wie im Song "Mädchen auf dem Pferd", wo das lyrische Ich kein Frosch mehr sein will, sondern ein Prinz. Vielleicht macht genau das diesen Song so gegenwärtig: Er spiegelt die aktuelle männliche Verunsicherung wider. Und die Suche nach einer Männlichkeit, die sich selbst nicht nur als Gegenteil zur Weiblichkeit begreift.  

Wem das alles zu viel anstrengende, verkopfte Analyse für einen einfachen Sommer-Sauf-Hit war, der sei hiermit beruhigt: Der Techno hämmert extrem laut aufs Hirn. So laut, dass man den Text eh kaum versteht. 

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