"The Gender Frontier" Grenzgänger an der Geschlechterfront

  • von Malte Krebs
In ihrem Fotoband begleitet Mariette Pathy Allen Transsexuelle und "Gender Outlaws" durch ihren heiklen Alltag. Darin zu sehen: Tony - ein geborener Cop, der allerdings nicht als Mann geboren wurde.

Tony sitzt lässig im Polizeiwagen, das Funkgerät in der Hand. Mit kurz rasierten Haaren und ernster Miene blickt er mit leicht zusammengekniffenen Augen in die Kamera. Als Deputy Sheriff von Hillsborough County im US-Bundesstaat Florida hat er sich Anerkennung erarbeitet, sogar Auszeichnungen erhalten. Das Bild eines typischen amerikanischen Cops. Wäre da nicht ein kleines Detail: Tony ist biologisch gesehen eine Frau. Noch. Denn kurz nachdem dieses Bild entstanden ist, liegt Tony auf dem Operationstisch, um aus einer weiblichen eine männliche Brust machen zu lassen. Der letzte Schritt folgt dann zwei Jahre später, die blutige und riskante geschlechtsangleichende Genital-Operation.

Diese und andere Geschichten sind zu sehen in dem Buch "The Gender Frontier" der amerikanischen Fotografin Mariette Pathy Allen. Im Englischen bezeichnet "gender" das Geschlecht im sozialen, "sex" im biologischen Zusammenhang. Für Menschen, die ihre Anatomie nicht als schicksalhaft ansehen, deren biologisches Geschlecht nicht mit ihrer gesellschaftlichen Rolle zusammenfällt, gibt es den Begriff "Transgender". In diesem Grenzgebiet zwischen den Geschlechtern begleitet Allen Transsexuelle und "Gender Outlaws" mit der Kamera. Menschen, die die sozial definierte Normalität der Geschlechter verlassen, ihre eigene Identität selbst bestimmen und verändern. Sie zeigt den Weg von einem Geschlecht ins andere, die Veränderungen durch Kleidung, Hormontherapien und Operationen.

Lange Zeit hatten solche Geschichten etwas Anrüchiges. Mit ihrer umfangreichen Fotodokumentation möchte die Fotografin Allen ihre Protagonisten aus der Schmuddelecke herausholen, sie nicht als "Freaks" darstellen. Darum sieht man Tony bei der Arbeit als Polizist oder auf seiner Pferderanch. Gezeigt wird vor allem das normale, alltägliche Leben. Und das ist bizarr genug.

Was ist eigentlich Identität?

Für die meisten Menschen ist es im Alltag unstrittig, ob sie sich als Mann oder Frau identifizieren. Die Fragwürdigkeit solcher festen Definition zeigt sich jedoch nicht nur am Beispiel des Polizisten Tony: Soll sich das Geschlecht nach den Genitalien richten, den Chromosomen, den Hormonen, nach allen dreien oder nach etwas anderem? Was macht man, wenn der Mensch, der einem aus dem Spiegel entgegenblickt, nicht dem inneren Selbstbild entspricht?

"The Gender Frontier" stellt aber nicht nur Menschen vor, die durch Operationen ihren Körper an ihr "eigentliches" Geschlecht anpassen. Daneben werden Personen gezeigt, die sich einer traditionellen Zweiteilung männlich/weiblich entziehen, die mehr als ein Geschlecht haben. Die ihre Körper und Geschlechterrollen als Experimentier- und Entdeckungsfelder begreifen, sich als Grenzgänger zwischen den Kategorien sehen.

Beim Betrachten der Bilder in "The Gender Frontier" wird zunehmend klar, dass das duale Raster Mann - Frau zumindest hier zu grob ist. Das Buch präsentiert vielmehr die ganze Bandbreite zwischen den Polen "männlich" und "weiblich", die Grauzonen zwischen den Geschlechtern. "Wir alle suchen nach Identität: der Beziehung von Körper, Geist und Seele", ist sich Allen sicher. "Der einzige Unterschied zwischen der 'normalen' und der Transgender-Person ist die Intensität des Dramas dieser Suche."

Geschlechtergrenzen durchbrechen

Allen zeigt mit ihrem Fotoband auch die wachsende Politisierung der Transgender-Community in den vergangenen Jahrzehnten. Genaue Zahlen dazu liegen nicht vor, neuere Erhebungen zählen etwa 0,2 Prozent der US-amerikanischen Bevölkerung zu den Transsexuellen. Was früher weitgehend unbemerkt und nur für Eingeweihte sichtbar war, tritt mit wachsendem Selbstbewusstsein in die Öffentlichkeit. Protestaktionen gegen Diskriminierung, Trauerwachen für ermordete Transsexuelle und politische Lobbyarbeit zeugen von einer großen Solidarität der Betroffenen.

Das Durchbrechen gesellschaftlich und biologisch festgelegter Grenzen stößt jedoch auch heute noch auf heftige Widerstände. Nachdem Tonys Geschlechtsumwandlung bekannt wurde, begann eine regelrechte Hetzjagd, seine Polizei-Kollegen wandten sich ab, auf sein Haus wurde sogar geschossen. Auch nach einem Umzug ans andere Ende der USA änderte sich kaum etwas. Tony, inzwischen verheiratet mit einer Frau und Vater einer Adoptivtochter, verlor auch hier seinen Job als Gesetzeshüter, als seine Vorgesetzen durch einen anonymen Hinweis erfuhren, dass er als Frau geboren wurde.