So, die Bären sind vergeben, aber vorher noch ein kleiner Exkurs in Sachen Will Smith. Eigentlich müsste der Junge nicht nur einen Spezialpreis für die Beste Hauptrolle in einer Berlinale-Pressekonferenz bekommen, sondern auch einen Humanitarian-Award als professionellster und uneigennützigster Superstar der Welt.
Denn am Abend der "Hitch"-Premiere im Berlinale-Palast brach er mal wieder durch, dieser verspannt-piefige, deutsche Unterhaltungs-Provinzialismus: Als Präsentatorin des Films hatte die Leitung eine dieser austauschbaren TV-Schauspielerinnen-Micky-Mäuse auf die Bühne geschickt, die dann in mediokrem Schulenglisch den Film "mit Will Smith" ankündigte, ohne seine komplett anwesende Kollegen-Riege auch nur mit einem Wort zu würdigen.
Da der Festival-Chef weit und breit nicht zu sehen war, ergriff Smith selbst die Initiative – als der Saal schon dunkel war und der Festival-Trailer lief. Das Mikro in der Hand und im Kegel des Lichtes eines anwesenden TV-Teams, präsentierte er seine Co-Stars Eva Mendes, Kevin James und Amber Valetta. Als er fertig war, lief dann bereits der Vorspann des Films. Sorry Herrschaften, das ist Sparkassen-Jahrestagestagungs-Niveau.
"Diese Filme sind nur mit sehr viel Weißwein zu ertragen"
Für einige verdutzte Gesichter sorgte auch die Jury ( Bai Ling bei der Pressekonferenz im kleinen Rosa-farbenen!) mit der Wahl ihrer Preisträger. Zur Ehrenrettung muss vorab gesagt werden, dass es die Truppe um Roland Emmerich wirklich nicht leicht hatte. Während einer der Stimmberechtigten, dessen Namen wir hier vorsichtshalber unerwähnt lassen, sagte, "diese Filme sind nur mit sehr viel Weißwein zu ertragen", äußerte sich Emmerich in einem Interview mit der "Berliner Morgenpost" etwas diplomatischer zu der diesjährigen Wettbewerbs-Misere: "Man muss schon suchen in diesem Wettbewerb, das ist leider so. Wir finden einzelne Filme gut, aber insgesamt sind sie nicht besonders relevant." Nachfrage: "Also ein eher maues Jahr?" Emmerich: "Ja, genau." Puh.
Wer sind die Einäugigen unter den Blinden?
Okay, welche also sind die Einäugigen unter den Blinden? Der Goldene Bär für den Besten Film ging an "U-Carmen eKhayelissha" von Mark Dornford-May, eine südafrikanische Variation von Bizets Opern-Evergreen, angesiedelt vor dem Hintergrund des harten Township-Alltages. Ein guter Film, kann man mit leben.
Den Darstellerinnen-Preis durfte erwartungsgemäß Julia Jentsch für ihre Leistung in "Sophie Scholl – Die letzten Tage" entgegennehmen, was sie dann überraschend auch gleich bei der Jury-Pressekonferenz machte und mit ihrer rührend zittrigen, überaufgeregten Dankesrede sämtliche Herzen im Saal eroberte.
Als bester Darsteller erhielt der Amerikaner Lou Taylor Pucci, Titeldarsteller des originellen Beitrags "Thumbsucker", den Zuschlag. Geht in Ordnung. Den silbernen Regie-Bär darf sich Marc Rothemund ins Billy-Regal stellen, was bei allem Lokal-Patriotismus nicht so ganz nachvollziehbar ist. Seine "Sophie Scholl"-Inszenierung ist gutes, reduziertes und dem Ansatz der Erzählung geschuldetes Handwerk. Die Hälfte des Bären gehört hier eigentlich auch Julia Jentsch – sie ist die Inszenierung.
Verdienter wäre hier vielleicht eine Auszeichnung für Raoul Peck ("Sometimes in April"), Christian Petzold ("Gespenster") oder Jacob Thuesen ("Anklaget") gewesen. Übrigens wurde keiner dieser drei eher stärkeren Wettbewerber bedacht. Weitere Preise gingen an die französische Produktion "De battre mon coeur s’est arreté" (Musik), den palästinensischen Geheimfavoriten "Paradise Now" (Blauer Engel) und die schräge, taiwanesische Wassermelonen-Hommage "The Wayward Cloud" (Jury-Preis für das Drehbuch, sowie Alfred Brauer-Preis).
Leute-sprecht-mich-nicht-an-ich-mag-diese-Veranstaltungen-nicht-besonders
So, als hätte auch er mit der Preisvergabe ein Problem, wirkte Liam Neeson, Titeldarsteller von Bill Condons ausnehmend gelungener Film-Biografie "Kinsey", am heutigen Tag. Bei der Pressekonferenz erfüllte die irische Eiche den Raum mit seiner Muffeligkeit, und glänzte auch beim Prä-Premieren-Cocktail im China Club auf der Rückseite des Hotels Adlon mit leerem "Leute-sprecht-mich-nicht-an-ich-mag-diese-Veranstaltungen-nicht-besonders-Blick. Verloren stand er da auf dem Parkett, links das Rotweinglas, rechts sein Regisseur, bei dem man auch ein bisschen den Eindruck hatte, er wäre jetzt lieber beim Zahnarzt.
Mit "Kinsey" flimmerte die letzte von 1079 Vorführungen über die Leinwand. Fazit für die 55. Internationalen Filmfestspiele Berlin: Sie werden nicht in die Geschichte eingehen. Wenig Stars, wenig Glamour, kaum gute und keine großen Filme. Kosslicks vierte Berlinale war seine bisher Schwächste. Doch was soll’s, jeder hat mal einen schlechten Tag. Immerhin: Auch in diesem Jahr haben wir wieder einiges gelernt:
"Jede Einstellung ist eine fotografische Trophäe, ohne gleich dem Postkartenismus zu verfallen – und jedes Sentiment gerade so weit hochgezogen, dass es nicht gleich ins Süßliche kippt ("Berliner Morgenpost" über den Wettbewerbsfilm "Kong Que")
Ästhetisches Regime des Klassizismus
"Die verzerrten Bilder seiner Dostojewski-Adaption "Tichie Stranicy" sind einem Klassizismus gewichen, der zum ästhetischen Regime wird" ("Berliner Zeitung" über Alexandr Sokurovs Wettbewerbsfilm "Solze")
"Französisches Kino ist Körperkino" (Die "Süddeutsche Zeitung" im Allgemeinen)
"Mercedes Rodriguez hat einen Soundtrack komponieren lassen, der in seiner perkussiven Eindringlichkeit Puristen verstören dürfte" (Der "Tagesspiegel" über den Forumsbeitrag "El Inmortal")
"Die Diskrepanz dieser Adaption reichert den Subtext des Films mit kleinen, selbstreflexiven Pointen an" (Die "Taz" über den Panorama-Beitrag "Beyond the Sea")
Die nächste Berlinale kommt bestimmt, und wir sehen uns wieder in Cannes.