Boualem Sansal Algeriens provokanter Intellektueller

Er hat Nazis und islamistische Hassprediger miteinander verglichen und damit Aufsehen erregt. Seine algerische Heimat hat der Schriftsteller Boualem Sansal nie verlassen, obwohl er dort zensiert wird.

Nein, er ist nicht nach Frankreich ausgewandert, wie so viele Schriftsteller aus dem Maghreb. Boualem Sansal, der neue Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels, ist in seiner algerischen Heimat geblieben, obwohl er seinen guten Posten im Industrieministerium verloren hat - zu aufmüpfig war er, wie die Regierung offensichtlich befand. Seine Bücher wurden in seiner Heimat verboten. Eigentlich gehöre er ins Museum, sagte er einmal in einem Interview. Er führe eine Randexistenz, teils toleriert, teils ignoriert oder zensiert. Der 61-Jährige zählt zu den letzten bedeutenden Intellektuellen seiner Generation, die sich in Algerien den Mund nicht verbieten lassen.

Als im Nachbarland Tunesien der arabische Frühling ausbrach, schaute er staunend über die Grenze. Neid und Skepsis mischten sich. "Es läuft immer so: Revolutionen beginnen mit Jubel und enden mit Schmerzen", prophezeite er in einem Beitrag für "Die Welt" wenige Tage nach dem Sturz des Diktators Zine el Abidine Ben Ali. "Am Ende bleibt meist nur ein zerstörtes Land, ein beraubtes Volk, eine zerrissene Gesellschaft, Berge von Bedauern. Und die Scham, eine so wundervolle Sache kaputtgemacht zu haben", fürchtete er damals.

Die wahre Revolution habe noch gar nicht begonnen, schrieb er: "Eine Revolution der Ideen, eine Revolution, die die arabischen Völker tatsächlich befreien wird, die sich anschickt, dem Individuum einen Platz in der Gemeinschaft einzuräumen, der Vernunft neben dem Glauben zu ihrem Recht zu verhelfen." Dies sind die Themen, um die auch seine Romane kreisen.

Mit seinem jüngsten Buch hat er vor allem in Deutschland viel Aufsehen erregt. "Das Dorf des Deutschen", das in Frankreich 2008 und ein Jahr später auch in Deutschland erschien, geht auf ein kurioses Reiseerlebnis zurück: Sansal hatte als Ministerialbeamter ein algerisches Dorf entdeckt, das ihm ungewöhnlich sauber vorkam. Dies sei "das Dorf des Deutschen", erzählte man ihm. Ein Deutscher habe sich dort nach dem Zweiten Weltkrieg niedergelassen, eine algerische Frau geheiratet und im Unabhängigkeitskrieg mitgekämpft. Schließlich wurde er zum Dorfscheich ernannt.

Sansal verarbeitet dies zu einem Roman, in dem zwei Söhne einer deutsch-algerischen Familie die Nazi-Vergangenheit ihres Vaters entdecken. Das ist zunächst kein ungewöhnliches Thema. Brisanz bekommt es jedoch dadurch, dass es ein arabischer Autor ist, der über die Schoah und ihre Täter schreibt. Und mehr noch dadurch, dass er eine Parallele zwischen den Hassparolen der Nazis und denen der islamistischen Prediger in den Pariser Vorstädten zieht.

In seiner Heimat sei der Massenmord an den Juden bis heute nicht in seinem Ausmaß bekannt, sagt er. "Die Juden übertreiben, lautet eine verbreitete Ansicht. Soweit ich mich zurückerinnern kann, gab es immer auch Leute, die offen zu ihrer Sympathie für die Nazis standen", sagte er kurz nach der Veröffentlichung des Romans. "Ich bin damit aufgewachsen, dass Hitler eine große Figur der Geschichte war."

Er habe nicht provozieren wollen, sagt Sansal, lediglich die Wahrheit aufschreiben. Aber manche seiner Landsleute fühlten sich dennoch angegriffen. Der Schriftsteller musste sich Vorwürfe anhören, er sei kein Muslim oder gar ein Agent des israelischen Geheimdienstes.

Ob der arabische Frühling sich auch in seiner algerischen Heimat ausbreitet, ist noch nicht absehbar. Die Regierung hat geplante Großdemonstrationen bislang zu verhindern gewusst. Präsident Abdelaziz Bouteflika klammert sich weiter an die Macht. Sansal fürchtete schon vor einigen Jahren, dass der Umbruch nicht einfach wird: "Nach vierzig Jahren Diktatur ist unser Land in einem fürchterlichen Zustand. Wir werden eines Tages ganz von vorne anfangen müssen. Das wird ein langer und schmerzhafter Prozess."

DPA
Von Ulrike Koltermann, DPA

Mehr zum Thema