"Enttarnt" Der FBI-Verräter und sein Jäger

  • von Katja Gloger
1,4 Millionen Dollar in Cash und Diamanten kassierte der amerikanische Agent Robert P. Hanssen von den Russen. Der größte Spionagefall des FBI wurde jetzt verfilmt. "Enttarnt" erzählt die wahre Geschichte des 22-jährigen Eric O'Neill, der den skrupellosen Doppelagenten auffliegen ließ. Was ist aus O'Neill geworden?

Er war jung, hatte gerade sein Psychologie-Studium beendet und war hungrig auf das echte Leben. Etwas Sinnvolles wollte er für sein Land tun, wollte Geheimagent werden oder so etwas ähnliches. "Ziemlich naive Vorstellung", sagt Eric O'Neill heute. "Doch ich wollte Abenteuer." So wie in den Büchern von Tom Clancy, die er las.

Mit seinen damals 22 Jahren war er kaum mehr als ein "College-Kid", doch selbstbewusst bewarb sich Eric O'Neill bei allen Diensten mit geheimnisumwitterter Abkürzung, die ihm einfielen: CIA, FBI, DEA, NSA... Das FBI meldete sich zuerst, bot ihm einen Job als Fahnder in der "Special Surveillance Group" an. Überwachung Verdächtiger, Suche nach toten Briefkästen, Jagd auf Spione. Und mit dem Dienstort Washington stimmte sogar die Kulisse. So wie in den Filmen aus Hollywood. "Es war ein verdammt gutes Gefühl", sagt er. "Ich war auf der richtigen Seite. Bei den Guten." Die Männer seiner Einheit nannten sich "die Geister". Das klang wunderbar verschwörerisch.

Gefährlichster Doppelagent in 90 Jahren FBI-Geschichte

Heute trfft man Eric O'Neill, 34, in einem der gesichtslosen Konferenzräume in einer der gesichtslosen Anwaltskanzleien der Stadt. Hier arbeitet er als Anwalt, freundlich und präzise hakt er seine Termine im Stundentakt ab. Es sieht nicht so aus, als ob Eric O'Neill dabei besonders glücklich ist. Was soll noch kommen nach so einer Story? Nach dem Fall seines Lebens.

Denn Eric O'Neill spielte eine Hauptrolle in einem der größten Spionageskandale der USA. Er lieferte die entscheidenden Beweise im Fall Robert P. Hanssen, jenes hochrangigen FBI-Agenten, der mindestens 16 Jahre lang für den russischen Geheimdienst spioniert hatte. Stets freiwillig, kühl und kontrolliert kassierte er insgesamt 1,4 Millionen Dollar in Cash und Diamanten von den Russen für vom FBI gestohlene Dokumente, die er vorzugsweise in schwarzen Abfalltüten deponierte. Er ließ mehrere russische Agenten auffliegen, mindestens zwei von ihnen wurden zum Tode verurteilt und hingerichtet. "Hanssen war der gefährlichste Doppelagent in der 90-jährigen Geschichte des FBI", schrieb die Washington Post. Zuletzt jagten ihn bis zu 500 Fahnder.

Als Robert P. Hanssen, tiefgläubiger Katholik und langjähriges Mitglied des sektenähnlichen Ordens Opus Dei an einem kalten Sonntagnachmittag im Februar 2001 verhaftet wurde, fragte er nur: "Warum habt Ihr so lange gebraucht?"

Bald wurden Bücher über den Meisterspion auf den Markt geworfen. Der Name Eric O'Neill kam darin nicht vor. Denn er blieb jahrelang Verschlusssache. "Classified." Erst durch den realitätsgetreuen Film "The Breach", "Enttarnt" des jungen Regisseurs Billy Ray wurde seine Geschichte bekannt. Und die ist so spannend, dass es dafür eigentlich gar keines Drehbuches aus Hollywood bedurft hätte.

Dr. Death war teuflisch brilliant

Schon lange vermutete man beim FBI einen Maulwurf in den eigenen Reihen, hoch oben in der Hierarchie. Jemanden, der das KGB mit hochgeheimem Material fütterte. Irgendwann war ein Verdacht auf Robert Hanssen gefallen, jenen ebenso misstrauischen wie hochfahrenden Russland-Experten aus der Abteilung Gegenspionage. Niemand mochte diesen Hanssen. Er war ein Einzelgänger, sagte bei Besprechungen so gut wie nie etwas. Saß da mit verkniffenem Gesicht, jeden Tag im gleichen, dunkelblauen Anzug. Jahrelang. Man nannte ihn "Dr. Death".

Hanssen fühlte sich unterfordert, missverstanden, niemand habe seine Talente gewürdigt, jammerte er später. Hasste die Bürokraten, die Hierarchen, die ihm vor die Nase gesetzt wurden. Und er zeigte ihnen, was wirklich in ihm steckte: Offenbar nahm er spätestens 1984 Kontakt zum damaligen sowjetischen Geheimdienst KGB auf, lieferte Hinweise über einen seiner Agenten, der auch für die USA arbeitete. Der Mann wurde hingerichtet, Hanssen kassierte 20.000 Dollar. In den folgenden Jahren verriet er unter anderem den geheimen Tunnel, den die CIA unter der sowjetischen Botschaft in Washington gegraben hatte, um von dort aus Abhöraktionen zu starten.

Er verkaufte die supergeheimen elektronischen Abhörmaßnahmen der US-Geheimdienste, lieferte Informationen über weitere Doppelagenten. Er schrieb seinen russischen "Freunden", wie er sie nannte, launische, fast vertrauliche Briefe, einmal lobte er Wladimir Putin als zuverlässigen Präsidenten - schließlich sei er ja ein KGB-Mann. Nie verriet er seine Identität. "Er war nahezu teuflisch brillant", sagt einer seiner ehemaligen Vorgesetzten beim FBI.

Er lieferte Menschen ans Messer, doch zugleich schwadronierte er über den Dienst für das Vaterland, über Moral und Patriotismus, und natürlich betete er jeden Tag. Hatte sechs Kinder, und oft besuchte er die Frühmesse, bevor er zur Arbeit fuhr. Lebte dort sein zweites, dunkles Leben und abends, zuhause, ein drittes. Filmte heimlich den Sex mit seiner tiefgläubigen Frau, schickte die Videos einem Schulfreund - zur Begutachtung.

Eric O'Neill war die Katze

Schließlich hatte man seinen Fingerabdruck auf einem Stück schwarzer Abfalltüte - ausgerechnet ein russischer Informant hatte diesen Hinweis geliefert. Doch man musste ihn auf frischer Tat ertappen. Das FBI baute eine gigantische Falle. Und Hanssen tappte hinein.

Kurz vor seiner Pensionierung wurde er Anfang 2001 auf einmal zum "Section Chief" befördert. War auf einmal eine echte Nummer. Bekam sogar seinen Traumjob: Leitung der Abteilung Informationssicherung für das gesamte FBI. Ein eigenes Büro in der Zentrale, dazu einen Assistenten, einen junger Mann mit bernsteinfarbenen Augen, schüchtern, aufmerksam. Eric O'Neill.

"Ich sollte ihn knacken", erinnert er sich. " Ich hatte so etwas noch nie gemacht. Warum man mich auf ihn ansetzte? Ganz einfach: Ich wusste, wie man mit einem Computer umgeht. Denn noch vor ein paar Jahren tippten die Meisten beim FBI ihre Berichte noch mit der Schreibmaschine. Man wusste, Hanssen war ein Computer-Freak. Er würde nur jemandem akzeptieren, der technisch interessiert war. Und außerdem war ich katholisch."

Im Januar 2001 begann ein dramatischer Zweikampf in Zimmer 9930 der FBI-Zentrale. Ein abhörsicheres Büro, muffig, keine Fenster, die Tür mit dreifachem Kode gesichert - perfekte Kulisse für einen Psychothriller. "Ich war eingeschlossen wie in einem Safe. Dieser Mann war undurchdringlich wie eine Festung, nahezu gemein misstrauisch. Er war ekelhaft, spielte Katz- und Maus mit mir. Ich hatte nur eine Chance: ich musste ein besserer Schauspieler sein als er. Nach drei Wochen begann er schließlich zu reden, nach einem gemeinsamen Kirchenbesuch."

Vom Agententhriller zum Langweiler-Job

Und dann hörte Hanssen nicht mehr auf. Als ob er endlich alles loswerden könne. Er zog über Kollegen her, brüstete sich eitel mit Details über hochgeheime Operationen. O'Neill musste sich jede Winzigkeit merken, er kritzelte kleine Klebezettel voll, einmal wäre er beinahe erwischt worden, als er sie in seiner Schreibtischschublade versteckte. Doch er behielt die Nerven. "Du darfst dich niemals von der Angst überwältigen lassen", sagt er. Eric O'Neill war der bessere Schauspieler. Er war die Katze.

Und dann hatte man ihn. Robert P. Hanssen wurde am 19. Februar 2001 verhaftet, nachdem er eine Tüte voller Geheimdokumente unter der Fußgängerbrücke eines Parks deponiert hatte. Es hätte seine letzte Lieferung sein sollen.

Heute verbüßt Hanssen ein "Lebenslang ohne Begnadigung" im Hochsicherheitsgefängnis von Florence, Colorado, dort sitzt er 23 Stunden in Einzelhaft. Es heißt, seine Frau Bonnie habe ihm in christlicher Demut verziehen.

Und Eric O'Neill? Er stand vor dem Karrieresprung seines Lebens. Doch seine Ehe mit Juliana, der netten Deutschen aus der Nähe von Cottbus, kriselte heftig. "Ich war nie zu Hause, durfte Nichts erzählen, musste die Wahrheit verbergen." Vielleicht hatte ihm der Fall Hanssen einen Blick in die Abgründe seines Berufes erlaubt. O'Neill traf eine Entscheidung. Er kündigte. "Ich wurde erwachsen", sagt er.

Er studierte Jura, arbeitet heute als Anwalt in Washington, berät Firmen, prüft Verträge, absolviert langweilige Besprechungen in langweiligen Büros. "Es ist in Ordnung so", meint er. Vermisst er die Arbeit beim FBI?
"Jeden Tag."

PRODUKTE & TIPPS