Das Sofa in der Suite des feinen Londoner Dorchester-Hotels sieht aus, als habe ein Walross darauf genächtigt - durchgesessen von einem Mann, der in seinem Leben zu viele Hamburger verdrückt hat. Und da kommt Michael Moore in seiner gewaltigen Leibesfülle auch schon angewalzt, zurück von der Pinkelpause, und plumpst auf die Couch. »Yeah«, schnauft der zottelbärtige Amerikaner und zieht seinen Riesenpulli über den Hängebauch, »ich wiege 5000 Kilo.«
Michael Moore ist ein Unikum, ein Satiriker der Superlative, was er anpackt, wird zum Triumph. Sein Pamphlet »Stupid White Men« ist mit mehr als 500.000 Exemplaren in den USA das meistverkaufte Sachbuch des Jahres. »Bowling for Columbine«, seine Abrechnung mit dem schießwütigen Amerika, hat dort fast sieben Millionen Dollar eingespielt und gilt als der erfolgreichste Dokumentarfilm der Kinogeschichte.
In Paris klatschen die Zuschauer wie wild, wenn beim Abspann die Punk-Musik der Ramones dröhnt. Und in London steht Moore jeden Abend auf der Bühne des »Roundhouse«-Theaters und zieht seinen Ein-Mann-Kreuzzug ab - allein gegen Mafiapolitiker und Waffenhändler.
Den mächtigsten Mann dieser Welt nennt er »Tölpel«, »Chef aller Diebe« oder einfach »bin Bush«. Hasst er den US-Präsidenten? »Ach was«, tönt es von der Couch, »Georgie-Boy tut mir furchtbar leid, der wollte doch bloß ein Baseball-Team haben und dauernd auf Partys gehen, aber sein Dad hat ihn gezwungen, Präsident zu werden.«
Der Komiker holt tief Luft, spricht dann ernst wie ein Politiker, ganz im Stil des US-Verbraucheranwalts Ralph Nader, den er bei den letzten Präsidentschaftswahlen unterstützte: »Ich verabscheue Bushs Politik, er kam mit einer Junta ehemaliger Unternehmensbosse durch Wahlbetrug an die Macht und regiert das Land nun wie einen Großkonzern.« Die jüngsten Wahlerfolge der Republikaner lässt er nicht gelten. »61 Prozent gingen nicht zu den Urnen; aber warum sollen Leute auch wählen, wenn ihre Stimmen - wie im Jahr 2000 in Florida nachweislich geschehen - nicht gezählt werden?«
Nur 20 Prozent der Amerikaner stünden hinter Bush, sagt Moore und ist sich »absolut sicher, dass dieser Schwachkopf uns jetzt in einen Krieg gegen den Irak führt«. Woher weiß er das so genau? »Aus Erfahrung«, sagt er, »schließlich lebe ich schon 48 Jahre in diesem Land, wo Probleme in aller Regel mit Gewalt gelöst werden.«
Michael Moore ist ein genialer Selbstdarsteller, aber kein Intellektueller wie etwa Woody Allen. Der Sohn eines Fabrikarbeiters wuchs in Michigan auf, gründete ein Provinzblatt und ging bald mit der Videokamera auf Wirtschaftsbosse los. Für »Roger & Me« (1989) verfolgte er Roger Smith, Chef von General Motors, drei Jahre lang - der Autokonzern hatte in Moores Heimatstadt Flint Fabriken geschlossen und Tausende arbeitslos gemacht.
In »Bowling for Columbine« - einem aufregenden Mix aus Interviews, Dokumenten und Cartoons - konfrontiert er diejenigen, die er für mitverantwortlich hält am Massaker von Littleton, wo 13 Schüler 1999 in der Columbine High School starben. Mit Teenagern, die das Blutbad überlebten, belagert der »Guerilla-Filmer« (»Time«) den Supermarkt, in dem die beiden jugendlichen Killer ihre Munition kauften - bis das Geschäft den Verkauf unterbindet.
Moore gelingt es auch, den Mann zur Rede zu stellen, der Amerikas Gewaltkultur (mit einer Viertelmilliarde Handfeuerwaffen im Land) personifiziert wie kaum ein anderer - Hollywood-Star Charlton Heston, Chef des mächtigen Schützenverbandes NRA. Auf Moores Fragen reagiert Heston eher wortkarg, und als der Regisseur ihn auf die sechsjährige Kayla anspricht, die in Flint kurz nach der Columbine-Tragödie von einem ebenfalls sechsjährigen Jungen erschossen wurde - da verlässt der Schauspieler den Raum, fluchtartig.
»Kaylas Tod ging mir so nahe«, sagt Moore. »Haben wir nicht in der Sonntagsschule gelernt, dass wir die Schwächsten schützen müssen?« Und noch etwas liegt ihm am Herzen: »Prima, dass euer Kanzler keine deutsche Soldaten in den Irak schicken will. Aber wird er auch dabei bleiben?« Kurze Pause, dann: »Ich traue nämlich keinem Politiker.«
Tilman Müller