Drei Jahre nach seinem Weltbestseller "Die Korrekturen", der ihn über Nacht auf den Olymp der postmodernen amerikanischen Literatur katapultierte, ist Jonathan Franzen zurück mit dem nächsten Gesellschaftsroman. Nur ist seine neue Familiensaga "Schweres Beben" gar nicht neu: Franzen schrieb seine Geschichte über ein junges Paar, welches das schmutzige Geheimnis eines Chemiekonzerns und damit die Ursache unerklärlicher Erdbeben in Boston aufdeckt, bereits 1992. Der Rowohlt Verlag stellt den zweiten Roman des damals noch kaum bekannten Autors, ein 688-seitiges Prosawerk, diese Woche als deutsche Erstausgabe vor.
Durchbruch erst mit "Korrekturen"
Nicht durch Zufall hat der heute 41-jährige Franzen erst mit seinen "Korrekturen" den Durchbruch zum gefeierten Romanautor geschafft. Zwar lobten ihn renommierte US-Zeitungen wie die "New York Times" und "Washington Post" auch vor 13 Jahren schon für "seinen Mut, die unbegrenzte Energie" und "enorme Kraft seiner Imagination" sowie die unverhüllte Verachtung für den Lebensstil vieler Amerikaner. Die "Los Angeles Times" sah in dem gerade 28-jährigen Nachwuchsschreiber schon damals den potenziellen Nachfolger großer US-Literaten wie Thomas Pynchon und Don DeLillo. Doch wandte das "Library Journal" ein, Franzen schlachte seine Metaphern gelegentlich zu sehr aus. Andere Kritiker bemängelten seine Neigung zur Belehrung und zu ausufernden Details, die es schwer machten, den Faden zu behalten. Erst in der zweiten Hälfte werde das Buch richtig packend und münde in einen handfesten Krimi.
Wie später in den "Korrekturen", seinem dritten und bisher letzten Roman, spinnt Franzen "Schweres Beben" um eine Familie, die Hollands aus Illinois, ihre Generationenkonflikte, Geschwisterneid und ein Millionenerbe. Im Mittelpunkt steht Sohn Louis, der sich in die Seismologin Reneé verliebt und mit ihr die Ursache der unerklärlichen Erschütterungen aufdeckt: mit toxischen Abfällen gefüllte Bohrlöcher der Chemiefirma, die die Erdkruste destabilisieren. Am Ende bedroht ein Beben, das stärker sein soll als alle anderen zuvor, nicht nur die Umgebung, sondern auch den Frieden und das Vertrauen unter den Hollands.
Roman als Produkt einer Krise
Franzens brilliert in seinem neuen alten Gesellschaftsroman erneut mit der Tiefe der Charaktere und der Fülle aktueller Themen, die er in die Geschichte einwebt: die christliche Pro-Life-Kampagne, politische Resignation in der damaligen Reagan-Ära, Bisexualität und Drogenkonsum. "Schweres Beben" ist das Produkt einer für Franzen besonders schwierigen Lebensphase. Er und seine Frau Valerie Cornell, die ebenfalls Ambitionen zum Schreiben hatte, ihr Buch aber nicht verkaufen konnte, versuchten damals verzweifelt, ihre Ehe vor dem Scheitern zu retten.
Das Paar lebte Anfang der 90er Jahre mal in den USA, mal in Deutschland oder Italien - jeweils nur für Wochen oder Monate. "Wir hofften, unsere nicht-geographischen Probleme geographisch lösen zu können", sagte Franzen 2001, sieben Jahre nach der Scheidung, in einem Interview. Zur deutschen Ausgabe sagte er jetzt: "'Schweres Beben' entstand in einer ganz besonders 'deutschen' Phase meines politischen und Gefühlslebens." Franzen spricht Deutsch, hat in Deutschland studiert und seine Liebe zur Literatur, wie er sagt, "erst durch die deutsche Sprache entdeckt".
Jonathan Franzen: "Schweres Beben", Rowohlt Verlag, Reinbek, 688 Seiten, 24,90 Euro