"Ich, Rabentochter" Mutter war ein Ungeheuer

Die Mutter war ein Drache, der Vater nicht geboren zum Drachentöter. Katharina Ohanas beschreibt in ihrem Buch "Ich, Rabentochter" ihre Kindheit in einer vom Krieg traumatisierten Familie. Und beordert eine ganze Generation von "Kriegsenkeln" auf die Couch.

Wenn die heute 36 Jahre alte Katharina Ohana als Kind von der Schule heimkam, "roch es manchmal nach Essen, manchmal nach Ärger und manchmal nach Depression, denn die Familie wurde von einem schrecklichen Drachen beherrscht, der meistens in einer Höhle schlief und von Zeit zu Zeit anfing, sein Unwesen zu treiben." In ihrem autobiografischen Erstlingswerk "Ich, Rabentochter" beschreibt Ohana, wie es ist, Tochter einer depressiven Mutter zu sein. Dabei entsteht zugleich das psychologische Porträt einer ganzen Generation.

Drachen und Drachentöter

"Das Ungeheuer gehörte zur Familie wie eine böse Tante, die uns ab und zu besuchte und der man nicht absagen konnte. Nach der ersten, großen Feuersbrunst lag meine Mutter meistens lange im Bett", schreibt Ohana, deren Vater Förster im Taunus war. Ihre Mutter war als sudetendeutsches Kind aus der Tschechoslowakei vertrieben und von der eigenen Mutter stets gepiesackt worden. Ohanas Vater blieb angesichts der wahrscheinlich daraus entstandenen Krankheit seiner Frau eher passiv. "Er war nicht geboren zum Drachentöter und so saß er in seinem Unterschlupf und hielt die Versorgungslage aufrecht", schreibt Ohana, ohne es als Vorwurf zu meinen, wie sie sagt.

Um sich vor den ständigen Demütigungen ihrer psychisch kranken Mutter zu schützen, flüchtete sich Ohana als Kind in eine Fantasiewelt - und in Krankheiten. "Es gab nur ein einziges Mittel, das den Drachen zeitweise besänftigen konnte, ihn zurückweichen ließ und für einen Aufschub sorgte: ein Asthmaanfall." Als oft krankes Kind wurde Ohana zur Beobachterin ihrer eigenen Situation: "Ich saß in meinem Kopf hinter meinen Augen in Sicherheit, der Rest meines Körpers wurde zur Puppe."

Auf den Laufstegen einer überdrehten Scheinwelt

Ohana beschreibt die langsame Befreiung von den Traumata ihrer Familie, die sie mit einer Psychoanalyse schafft. Dabei geht es auch um die Um- und Irrwege, die sie als Jugendliche und junge Erwachsene nahm: Ess-Störungen, eine Schönheitsoperation, das Buhlen um gesellschaftlichen Erfolg, der ihr schließlich als deutsche Meisterin im Karate 1990 und danach als begehrtes Model - oberflächlich betrachtet - zuteil wird, aber nichts bringt. Im Gegenteil: Er macht alles nur noch schlimmer.

"Die Reise aus dem Forsthaus im Wald über das Nonnenstift der Kleinstadt und die Karatetrainingshalle zu den Laufstegen dieser überdrehten Scheinwelt war für mich zu schnell gegangen... Meine Träume hatten sich erfüllt in einem Maße, das jede weitere Hoffnung nun endgültig sprengte, und auch die Schönheit hatte nicht gehalten, was ich mir von ihr versprochen hatte." Ein Nervenzusammenbruch und ein Selbstmordversuch folgen.

Kinder einer traumatisierten Generation

Ihre persönliche Geschichte will Ohana stellvertretend für die Probleme einer ganzen Generation verstanden wissen. Es geht um die "Kriegsenkel", die Kinder der Kriegskinder. Nach Ohanas Überzeugung sind ihnen unverarbeitete Traumata des Zweiten Weltkrieges vererbt - die Angst der Bombennächte oder der Flucht zum Beispiel. "Im Zwischenraum der doppelten Moral hatten sie sich in meine behütete Jugend geschlichen und mir die Gnade der späten Geburt verweigert."

Wer will, kann dieses Buch als Gegenentwurf, zumindest aber als Ergänzung zu Florian Illies' Bestseller "Generation Golf" lesen. Der hatte das Leben der 1965 bis 1975 Geborenen als Mischung aus Langeweile und Markenbewusstsein beschrieben. Ohana, die Philosophie, Psychologie und Kunstgeschichte studiert hat, stellt ihrem Buch ein Illies-Zitat voran: dass sich bei ihren Altersgenossen "das ganze Leben, selbst an Montagen, anfühlte wie die träge Bewegungslosigkeit eines Sonntagnachmittags". Doch für diesen Umstand findet Ohana tiefer gehende Ursachen. Bei ihr kommt eine ganze Generation freudianisch auf die Couch.

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Gregor Tholl/DPA