Interview mit Rupert Everett "Es geht mir ums Überleben"

"Die Girls von St. Trinian" erzählt von pubertierenden Amazonen in Schuluniform und Anarchie im Mädcheninternat. Mittendrin erstrahlt Rupert Everett: Filmstar, Schwulenikone und begnadeter Beobachter seiner prominenten Kollegen. Ein Gespräch mit stern.de über Brustimitate, seine Mutter und Homosexuelle in Hollywood.

Mit "Another Country" war ihm 1984 der Sprung von der Bühne auf die Leinwand gelungen. Dank einer wilden Party mit Bianca Jagger wurde er über Nacht zum Liebling der Boulevardpresse. Er war mit dem französischen Sexsymbol der 80er Beatrice Dalle zusammen und bekannte sich trotzdem 1989 offiziell zum Schwulsein. Die Rolle des Liebhabers war Rupert Everett damit los, doch es folgten Leinwanderfolge wie "Die Hochzeit meines besten Freundes", "Stage Beauty" oder "Shrek". 2007 veröffentlichte er seine Autobiografie "Red Carpets and other Banana Skins" (Rote Teppiche und andere Bananenschalen), die noch immer auf eine deutsche Übersetzung wartet, und in der der britische Mime mal charmant, mal boshaft und mit unglaublicher Beobachtungsgabe vom Leben im und kurz neben dem Scheinwerferlicht erzählt.

Sein neuestes Werk fürs Kino, das er auch produzierte, ist "Die Girls von St. Trinian", die Adaption eines Comics aus den 50er Jahren, der damals bereits verfilmt wurde: Eine Schülerin kommt in ein englisches Mädcheninternat. Doch statt der "Club der toten Dichter" warten hinter den alten Mauern lauter Cyber-Pippi-Langstrumpfs und Killer-Lolitas. Es gibt Waffen, Strapse und Drogen. Als die Schule wegen der "unhaltbaren Zustände" geschlossen werden soll, ergreifen die Anarcho-Amazonen die Initiative, um ihr Heim zu retten. Über all dem thront Everett, der in einer Doppelrolle zu bewundern ist: Einmal als Vater der neuen Schülerin, aber vor allem als Miss Fritton, die Internatsdirektorin mit einer Vorliebe für harte Getränke zum Frühstück, Zigarren und äußerst entspannter Weltsicht, die zudem verblüffende Ähnlichkeit mit Camilla Parker Bowles aufweist.

Mister Everett, es muss ein großer Spaß gewesen sein, Miss Fritton zu spielen.

Nicht, wenn du auf Toilette musst. Die Idee ist lustig, und es macht Spaß, sich das anzugucken, aber es ist harte Arbeit, vor allem, weil wir einen heißen Sommer hatten. Ich hatte überall Polster am Körper, und es wurde einfach immer heißer. Dann kommt dein Make-Up runter, der Bart kommt durch, du musst alles abnehmen und noch mal von vorne anfangen, und alle anderen müssen warten. Das Arbeiten ist nie so witzig, wie die meisten sich das vorstellen.

Dieses Internat hat etwas von einem Anti-Hogwarts. War das Absicht?

Die sexy Mädchen, ja. Aber ich habe die "Harry Potter"-Filme nie gesehen, da habe ich noch gar nicht drüber nachgedacht. "St. Trinian" ist eine etwas andere Bildungseinrichtung, eigentlich sogar ein akkurateres Abbild des englischen Bildungssystems. Wir sind derzeit davon besessen, weil es so schlecht ist.

War es Ihre Idee, Camilla Parker Bowles zum Vorbild für Frau Fritton zu nehmen?

Ja, und meine Mutter. Sie ist ein bisschen wie Camilla. Die letzte Frau des Britischen Empires. Die gibt es nicht mehr. Camilla ist ziemlich männlich, sie reitet gern, arbeitet im Garten, trägt gerne Gummistiefel, sie ist ziemlich "butch" sozusagen. Das traf sich gut.

Es gibt keine einzige positive Männerfigur...

Nein, alle Männer sind nutzlos oder kriminell. Trotzdem war es angenehmer, den Mann zu spielen: Die Maske hat eine Viertelstunde gedauert. Für die weibliche Rolle waren es jeden Tag zwei Stunden. Irgendwann habe ich sie gehasst. Meine Brüste waren so groß, dass ich heftige Rückenschmerzen bekommen habe und kaum gehen konnte.

Beim Lesen Ihrer Biografie beschleicht einen manchmal das Gefühl, dass Ihre Karriere Ihnen zufällig zugestoßen ist...

Als junger Mensch passiert deine Karriere zufällig. Oder nicht zufällig, sondern aus Glück. Als älterer Mensch ist es kein Zufall mehr, weil die Konkurrenz so groß ist. Das Publikum will am liebsten immer etwas Neues sehen. Wenn du nichts Neues bist, musst du viel härter arbeiten, viel aktiver an deiner Karriere arbeiten. Deshalb ist fast alles, was du dann noch machst, etwas, das du selbst angestoßen hast. Wenn ich es nicht gemacht hätte, hätte ich nichts zu tun. Das ist wirklich so. Zu Beginn meiner Karriere war ich sehr ehrgeizig, aber ich hatte auch Glück. Alles ist zum richtigen Zeitpunkt passiert, sogar die schlechten Dinge. Mittlerweile ist der Wettkampf so heftig, dass es nicht mehr so gut klappt. Es gibt wenig Geld und wenige Möglichkeiten. Im Augenblick geht es mir ums Überleben.

Sie haben geschrieben "Hollywood muss dich zerstören oder du zählst nicht"...

So habe ich als Jugendlicher gedacht. Ich habe Schauspieler wie James Dean und Montgomery Clift geliebt. Wenn du 17 bist und solche Charaktere siehst, willst du auch so leiden. In den 70ern wollten alle Menschen leiden. Dann kamen die 80er, und plötzlich war Hedonismus angesagt. Der Erfolg war alles.

Schnappt die Altersfalle also doch auch bei Männern jenseits der 20 zu?

Die 20er sind eine sehr gute Zeit, auch noch die 30er. Die frühen 40er sind auch okay. Aber die Mitt-40er und frühen 50er sind ein Niemandsland, weil du weder das eine noch das andere bist. Das ist wie bei den Frauen. Wenn du jung bist, hast du tonnenweise Angebote, und dann sitzen plötzlich Millionen wie du da und warten auf Arbeit, aber es ist zunehmend unmöglich, welche zu bekommen. In unserem Geschäft haben es Männer trotzdem besser als Frauen. Doch beide haben ihre beste Zeit am Anfang. Gucken Sie sich die alten Schauspieler doch an: Eine Handvoll arbeitet noch, die anderen verschwinden.

Wäre es anders, wenn Sie heterosexuell wären?

Ja. Es ist schließlich ein heterosexuelles Geschäft, das ist die ganze Unterhaltungsindustrie. Die ganze Struktur im Business und um das Business herum: Auf dem roten Teppich will das Publikum Männer mit ihren Frauen und Kindern sehen. Die amerikanische Industrie ist sehr hetero, sehr christlich und sehr moralistisch. Für Homosexuelle ist es fast wie vor dem Krieg.

Es hat sich nichts geändert?

Nein. Aber ich denke auch, dass es mittlerweile wichtigere Themen in der Unterhaltungsbranche gibt als Homosexualität.

Zum Beispiel?

Wenn es darum geht, der Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten, ist die Branche - dank des US-Kinos - verzerrt, politisch orientiert im schlechten Sinne. Gucken Sie sich den kommerziellen Mainstream an: Da geht es nicht um Realität, alles hat einen politischen Bezug: Nur der Bösewicht darf rauchen, Paare und Familien wirken wie aus einem Werbeplakat ausgeschnitten.

Aber es ist doch ein altes Ding, dass der Bösewicht den schwarzen Hut trägt

Ja, ein altes Ding, aber eben nicht modern. Und betrachtet man die innovative Zeit des Kinos in den 70ern, sind die 80er, 90er und die 2000er ein Rückschritt.

Was meinen Sie, woher der Rückschritt kommt?

Ich denke, der hat viele Gründe. Wir leben in einer sehr konservativen Welt, Amerika ist ein sehr konservatives Land, das von der Religion kontrolliert wird und von der political correctness. Das ist schrecklich. Deshalb kann man nicht Böses gegen Schwarze, Schwule oder Juden sagen. Dabei ist die political correctness doch nur eine Tapete, die die Risse in der Wand verdeckt. Die Leute denken trotzdem so. Political correctness im Film ist ein Desaster, denn so kannst du keine echten Geschichten erzählen. Jede Story muss heute ein politisches Ende haben, so dass du aus dem Kino kommst und denkst: "Oh, das sollte ich also mit meinem Leben machen". Keine Dramen, keine Tragödien, nichts Schreckliches. Alles muss politisch und religiös Sinn machen. Und das US-Kino führt das restliche Kino an.

Interview: Sophie Albers

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