25 Jahre "Harry Potter" "Das beeindruckte Frau Rowling wohl": Klaus Humann ist der Mann, der "Harry Potter" nach Deutschland brachte

Alle sieben Harry-Potter-Bände
Alle sieben "Harry Potter"-Bände
© Daniel Reinhardt / Picture Alliance
1997 bekam Verlagsleiter Klaus Humann ein unveröffentlichtes Buch über einen Zauberlehrling in die Hände, das in England als Geheimtipp galt. Er griff zu — und kann sich den Erfolg der "Harry Potter"-Bände bis heute nicht ganz erklären.

Herr Humann, Sie waren vor 25 Jahren Verleger des Carlsen-Verlages und sind der Mensch, der damals "Harry Potter" nach Deutschland holte. Wie kam es dazu?
Ich bin 1997 zum Carlsen-Verlag gekommen und kannte aus der Zeit davor einen Buch-Agenten, der vom ersten, in England noch nicht erschienen "Harry Potter"-Roman schwärmte. Er besorgte mir ein broschiertes Leseexemplar, das ich und eine Lektorin bei Carlsen lasen und sofort begeistert waren.

Der Carlsen-Verlag war damals ein vergleichsweise kleiner Kinderbuch-Verlag. Wie groß und wie stark war die Konkurrenz?
Gar nicht mal so groß. Es gab ein paar Interessenten, einigen gefiel es dann aber nicht und andere stiegen gleich wieder aus, weil sie das Buch zu dick fanden. Damals glaubte man in den Verlagen, dass Kinder Bücher über 176 Seiten nicht schaffen zu lesen. Und "Harry Potter" hatte über 300 Seiten. Es gab am Ende noch einen Verlag aus München, der interessiert war und mehr Geld hatte, da hätte Carlsen nicht mithalten können. Da die Autorin, Frau Rowling, aber immer geplant hatte, sie werde sieben Bände schreiben und sie hätte den letzten Satz des letzten Bandes schon im Kopf, machten wir gleich ein Angebot für die ersten drei Bände. Das beeindruckte Frau Rowling wohl und so kam das Buch zu uns. Sieben Bände übrigens, weil in England die Schule sieben Jahre dauert, "Harry Potter"-Leser wissen das.

Stimmt es, dass Joanne K. Rowling in England und anderen Ländern nur mit den Initialen J.K. auf dem Buch stehen durfte, weil man dort fürchtete, Leser würden einer Frau eine Fantasy-Geschichte nicht glauben?
Ja, das war so. Nur wir in Deutschland blieben bei Joanne K. auf dem Cover, auch wenn der Druck aus England groß war, das zu ändern. Wir haben das ignoriert. Heute steht aber auch nur noch J.K. auf den deutschen Büchern, warum weiß ich nicht. 

Der erste Band "Harry Potter und der Stein des Weisen" erschien in einer Auflage von 8000 Exemplaren. Das klingt nach Vorsicht.
Und von den 8000 waren 2000 auch noch Leseexemplare, die wir kostenlos an Buchhändler verschickt hatten. Im Kinderbuch waren die Auflagen damals aber nicht so hoch wie im sonstigen Buchhandel, Kinderbücher galten noch als Nischengeschäft zusammen mit Bilder- und Malbüchern und hatten im Buchhandel immer die Ecke ganz hinten. Und ja, die ersten beiden "Potter"-Bände verkauften sich ganz gut, aber nicht berauschend. Von einem Erfolg konnten wir nicht sprechen. 

Klaus Humann, ein Mann mit Brille, lächelt in die Kamera
Klaus Humann, Verleger, Herausgeber und Autor
© Klaus Humann

Wann kam der Durchbruch?
1999 mit Erscheinen des dritten Bandes "Harry Potter und der Gefangene von Askaban". Das war im Oktober und im stern erschien damals zur Buchmesse ein langer Artikel über "Harry Potter" und im "Spiegel" eine kleine Geschichte über Frau Rowling, die die ersten Kapitel angeblich auf Servietten geschrieben hatte. Keine Ahnung, ob das stimmte, aber die Geschichte war gut. Und dadurch hatten wir die Nische des Kinderbuchs durchbrochen, "Harry Potter" war jetzt Fantasy, was ja ein viel größeres Publikum bedeutet. Die verkaufte Auflage der ersten drei Bände näherte sich dann der halben Million. Und im Frühjahr 2000 war Joanne K. Rowling auf einer Lesereise in Deutschland, zehn Städte, wir mussten von Stadt zu Stadt größere Säle buchen, in Berlin waren es dann 1200 Zuhörer. Und als dann im Herbst 2000 der vierte Band erscheinen sollte und wir weiterhin die ersten drei Bände nachdruckten, hatten wir Probleme, Druckereien zu finden und genug Papier zu beschaffen.

Das war der Herbst, in dem sich 12-jährige Kinder Eimer besorgten, auf denen sie nachts vor den Buchhandlungen saßen oder campierten, weil um Mitternacht der neue "Harry Potter" verkauft wurde.
Ja, und Sie müssen sich mal vorstellen, was das für den Buchhandel bedeutete. Um Mitternacht öffnen, genug Bücher bestellt zu haben, auf einmal hatte der Buchhandel einen richtigen Star und der kam aus der früheren Malbuch-Abteilung ganz hinten. Und wir vom Verlag bestanden auch auf den Erstverkaufstag, das wurde im Handel bis dahin nicht so genau genommen. Doch wir drohten den Händlern Strafen an, wenn nur eine Seite aus den Büchern vor dem Erstverkaufstag vor Mitternacht öffentlich geworden wäre. Vom vierten Band "Harry Potter und der Feuerkelch" verkauften wir in den ersten zwei Tagen dann über eine halbe Million Bücher.

Die aber nie in den Bestseller-Listen erschienen. Warum?
Weil damals die Bestseller-Listen Kinder- und Jugendbücher gar nicht ernst nahmen und nicht zählten. Wir haben fast ein halbes Jahr gekämpft, bis "Harry Potter" zum ersten Mal in der "Spiegel"-Besteller-Liste genannt wurde. Danach gab es Jahre, in denen von zwanzig Jahresbestsellern zehn Kinder- und Jugendbücher waren.

War das in anderen Ländern ähnlich?
Ja, in Europa schon. In den Niederlanden, Schweden oder Spanien erschien "Harry Potter" auch bei relativ kleinen Verlagen und die Erfolgskurve verlief ähnlich wie hier. Wir, also die europäischen Verlage, haben auch untereinander Erfahrungen ausgetauscht, das war ja für uns alle neu was da passierte.

Heute würde ein Buch wie "Harry Potter" mit massiver Werbung und viel Social-Media-Marketing in den Markt gedrückt werden.
Das gab es ja damals nicht und für massive Werbung hatten wir gar nicht die Mittel. Ich kann mich noch an so ein Streifenplakat erinnern, das wir gemacht hatten, auf dem "Papa gib mir Schotter, ich will 'Harry Potter'" stand. Und im damals noch jungen Internet waren wir der erste deutsche Verlag mit einer Website, die nur ein Buch bewarb: "Harry Potter". Mehr gab es nicht.

Wie erklären Sie sich im Rückblick dann diesen unglaublichen Erfolg, der ja auch den Carlsen-Verlag reich gemacht hat?
Ich glaube, es hat einfach Zeit gebraucht, bis sich für das Publikum so ab Band drei diese sehr komplexe Welt um Harry Potter und all den Figuren richtig geöffnet hatte und immer größer und magischer wurde. Und wenn ein Kind darin aufging, wurden auch die Eltern aufmerksam und fingen an zu lesen. Und dann die Freunde und wieder deren Freunde. Es gab damals Familien, die sich zwei Exemplare der neuen Bücher kauften, weil es sonst Streit gegeben hätte, wer als erster lesen durfte. Wir haben sogar von den ersten Bänden auch Ausgaben für Erwachsene mit Foto-Covern gemacht, weil wir aus England hörten, dass viele Erwachsene die Original-Cover mit einem Packpapier-Umschlag tarnten, weil sie in der U-Bahn nicht mit einem Kinderbuch gesehen werden wollten. Von den Ausgaben haben wir auch um 150.000 verkauft.

"Harry Potter" kam zu einer Zeit auf den Markt, als auch das Geschäft mit Spielkonsolen aufblühte. Lesen oder Spielen, spürten Sie den Konflikt?
Eigentlich nicht, wir machten ja die Bücher. Und wir hatten damals eine Umfrage gemacht, die ergab, dass ein Drittel der "Harry Potter"-Leser vorher keine Bücher lasen. Ich weiß allerdings nicht, wie viele von denen nach "Harry Potter" beim Buch geblieben sind.

2001 kam die Verfilmung des ersten "Potter"-Bandes ins Kino. Gingen die Verkaufszahlen der Bücher nochmal nach oben?
Die waren ja die ganze Zeit oben. Ich glaube, die Bücher haben da eher den Filmen geholfen als umgekehrt. Für uns änderte sich allerdings einiges, weil J.K. Rowling die Merchandising-Rechte an Warner Brothers weltweit verkauft hatte und nun auch weltweit alle Bücher mit denselben amerikanischen Covern erscheinen sollten. Dagegen konnten wir uns wehren, aber wir haben den "Harry Potter"-Schriftzug übernommen, weil der besser aussah.

Nochmal rückblickend auf den Sommer vor 25 Jahren. Haben Sie sich damals ganz im Geheimen einen solchen Erfolg vorstellen können?
Nein, überhaupt nicht. Es gab ja auch kein Beispiel anderer solcher Erfolge im Kinder- und Jugendbuchmarkt oder überhaupt auf dem Buchmarkt. Sie müssen sich vorstellen: 33 Millionen verkaufte Bücher in Deutschland. Ich war damals, als ich den ersten Band in der Hand hatte, eher nervös, ob mein erstes Projekt als Verleger das Honorar an die Autorin überhaupt wieder einspielt. Dass es sich dann so entwickelte, hat wirklich niemand ahnen können, auch im Ausland nicht. Ich weiß aber nicht, ob man aus Harry Potter und der ganzen Reihe ein Rezept herauslesen kann, wie man solche Bücher macht. Denn ganz genau weiß bis heute niemand, warum das ein so großer Erfolg wurde.

stern-Autorin Luisa Schwebel war "Harry Potter"-Fan der ersten Stunde. Sie findet: J.K. Rowling hat sich ins Abseits getwittert – doch "Harry Potter" wird immer magisch bleiben. Ihr Meinungsstück lesen Sie hier: 

PRODUKTE & TIPPS