Die Hochzeit im vergangenen September schillert noch immer in meinen Träumen: Sizilien, ein uraltes Castello Kaiser Friedrichs II., ein gigantischer Baum, ein indischer Sänger, der herzzerreißend von der Liebe singt. Und davor und vor Gott: Giannina Müller-Petrović, die Braut, so wild und wunderschön, wie sie selbst auf ihren grandiosesten Modefotografien als Model noch nicht ausgesehen hatte. Und Carl Jakob Haupt, der Mann fürs Leben, unbestritten bester Modeblogger Deutschlands, und darin vielmehr auch Künstler und Popstar, er und alle so strahlend und glücklich.
Es sei nicht das wichtigste Ja seines Lebens gewesen, sagte Carl Jakob in seiner Brautrede. Denn ein viel wichtigeres habe er lange zuvor vernommen, und gesagt hatte es ebenfalls Gia. Als er nämlich seine erste Krebsdiagnose erhalten hatte – und ihr, der noch jungen Freundin, ans Herz legen wollte, um ihrer selbst Willen von ihm, dem nun Schwerkranken, Abstand zu nehmen. Ihre Antwort sei gewesen, bei ihm einzuziehen. Die Liebe zwischen den beiden war geradezu körperlich spürbar. That’s Amore habe ich ihnen vor ihrer Hochzeitstorte geschmettert. Und auch, wenn allen Anwesenden bewusst war, dass nach dem ersten inzwischen auch schon der zweite, noch bösartigere Krebs mit an die Hochzeitstafel gekommen war, flossen die Tränen an diesem Tag vor Glück und vor Rührung.
Erste Begegnung mit Carl Jakob Haupt
Carl Jakob Haupt war eine Erscheinung. Ich weiß noch, als ich im Februar vor sechs Jahren ihm und seinem Kompagnon David Roth in einer Kreuzberger Wohnung zum ersten Mal gegenüber saß, um über ihren damals noch recht neuen Modeblog "Dandy Diary" zu sprechen. Alle möglichen Influencer und Blogger waren mir zuvor auf einer ausgedehnten Recherchereise begegnet. Und ich wusste im ersten Moment, als ich Jakob und David gegenüber saß, dass diese beiden von einem anderen Schlag waren. Eigentlich konnte man weniger von einer Wohnung sprechen, es war eine Kunstinstallation mit vielen Klamotten zwischendrin, und als Kunstinstallation begriffen sie sich auch selbst. Es war ihnen nie wirklich darum gegangen, über die Mode anderer zu berichten, sondern selbst so etwas wie Fashion zu sein. Und: auf den Putz zu hauen, eine Szene zu machen, und mit unbändiger Lust zu provozieren.
Was haben die beiden alles getrieben: eine Modestrecke als rückwärts laufenden Pornofilm gedreht – mit einem Studentenpärchen, das sie auf der Straße angequatscht hatten. Einen Nacktflitzer, wie sie sonst über Fußballfelder sausen, auf den Laufsteg der Dolce & Gabbana-Show in Mailand geschickt. Sie designten Modestücke aus der Deutschlandfahne, um sie damit symbolisch den Rechtspatrioten zu entreißen. Einmal gelang es ihnen, die Münchner Trachtenszene in Aufregung zu versetzen, nachdem sie einen Lederhosenfabrikanten die Gangzeichen der mittelamerikanischen Drogen-Gang M13 auf seine Krachledernen sticken ließen. Ärger sei das Allerschönste, hat Jakob, der studierte Politikwissenschaftler, gesagt. Die Bestätigung, dass die Freigeistigkeit und Radikalität mit denen er und David die Welt konfrontierten, auch ihre Wirkung entfaltet.
Legendäre Partys in Berlin
Und dann waren da noch diese unglaublichen Partys, die sie zu feiern wussten. Jede Ausgabe der Berliner Fashion Week eröffnete mit einer "Dandy Diary"-Party, stets ein Riesenknall, und eine Herausforderung für jeden, der daran teilnahm. Dabei konnte man mit Jakob so schön still sein. Einmal waren wir gemeinsam in Bad Gastein und bummelten im Hotel Regina herum. Oder noch vergangenen Herbst, als wir in Hamburg im Saal II auf der Schanze saßen und irgendwie nur lümmelten und nicht über die Krankheit redeten, eigentlich über gar nichts. Es ist ein ganz besonders erlesener Luxus mit klugen Menschen, die viel zu sagen haben, gemeinsam schweigen zu dürfen.

Im Februar haben Jakob und ich uns auf der Berlinale zum letzten Mal gesehen. Er war schon entsetzlich krank, hatte Morphium gegen die Schmerzen genommen. Aber es sei irgendwie egal, wo man Schmerzen habe, zuhause oder auf einer Party, sagte er. Wir saßen im ersten Stock des Borchardt, es wurde ringsum heftig gefeiert, wir saßen auf einer Bank, tranken Champagner und redeten. Und zum ersten Mal spürte ich, dass er unendlich traurig war. Dass er nun sein eigenes Ende schon deutlich vor Augen haben musste.
Die letzten Stunden verbrachte er in Bad Saarow in einem Sterbehospiz. Er ist dort bewusst und selbstbestimmt hingegangen, so wie in seinem ganzen Leben zuvor hat er sich auch der letzten Herausforderung gestellt.

Er hat noch aufgeschrieben, wie sein Begräbnis ablaufen soll. Was er hinterlassen möchte, nämlich eine Stiftung für krebskranke Kinder, die sich einen Wunsch erfüllen möchten. Giannina Haupt war bei ihm und hielt ihn in ihren Armen, als er am Karfreitag schließlich losließ. "Du bist das erste an das ich denke, wenn ich morgens aufwache – und das letzte, woran ich denke, wenn ich einschlafe. Und das seit wir uns kennen", hat Jakob im April an Gia geschrieben. "Und so wird es auch jetzt gewesen sein, wenn ich zum letzten mal eingeschlafen bin."
34 Jahre ist Carl Jakob Haupt alt geworden. Es ist so unendlich traurig, für uns alle, die ihn liebten. Aber es ist auch eine Tragödie, in Anbetracht der Ahnung, was dieser großartige Mann noch hätte vollbringen können.
