Bei den Oscars ist es wie bei der Feldarbeit: Es gibt Bauernregeln. Eine davon besagt, dass in der Königs-Kategorie "Bester Film" immer der mit den meisten Nominierungen gewinnt. Diese Regel könnte in diesem Jahr allerdings über den Haufen geworfen werden.
Die 81. Academy Awards haben nämlich einen Star im Vorfeld. Und der ist arm, aber sexy. Ganz so wie es die Traumfabrik eigentlich liebt. Die Rede ist von "Slumdog Millionaire", Danny Boyles wunderbares Märchen über einen Jungen aus dem Armenviertel Mumbais, der es in der indischen Version von "Wer wird Millionär?" ganz nach oben schafft. Es geht um Träume, das reale Leben, Liebe und die Macht der Erzählung. Vor allem aber geht es um einen Film, der gerade mal 15 Millionen Dollar gekostet hat. Und das gibt "Slumdog Millionaire" einen unerwarteten Image-Vorsprung vor dem diesjährigen Nominierungs-Favoriten: den David-gegen-Goliath-Effekt.
No-Name gegen Brad Pitt
"Slumdog Millionaire" wurde in zehn Kategorien nominiert, David Finchers Wunderwerk der Spezialeffekte "Der seltsame Fall des Benjamin Button" in 13. Beide wurden als bester Film und beste Regie vorgeschlagen. In "Slumdog Millionaire" ist kein Star zu sehen. In dem fast drei Stunden dauernden "Benjamin Button" spielt Brad Pitt einen Mann, der alt geboren und immer jünger wird. Auch in dieser Geschichte geht es um Liebe und Träume, doch hat es schlappe 150 Millionen Dollar gekostet, sie zu erzählen.
Laut Prognosen liefern die beiden Filme sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen, wobei die meisten Filmkritiker davon ausgehen, dass "Slumdog Millionaire" gewinnen wird. Schließlich hat er auch schon bei den Golden Globes abgeräumt, und die gelten als Oscar-Indikator. Außerdem scheint es in Zeiten der Finanzkrise ganz passend, aus wenig viel zu machen.
Schwuler Politiker gegen Wrestler
Noch einen Zweikampf bietet dieses Jahr die Kategorie bester Schauspieler: ein schwuler Politiker gegen einen alten Showkämpfer, "Milk" gegen "The Wrestler", Sean Penn gegen Mickey Rourke. Da sind Vorhersagen schwierig. Penns Auftritt in Gus Van Sants Harvey-Milk-Biografie ist beeindruckend. Gleichzeitig ist Rourke, der sich gerade seine Hollywood-Karriere zurückholt, so sehr Sinnbild für das, was er da spielt, dass er mit seinem Charakter verschmilzt, wie man es selten sieht. Und solch tragische Figuren haben bei den Oscars eigentlich immer gute Chancen.
Sehr wahrscheinlich ist nur, dass die anderen Nominierten - Pitt für "Benjamin Button", Frank Langella für "Frost/Nixon" und Richard Jenkins für "The Visitor" - wohl das Nachsehen haben werden.
Kate Winslets nächste Chance
Bei der besten Hauptdarstellerin herrscht Einvernehmen darüber, dass Kate Winslet nach fünf erfolglosen Nominierungen diesmal den Oscar bekommen muss. Nackte Schauspielkunst bietet die Britin, wenn sie in der Verfilmung von Bernhard Schlinks Erfolgsroman "Der Vorleser" eine ehemalige KZ-Aufseherin spielt, die nach dem Krieg eine Affäre mit einem Jungen eingeht, der mehr als halb so alt ist wie sie.
"Ich habe keine Lust, der Nominierungs-Verlierer zu sein", sagte Winslet jüngst im Interview. Denn wenn der Goldjunge wieder einer anderen überreicht würde, käme dem "Titanic"-Star die zweifelhafte Ehre zu, eine der meistnominierten Verliererinnen zu sein. Und mit Angelina Jolie als verzweifelter Mutter in Clint Eastwoods "Der fremde Sohn" und Meryl Streep als verbitterter Nonne in "Doubt" hat sie durchaus harte Konkurrenz.
Bei den Nebenrollen deuten die Zeichen auf einen Sieg für Penélope Cruz, die in "Vicky Cristina Barcelona" als wildgewordene Künstlerin nicht nur Javier Bardem wuschig macht. Doch auch Viola Adams, die in "Doubt" als Mutter gegen Meryl Streep antritt, hätte die Trophäe verdient.
Der Oscar für die männliche Nebenrolle geht mit großer Sicherheit posthum an Heath Ledger, der in "The Dark Knight" den Batman-Feind Joker neu erfunden hat. Es steht sogar schon fest, dass seine dreijährige Tochter die Statue an seiner Stelle in Empfang nehmen soll. Damit das Kind auf die Bühne kann, wurden bereits Oscarregeln geändert.
Wenig Hoffnung für "Baader Meinhof Komplex"
Wenn schon die Darsteller aus "Frost/Nixon" leer ausgehen müssen, so könnte das brillante Kammerspiel zwischen dem Ex-Präsidenten und einem frivolen TV-Moderatoren doch wenigstens den Regie-Oscar gewinnen. Und wenn schon nicht Ron Howard geehrt wird, dann doch wenigstens der Drehbuch-Autor Peter Morgan.
Dem deutschen Beitrag "Der Baader Meinhof Komplex" von Uli Edel, der für den Auslands-Oscar nominiert wurde, traut kaum einer den Sieg zu. An dem in der Kategorie als Favoriten gehandelten israelischen Animationsfilm "Waltz With Bashir" haben aber immerhin auch die beiden deutschen Produzenten Roman Paul und Gerhard Meixner mitgewirkt.
Amüsanteste Nominierung
Zwei Verlierer standen bereits nach der Bekanntgabe der Nominierungen fest: Clint Eastwood, der unter seiner eigenen Regie in "Gran Torino" bravourös einen verbitterten Rassisten spielt, und Jeff Goldblum, dessen Darstellung des Adam Stein in Paul Schraders Holocaust-Drama "Ein Leben für ein Leben" zu den besten Leistungen seiner Karriere zählt. Beide Auftritte fanden keine Erwähnung. Erstaunlicherweise wurde auch nicht Bruce Springsteen für seinen Song für "The Wrestler" nominiert.
Bleibt die amüsanteste Nominierung: Der Animations-Spaß "Wall-E" wurde in der Kategorie Drehbuch vorgeschlagen. Der Film kommt fast ohne Dialoge aus.