Zum Tod vom Harry Rowohlt Mach's gut, Harry

Von Ralf Sotscheck
Harry Rowohlt ist tot. Der Schriftsteller und Übersetzer starb am 15.06.2015 im Alter von 70 Jahren in Hamburg.
Harry Rowohlt ist tot. Der Schriftsteller und Übersetzer starb am 15.06.2015 im Alter von 70 Jahren in Hamburg.
© Rolf Vennenbernd/dpa
Kaum jemand kannte Harry Rowohlt besser als der deutsch-irische Journalist und Autor Ralf Sotscheck. Im Buch "In Schlucken-zwei-Spechte" schrieb er Rowohlts Anekdoten auf. Für uns erinnert er sich an einen denkwürdigen Abend.

Um zwölf Uhr mittags wache ich mit einem furchtbaren Kater auf. Am Abend zuvor hatte ich mit Harry Rowohlt in einer Buchhandlung in Arnsberg gelesen. Der Laden war rappelvoll, die Lesung wurde sogar per Lautsprecher in einen Nebenraum übertragen. Harry trank wie immer Whisky, ich blieb zunächst bei Mineralwasser. Nach zweieinhalb Stunden war Pause. Ich beschloss, nach der Pause ebenfalls zum Whisky zu greifen. Nach vier Stunden sagte Harry zum Publikum: "Ich bewundere euch dafür, dass ihr so lange auf harten Holzstühlen ausharrt und dabei zuschaut, wie sich zwei ältere Herren betrinken." Eine Stunde später zogen wir in den irischen Pub gegenüber, der trotz Ruhetag für uns geöffnet hatte. Der Rest des Abends ist mir nur noch schemenhaft in Erinnerung.

Um fünf nach zwölf klingelt das Telefon in meinem Hotelzimmer. Harry sagt, es sei Zeit zum Aufstehen. Ob wir frühstücken wollen, frage ich ihn. Ich bin längst wieder in Hamburg und habe schon eine Seite übersetzt", brummt er.

Rund 150 Bücher hat er übersetzt

Harry Rowohlt war nicht nur ein wunderbarer Vorleser, der immer wieder in Erzählungen abschweift, so dass er eine Kurzgeschichte auf zwei Stunden ausdehnen kann; er war auch Kolumnist, Penner in der Lindenstraße, Autor und vor allem ein genialer Übersetzer. "Ich habe insgesamt fünf Jobs, die jeder für sich Hobbycharakter haben", sagte er, "aber alle zusammen erfordern doch den ganzen Menschen." Rund 150 Bücher hat er geschafft. Das erste war "Die grüne Wolke" von A.S. Neill, dem Erfinder der antiautoritären Erziehung. "Aber selbst wenn ich es geschrieben hätte, wäre ich immer noch kein Fachmann dafür", sagte Harry. "Agatha Christie hat ja auch niemanden umgebracht."

Am liebsten hat er Flann O`Brien übersetzt. Das passt, die beiden könnten aufgrund ihres Hangs zu Alkohol und skurrilem Humor Brüder sein. Durch O`Briens Bücher entdeckte Harry Irland. Aber im Herzen hat er Hamburg, die Stadt, durch deren sämtliche Kneipen er mich an einem langen Abend stolz geschleppt hat.

Es war Liebe auf den ersten Blick

Kennengelernt haben wir uns irgendwann Mitte der 90er Jahre in Dublin. Es war Liebe auf den ersten Blick. Harry hatte mich überredet, ihn in die "International Bar" zu begleiten. Dort spielten die "One Eyed Rattlers", eine von Harrys fünf Lieblingsbands, eine Bluegrass-Country-Rock-undsonstwas-Band, die manchmal auch "Honky Tonk Woman" spielt. "Wenn Mick Jagger je gesehen hätte, wie hundsgemein er da parodiert wird, hätte er sich längst aus dem Geschäft zurückgezogen", meinte Harry. Es wurde wieder ein langer Abend.

Mit dem Alkohol war es in den letzten Jahren vorbei, denn Harry litt an einer Polyneuropathie, einer Nervenkrankheit in den Füßen. Die könne er nur empfehlen, erzählte Harry, denn dann merke man nicht, dass man kalte Füße habe.

Er habe alles erreicht, sagte Harry einmal. Sein Foto hänge sogar in der Ehrengalerie in Kenny´s Bookshop in Galway, dem besten Buchladen Irlands. Leider hat er vor ein paar Jahren dichtgemacht. Das habe ich Harry aber nicht erzählt. Mach's gut, Harry, oder wie du sagen würdest: "Tschüüüß."