Berlinale Goldener Bär für Fatih Akin

Nach 18 Jahren ist wieder ein deutscher Film mit einem Goldenen Bären ausgezeichnet worden. Der in Hamburg lebende Regisseur Fatih Akin konnte die Jury mit seinem berührenden Film "Gegen die Wand" überzeugen.

Genau 18 Jahre hat es gedauert, bis der deutsche Film erstmals wieder einen Goldenen Bären einheimsen konnte. Dies gelang dem türkischstämmigen, in Hamburg lebenden Regisseur Fatih Akin ("Solino") mit seinem ebenso spannenden wie berührenden Film "Gegen die Wand". In der leidenschaftlichen Liebesgeschichte erzählt er vom turbulenten Leben einer jungen Türkin mit deutschem Pass.

Akin: Film war "wie so ein Pickel, den ich ausdrücken musste"

"Ich habe überhaupt nicht damit gerechnet, einen so großen, elitären und besonderen Preis für einen kleinen, schmutzigen, rockigen Film zu erhalten", sagte Akin.

Der in Deutsch und Türkisch gedrehte Film spielt in Hamburg und Istanbul. Der 30-jährige Akin hat das Drehbuch selbst geschrieben. Besonders beeindruckten die Berlinale-Zuschauer die beiden Hauptdarsteller Birol Ünel und Sibel Kekilli. "Der Film war sehr lange in mir drin, es war wie so ein Pickel, den ich ausdrücken musste", meinte Akin bei der Berlinale-Premiere.

Akin: Film soll konservative Familien zur Diskussion anregen

"Ich wollte einen Film machen, der eine Liebesgeschichte erzählt von Borderlinern - von Menschen, die sich weh tun, um sich klar zu machen: 'Ich lebe'", hatte Akin in einem Interview über seinen Film gesagt. "Gegen die Wand" erzählt die Geschichte der Deutsch-Türkin Sibel (Sibel Kekilli), die in Hamburg den heruntergekommenen und wesentlich älteren Alkoholiker Cahit (Birol Ünel) zur Heirat überredet, um den strengen Moralvorstellungen ihrer Familie zu entkommen. Nach der Hochzeit zieht Sibel mit den Männern durch die Betten, während Cahit sich langsam in sie verliebt. Als er einen aufdringlichen Liebhaber Sibels im Affekt tötet, wird sie von ihrer Familie verstoßen und geht nach Istanbul. Nachdem Cahit seine Zeit im Gefängnis abgesessen hat, treffen sich beide in der Türkei wieder.

"Ich hoffe, der Film regt konservative Familien zur Diskussion an", sagte Akin nach der Uraufführung seines Films auf der Berlinale. Er habe in seinem Werk jedoch nicht die ältere Generation der Türken in Deutschland denunzieren wollen, sie seien auch ein Opfer der Tradition. Nach seiner Einschätzung seien die Türken in Istanbul aber moderner als die Türken in Deutschland. "Die da drüben sind uns vielleicht eine Spur voraus. Oder nein: einfach anders", erklärte der Hamburger Regisseur. Wichtig sei, dass ein gegenseitiges Geben und Nehmen da sei. Er selbst sei schon sehr nervös, wie seine Eltern "Gegen die Wand" beurteilten.

Zu den türkischen Traditionen, die seiner Hauptdarstellerin solche Probleme bereiten, empfinde er eine "loyale Opposition", meinte der Regisseur. Aber: "Wenn es dogmatisch wird, muss man sich dagegen wehren."

Akin sieht sich als deutschen Regisseur, obwohl er in der Türkei als türkischer Star gilt. "Ich verstehe mich auf jeden Fall als deutscher Filmemacher. Ich mache meine Filme mit deutschem Geld, und ich vertrete ja auch Deutschland", sagte er. "Mal fühle ich mich deutsch, mal türkisch. Aber das ist kein Nachteil: Ich kann daraus schöpfen statt dass es mich blockiert."

Ünel sagte, der durchgängig in deutsch und türkisch gesprochene Film sei auch ein Bekenntnis. "Es ist ein bisschen schwierig für die zweite Generation, sich in ihrer Heimatsprache noch verständlich zu machen." Die zweite Generation habe einfach einen größeren Wortschatz auf Deutsch als auf Türkisch. Ünels Filmcharakter Cahit muss sich im Gespräch in Istanbul zum Teil mit Englisch behelfen, weil sein Türkisch so schlecht ist. Auch bei den Türken in Deutschland, die er als "Kanaken" beschimpft, wird er für sein schwaches Türkisch gehänselt.

Etwas ganz Neues war der Dreh für die Hauptdarstellerin Sibel Kekilli, die zuvor als Verwaltungsfachangestellte im Heilbronner Rathaus gearbeitet hatte und auf der Straße für die Rolle angesprochen worden war. Ihretwegen wurde der Film chronologisch gedreht. "Ich habe das Gefühl, dass diese Generation wieder zu ihren Wurzeln zurückgeht und türkischer wird", sagte sie. Mit dem Film wolle sie zeigen, wie es enden könne, wenn die Eltern ihre Kinder nicht unterstützten und begleiteten.

1986 wurde mit Reinhard Hauffs "Stammheim" das letzte Mal ein deutscher Film mit dem wichtigsten Preis der Berlinale ausgezeichnet. Während damals ein explizit politischer Film geehrt wurde, ging die Auszeichnung dieses Mal an ein Drama, das anhand einer sehr persönlich anmutenden Geschichte eher unterschwellig die Schwierigkeiten im Zusammenleben verschiedener Kulturen spiegelt.

Festival kam nur schwer in Fahrt

23 Filme aus aller Welt waren in der offiziellen Konkurrenz gestartet. Insgesamt wurde der Wettbewerb in diesem Jahr von vielen Kritikern als eher lau beurteilt. Vielleicht hatte Festivalchef Dieter Kosslick den Klagen über den im Vergleich zum Vorjahr schwachen Jahrgang 2004 schon vorbauen wollen, als er zur Eröffnung scherzhaft sagte: "Die letzte Berlinale war gut, die nächste wird auch gut."

Das Thema Liebe und zerstörte Hoffnungen zog sich wie ein roter Faden durch viele der Wettbewerbsfilme. Die Franzosen Patrice Leconte und Cédric Kahn lieferten dazu solides, aber wenig aufregendes Kino. Die Skandinavier widmeten sich in unterschiedlicher Qualität den Seelenqualen der von der Liebe und dem Leben Enttäuschten. Sehr kontrovers diskutiert wurde der zweite deutsche Beitrag: Romuald Karmakars Beziehungsdrama "Die Nacht singt ihre Lieder" nach dem Theaterstück des norwegischen Erfolgsautors Jon Fosse.

Stars waren Mangelware

Nach dem behäbigen Start mit dem pathetischen Bürgerkriegsdrama "Unterwegs nach Cold Mountain" kam der Festivaltanker nur schwer in Fahrt. Zu schaffen machten den Berlinale-Machern dabei die hohen Erwartungen des Publikums an die leibhaftige Anwesenheit der Filmstars. Wegen der Vorverlegung der Oscarverleihung auf Ende des Monats warben einige der US-Darsteller lieber in ihrer Heimat für sich und ihre Filme, statt die Berlinale zu besuchen. So waren weder Nicole Kidman noch Jude Law als Hauptdarsteller des Eröffnungsfilms zum Berlinale-Auftakt erschienen.

Auch Nick Nolte sagte ab, Eric Rohmer konnte aus gesundheitlichen Gründen nicht kommen. Renée Zellweger beehrte das Festival mit viertägiger, Law sogar mit siebentägiger Verspätung. Juliette Binoche schaute nur für den Gang über den Roten Teppich vorbei. So drehte sich zunächst alles um Hollywoodschauspieler Jack Nicholson. Aber auch Cate Blanchett und Ethan Hawke sorgten für Glanz. Dieter Kosslick verkündete schon zu Beginn sein persönliches, diesjähriges Motto: "Hope and Humour" (Hoffnung und Humor). Beides hatte er in diesem Jahr auch nötig.

DPA, Reuters

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