Es braucht nur die ersten Minuten des Films, um von dieser Person wieder gefesselt zu sein. London 1998. Wir sehen eine junge Amy Winehouse mit zwei Freundinnen, sie feiern gerade einen 14. Geburtstag. Die Teenagermädchen lutschen Lollis, blödeln vor der Kamera rum, kichern. Und dann beginnt Winehouse zu singen: "Happy Birthday", im Stil von Marilyn Monroe. Mit gespielt übertriebenem Gestus aber mit einer Intensität, die ins Mark fährt.
Und plötzlich kommt die Erinnerung wieder: Ja natürlich, so toll war sie! Mit einer Stimme, viel reifer als ihr Alter, mit unglaublich viel Talent, Witz und dieser unverwechselbaren Attitüde. Die Dokumentation "Amy" vom britischen Regisseur Asif Kapadia beherrscht in Großbritannien gerade die Kinocharts. In Deutschland läuft das berührende Porträt über die verstorbene Sängerin diese Woche an. Und es lohnt sich, ins Kino zu gehen.
Hätte ihr Tod verhindert werden können?
Nicht, weil besonders viel Neues über Winehouse zusammengetragen würde. Kapadia zeichnet den tragischen Fall der Sängerin so nach, wie er öffentlich stattgefunden hat. Zeigt noch einmal den Liebeskummer, den Erfolg, die Drogenexzesse und die Schlagzeilen. Doch durch diese Art Collage aus privaten Videos und Fotos, den Medienschnipseln von früher und zahlreichen Interviews mit Familie und Freunden entwickelt der Film eine starke Anziehungskraft. Er wirft auch die Frage auf: Hätte ihr viel zu früher Tod verhindert werden können? Wer trägt Schuld an ihrem Untergang? Doch eindeutige Antworten gibt es nicht.
Deutlich wird, dass Amy Winhouse ein Freigeist war, der Grenzen suchte und sie nirgends fand. 2006 wollten Freunde sie zum ersten Mal in den Entzug schicken, erzählt ihr ehemaliger Manager und guter Freund Nick Shymansky. "Vermutlich hätte es 'Back to Black' dann nie gegeben, aber sie hätte noch eine echte Chance gehabt", ist er im Film zu hören. Es klingt plausibel. Damals konnte sie noch ohne Paparazzi-Meute in London auf die Straße gehen. Winehouse hatte durch ihr Debutalbum "Frank" zwar einige Fans in Europa gewonnen, war aber längst noch kein Weltstar. Die Platte war dafür auch zu sperrig, zu Jazz-lastig. Freunde redeten ihr ins Gewissen, sie aber wollte nur auf ihren Vater hören. "Amy brauchte keinen Entzug", hört man Mitch Winehouse im Film sagen. Ganz genau so, wie seine Tochter es später auch im Hit-Song "Rehab" beschrieb: "But if my Daddy thinks I'm fine (...) I won't go, go,go".
Richtig unangenehm: Amys Exmann
Es ist eine der Sequenzen, die Mitch Winehouse wütend machen und ihn dazu brachten, sich von der Dokumentation im Nachhinein zu distanzieren. Er sei falsch zitiert worden, sagte er dem britischen "Guardian". Er habe gesagt, dass Amy zum damaligen Zeitpunkt keinen Entzug brauchte, doch das hätten die Filmemacher absichtlich rausgeschnitten.
Ja, Amys Vater kommt nicht gerade wie ein verantwortungsvolles Elternteil rüber, wenn er zum Beispiel seine kranke Tochter samt Kamerateam in der Karibik besucht, wo sie sich eigentlich gerade von der ständigen Paparazzi-Jagd erholen will. Aber die Doku macht ihn nicht zum bösen Buben oder Allein-Schuldigen. Das trifft am ehesten noch auf Winehouses Exmann Blake Fielder-Civil zu. Selbst im Video von ihrem gemeinsamen Hochzeitstag wirkt Fielder-Civil wie ein idiotischer Player, ein unangenehmer Typ. Seine tiefe, dunkle Stimme erzählt, wie er Amy auf den Geschmack von Heroin brachte, wie sehr sie an ihm hing. Hätte es diese Liebe nicht gegeben - vielleicht wäre alles anders gekommen.
Und dann die Medien: Es tut weh, rückblickend die Bilder von der verfolgten Amy Winehouse zu sehen. Oder die Buhrufe für ihr letztes Konzert in Belgrad zu hören. "Ich glaube nicht, dass ich berühmt werde. Ich würde wohl verrückt werden", hört man sie in einem Interview vor dem großen Durchbruch sagen und man fühlt sich unwillkürlich schuldig. Hätten die Paparazzi sie in Ruhe gelassen - vielleicht wäre auch dann alles anders gekommen.
Hätte, wäre... Man ertappt sich beim Zuschauen dabei, wider besseres Wissen auf ein Happy-End zu hoffen. Und dann kommt es doch wieder so: Amy Winehouse, 27, stirbt am 23. Juli 2011 in London an einer Alkoholvergiftung. Ach, Amy.